Deshalb hilft gegen Berliner Proleten nur Kinski

Es ist mir wichtig, nicht arrogant zu wirken. Ich versuche, alle Menschen gleich zu behandeln, immer höflich zu sein. Aber vielleicht ist das ein Fehler. Dieser Gedanke kam mir neulich, als ich meinen ehemaligen Arbeitskollegen traf. Bodo. Unsere Lebensumstände sind ähnlich: Beide zugezogen, er ein Fischkopp aus Meckpomm, ich ein Beutedeutscher vom linken Rheinufer. Wir haben beide ein Kind, schlagen uns beide mit Gelegenheitsjobs durch. Der einzig gravierende Unterschied: Ich bin ein Künstler.

„Hey, Clint! Alles klar?“
„Tach, Bodo.“
„Ey, der feine Herr kennt ja noch meinen Namen!“

Und sofort ist es da: Das Gefühl, dass ich meine Bodenständigkeit unter Beweis stellen muss. Als ob ich jemals seinen Namen vergessen hätte.

„Und habt ihr schon einen Kitaplatz für eure Tochter?“, fragt er.
„Ja, in so 'nem integrativen Kinderladen.“
„Inte-WAS?“
„Na, da sind auch Migranten und behinderte Kinder mit in der Gruppe.“

Er runzelt die Stirn, klopft mir tröstend auf die Schulter. Und ich möchte das Ganze lächerlich machen, möchte sagen, dass meine Frau die Idee hatte. Um zu beweisen, dass ich noch immer ein cooler, unprätentiöser Typ bin. Das ist so, weil Bodo ein Prolet ist. Ein Stadtprolet. Wenn ich so einem Exemplar begegne, gehe ich sofort in Verteidigungsstellung: Ich muss zeigen, dass mir irgendein Sport wichtig ist. Muss eine Saufgeschichte zum besten geben. Und seine unmöglichen Witze ertragen:

„Wer hat in Europa die meisten Flüchtlinge aufgenommen?… Das Mittelmeer. Höhö.“
„Aber“, stottere ich. „Das stimmt doch rechnerisch gar nicht.“

Ich will down to earth bleiben. Mich mit dem kleinen Mann aus der Eckkneipe verständigen können.

Doch das zählt für ihn nicht. Was zählt, ist die Demonstration unserer Hemdsärmeligkeit. Und dass wir uns nicht von irgendwelchen Gutmenschen den Mund verbieten lassen. In der Gegenwart eines Stadtproleten muss ich ständig betonen, dass ich Künstler eigentlich AUCH dämlich finde. Und Studenten. Und all die Leute, die irgendwas mit Medien machen. Ich verspüre den Drang, alles runterzuspielen, was ich geschrieben habe. Damit ich auf gar keinen Fall abgehoben wirke. Ich will down to earth bleiben. Mich mit dem kleinen Mann aus der Eckkneipe verständigen können.

Ähnlich geht es mir mit den Landproleten. Denen begegne ich in meiner alten Heimat. Oder wahlweise in jeder anderen Kleinstadt. Der Landprolet begrüßt mich mit: „Ah, schau an. Der BERLINER.“
Und dann geht es los. Er erzählt mir Geschichten, die damit enden: „Aber da geht’s bei euch in BERLIN bestimmt wilder zu.“

Zeigt mir Orte, die er dann heimtückisch schlecht macht. „Da lächelt der BERLINER bestimmt in sich rein, wenn er so ein Kuhkaff sieht, wie?“

Eröffnet mir seine persönlichsten Eindrücke, um dann zu sagen: „Naja, das kennst du bestimmt alles schon aus BERLIN.“
Und sofort will ich Berlin entzaubern. Will es schlecht machen, um ihm zu zeigen, dass sein Leben doch auch was Besonderes ist. Dabei liebe ich Berlin. Ist es meine Schuld, dass er in seinem Bauernkaff verrottet?

Jetzt steh ich also vor Bodo, dem Mann, mit dem ich über zwei Jahre malocht habe. Er weiß, dass ich anpacken kann. Dass mir keine Arbeit zu schmutzig ist. Doch das ist irrelevant. Als Intelligenzler bin ich disqualifiziert.

Als Intelligenzler bin ich disqualifiziert.

„Und gehste jetzt abends noch weg?“, fragt er. „Oder gar nicht mehr?“
„Doch, doch“, versichere ich hastig, ziehe mir bereitwillig auch den Spießerschuh an. Dabei habe ich fast jeden Abend Auftritte, bei denen ich mich machomäßig betrinke. Aber das zählt nicht, weil ich dabei eben auch vorlese. Ich gerate weiter in Erklärnot.

Und jetzt frage ich mich: Warum eigentlich? Das ist doch Sklavenmoral. Warum muss man sich als gestandener Mann dauernd dem Mittelmaß anpassen? Entschuldigung, dass ich meine Privilegien dazu nutze, mir ein gewisses Quantum an Weltoffenheit zuzulegen. Entschuldigung, dass ich gern Teil des kosmopolitischen Schmelztiegels bin. Und das Schlimme ist, dass ich mit meinem Komplex nicht allein bin. Die Proleten fühlen sich nämlich im Recht. Weil man ihnen von morgens bis abends eintrichtert, was für ein bescheidener Mensch Justin Bieber trotz allem doch ist. Und wie schlicht Christiano Ronaldo wohnt und sich bekochen lässt. Und wie viel Wert Beyoncé darauf legt, ihren Bodyguards auf Augenhöhe zu begegnen.

Arschlecken. Ich werd jetzt nur noch wie Kinski sein. Dem Geschmeiß ins Gesicht spucken, wenn es sein Maul auf reißt. Denke ich, nachdem Bodo sich verabschiedet hat. Gesagt habe ich nichts in die Richtung. Aber so sind wir Künstler nun mal. Wir schreiben erst hinterher alles auf.


Titelfoto: © New Kids Nitro/Constantin Film

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