Auf eine letzte Mentholzigarette im Himmel

Wenn die Welt im Chaos versunken ist, hat sich Helmut Schmidt erst einmal eine Zigarette angezündet. Dann saß er da im Fernsehen wie einer, der mehr wusste als der Rest der Welt. Der so viele Krisen miterlebt hat, dass ihn auch ein 11. September nicht mehr aus der Fassung bringen konnte. Helmut Schmidt war in den richtig schwierigen Momenten die Personifizierung des Satzes „Das wird schon irgendwie wieder.“ Vielleicht ist das auch der Grund, warum wir, die wir ihn als aktiven Politiker ja nie richtig erlebt haben, so sehr dazu neigen, den alten Haudegen zu mögen und warum wir ihm jetzt gerade auf Facebook alle die letzte Ehre erweisen.

Mit Helmut Schmidt hätte man gerne mal ein Bier getrunken, um mit Bedacht über die viel zu schnell werdende Welt zu reden und über das Gefühl, im Leben manchmal aus der Kurve zu fliegen, weil die Geschwindigkeit zu hoch geworden ist. Man hatte immer irgendwie das Gefühl, dass er einen verstehen würde, weil er selbst so fest stand wie ein alter knorriger Baum im Sturm, der sich von nichts aus der Ruhe bringen ließ, selbst wenn der Rest des Waldes schon längst umgeknickt war.

Das ist ja der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel

Helmut Schmidt war ein Mann, der in seinen Grundfesten so unverrückbar schien, wie wir das heute kaum noch kennen in den schnellen Social-Media-Zeiten, in denen politische Meinungen austauschbar geworden sind. Vielleicht idealisieren wir ihn deshalb auch so: weil Schmidt stellvertretend für unsere Sehnsucht nach der Einfachheit der Welt stand. Der Sehnsucht danach, Dinge in gut und böse und richtig und falsch einteilen zu können, wenn man sie rational analysiert und sich eine Meinung bildet. Helmut Schmidt war jemand, der geradeheraus immer das gesagt hat, was gesagt werden musste, ohne Rücksicht auf Verluste. Als er zum Beispiel die alt 68er Generation als nichts tuende Horde Intellektueller verteufelt hat oder sich für den Einsatz der Bundeswehr bei der Hamburger Springflut entschied. Schmidt war jemand, der an die Demokratie geglaubt hat und daran, dass ein Staat nur bestehen kann, wenn man bereit ist, Entscheidungen zu treffen, egal wie unbequem diese auch sein mögen.

Trotz seiner Entscheidungsfreude, hatte er aber auch eine große Sympathie und ein Herz für die Unentschlossenen, Nachdenklichen und Zweifler dieser Welt, weil er wusste, dass das Zweifeln eben auch zu den ganz großen Lebensentscheidungen dazugehört. Das hatte er schließlich selbst während der RAF-Zeit in Deutschland erlebt, als er sich dagegen entschied, Martin Schleyer als Geisel auszutauschen und so den Tod eines anderen Menschen für die Demokratie in Kauf nahm. Schmidt war in diesen Momenten stark, aber leicht sind ihm diese Entscheidungen nicht gefallen, wie er im Gespräch mit Schleyers Sohn, einem der politisch bewegendsten Gespräche im SZ-Magazin, zugab.

Schmidt gilt nun als Maßstab für einen Politiker im Ruhestand, der die Rolle des bedachten Weltmannes einnehmen konnte und der wusste, dass die Dinge komplexer und nicht einfacher werden und dass sich die meisten Probleme nicht bei einer Zigarette lösen lassen - dass das aber trotzdem noch lange kein Grund ist, das Rauchen aufzugeben. Er war dabei ein Mensch, der sich den Problemen entgegen gestellt und sich nicht weggeduckt hat, wie es heute in der Politik viel zu häufig vorkommt. Vielleicht ist auch das, was wir uns von diesem Lebemann abschauen können.

Im Fernsehen wird jetzt wohl nie wieder geraucht, aber dafür werden wir bei ein paar Wölkchen am Himmel vielleicht auch immer ein bisschen an den knurrigen alten Mann denken, der irgendwo sitzt und genüsslich seine Mentholzigarette qualmt und Entscheidungen treffen konnte, wie kein anderer. Auf eine Zigarette im Himmel und darauf, die Dinge einfach mal anzupacken, wenn es darauf ankommt: Auf Dich Helmut!


Foto: Wegmann, Ludwig / Wikipedia CC-BY-SA 3.0

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