Diese Bilder eines Berliner Fotografen zeigen, wie syrische Flüchtlinge in libanesischen Refugee-Camps leben
Neben all den positiven Reaktionen zu dem am Mittwoch veröffentlichen Pro-Flüchtlingskommentar von Anja Reschke in den Tagesthemen finden sich unter dem Video auch ganz andere Aussagen. Die Menschen sollen dahin zurück gehen, wo sie hergekommen sind, steht da zum Beispiel. Wenn ich so etwas lese, bekomme ich meistens eine riesige, ohnmächtige Wut und habe gleichzeitig trotzdem immer noch die Hoffnung, dass Menschen solche dummen Dinge nur sagen, weil sie in ihrem privilegierten, geordneten Leben keine Vorstellungskraft für das Leid der Flüchtlinge haben. Weil sie nicht verstehen können, was es bedeutet, auf einem Boot mit der Hoffnung als einziges Gepäck nach Europa zu fliehen. Wer zum Beispiel das diesjährige "World Press Photo Award"-Foto eines vollkommen überfüllten Flüchtlingsbootes von Massimo Sestini gesehen hat, sollte und muss sich eigentlich unweigerlich die Frage stellen, ob wir nicht endlich die Situation, aus der diese Menschen kommen, besser verstehen wollen und Wege finden müssen, es diesen Menschen bei Ihrer Ankunft in Europa einfacher zu machen.
Um das alltägliche Leben in einem Flüchtlingscamp selbst besser nachvollziehen zu können, ist der Berliner Fotograf Manolo Ty im Juni 2015 in zwei syrische Flüchtlingscamps im Libanon gereist. Zur Zeit befinden sich nach Angaben der UNHCR, der internationalen Organisation für Flüchtlingsschutz, vier Millionen Syrer auf der Flucht. Laut UN-Flüchtlingskommissar Antónie Guterres ist das "die größte Flüchtlingsbevölkerung eines einzelnen Konflikts seit einer Generation.“
Wir haben uns mit Manolo über seinen dortigen Besuch unterhalten und hoffen, dass wir dadurch einen kleinen Teil zum Verständnis beitragen können.
Was war der Grund für dich in den Libanon zu fliegen?
Aus meiner Sicht ist die Berichterstattung meistens sehr einseitig und ich habe das selbst in Deutschland nicht ganz geglaubt, was berichtet wurde. Deshalb wollte ich wissen, was da los ist. Mich haben Freunde aus Beirut gefragt, ob ich mir das angucken möchte, also bin ich hingeflogen. Ich kannte auch Leute von der UNHCR, aber die haben dann versucht, mir so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen. Eigentlich werden Journalisten nämlich zu Touren in Camps eingeladen, wo die UNHCR dann sichtbar als Helfer Auftritt und alles in schöner Ordnung ist.
Wie hat die UNHCR in den Camps geholfen, in denen du warst?
Ich war mit einer Übersetzerin und einem Flüchtling in seinem ehemaligen Camp und habe gefragt, wie das dort mit der Hilfe aussieht. Man sieht dort überall die Logos von der UN an die Zelte gesprüht und ich dachte, dass die Organisationen deshalb sehr viel dort machen. Am Ende müssen die Leute dort allerdings selbst Miete für die Zelte in den Camps zahlen und sich Strom, Essen und Wasser selbst organisieren. Mir haben Menschen erzählt, dass sie jetzt schon drei Jahre dort leben und trotz Verletzungen zum Beispiel noch nie einen Arzt gesehen haben.
Hattest du in einem der Camps jemals ein ungutes Gefühl?
In keinem Moment hatte ich das Gefühl, dass ich nicht willkommen bin. In jedem Camp hießen mich die Leute willkommen. Ich wurde selbst als Mann (in einem islamischen Land darf ein fremder Mann eigentlich nicht das Haus betreten) von den anderen Männern eingeladen, überall Fotos zu machen, weil die ihre Hoffnung in mich gesetzt haben, dass ich irgendwas verändern kann und dass ihre Stimme gehört wird.
Wie muss man sich das Leben in einem Camp vorstellen?
Ich war in Camps, in denen ca. 50–100 Zelte standen. In den Zelten wohnt meistens eine Familie mit 5–10 Menschen. Sehr interessant war, dass die Zelte sehr gepflegt sind, nach außen sieht das natürlich anders aus. Die Menschen besitzen nur sehr wenig, aber in den Zelten ist alles ordentlich, geputzt und aufgeräumt.
Haben die Menschen in den Camps noch Hoffnung auf ein besseres Leben?
Die Leute, mit denen ich gesprochen habe, sind seit Jahren dort und sehen keine Hoffnung. Selbst wenn sie zurück gehen könnten, bleibt die Frage, ob sie zurück gehen würden. Denn da, wo sie herkommen, ist einfach nichts mehr, weil alles zerbombt wurde. Man sieht das auch, die Erwachsenen kämpfen sehr mit sich, weil sie wissen, dass ihre Kinder wahrscheinlich nie eine Perspektive haben werden. Die Menschen sind komplett perspektivlos. Mir kam es zwischendurch so vor, als wäre ich die einzige Hoffnung, weil ich mich der Situation widmete. Da kommt niemand von der UN. Ich dachte immer, dass die Leute von der UN vor Ort und ansprechbar sind. Aber wenn die dann kommen, dann sprayen die erstmal überall ihre UNHCR-Logos hin, obwohl dann eigentlich nicht viel passiert.
Hast du da mal bei der UN nachgefragt, woher das kommt?
Ich habe mal eine E-Mail nach Bonn geschrieben und gefragt, was da los sei, und ob die wissen, was eigentlich vor Ort passiert. Die, mit denen ich Kontakt hatte, waren auch geschockt und wollten sich darum kümmern und das weiterleiten, aber gehört habe ich dann auch nichts mehr.
Was hat die Erfahrung dieses Besuches mit dir gemacht?
Ich habe gemerkt, dass ich als Fotograf doch was ausrichten kann. Ich bin ja eigentlich eher Künstler als Journalist und dadurch, dass ich für keine Zeitung arbeite oder geschickt werde, bin ich auch eher unbefangen. Ich habe keine Bringschuld und ich habe gemerkt, dass ich mit meiner Arbeit was verändern kann. Selbst wenn das den Leuten in Deutschland hilft, die Situation besser zu verstehen. Die Menschen, die nach Deutschland kommen, sind einfach nirgendwo willkommen, die haben sich das ja nicht ausgesucht. Ich habe dann auch mal mit Leuten in Deutschland, die nach dem Krieg geflüchtet sind, gesprochen und die sagen immer: "Ja, aber bei uns war das anders.“ Wenn meine Fotos dazu beitragen, dass man versteht, dass diese Situation nicht anders ist, als damals bei Ihnen, dann ist das gut.
Was sollten wir jetzt in Europa wissen, was wir bis jetzt nicht wissen?
Es ist zum Teil noch schlimmer, als wir das in den Medien mitbekommen. Die Flüchtlinge haben mir Videos gezeigt, auf denen Leute der ISIS mit Babys Fußball spielen. Das kann man sich nicht vorstellen.
Was können wir deiner Meinung nach bei uns im Alltag für Flüchtlinge tun?
Ich finde, dass man den Menschen, die sich in dieser Situation befinden, mehr Respekt entgegen bringen sollte. Man kann ihnen doch nicht vorwerfen, dass sie versuchen zu überleben und ihrer Familie ein besseres Leben bieten wollen. Am Anfang war ich desillusioniert, weil ich das Gefühl hatte, nichts ausrichten zu können. Aber am Ende geht es auch einfach darum, freundlich zu sein und jemandem das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.
Als Manolo in den Libanon geflogen ist, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen, war sein erster Kontakt die UNHCR, die für die Betreuung der Flüchtlingslager zuständig ist und somit auch den Zugang für Journalisten und Fotografen regelt. Jedes Mal, wenn es um die offizielle Erlaubnis für seinen Besuch ging, wurde er von der internationalen Organisation hingehalten, sodass er sich schließlich dafür entschied, die Flüchtlingscamps auf eigene Faust zu besuchen. Die UNHCR warnte ihn zuvor allerdings, dass die Chance, bei einem solchen Besuch als Ausländer beraubt oder gekidnappt zu werden, sehr groß sei. Eine solche Aussage von offizieller Seite zu hören trägt natürlich nicht zu einem guten Sicherheitsgefühl bei und dennoch hat sich Manolo dafür entschieden, die Camps mit einer Übersetzerin auf eigene Faust zu besuchen. Vielen Dank dafür!
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Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung: © Manolo Ty