Zu alt für das Berlin Festival?

Für das Berlin Festival haben wir gegen Berichterstattung ein Ticket verlost. Juliane Leopold hat sich das Festival sehr genau angekuckt und möchte nun mit Superpunk auf Tour gehen.

Der Flughafen ist der Grüßaugust einer Stadt, ein Niemandsland der Repräsentation und der reinen Funktionalität: Nicht beschmutzt von Sonntagseinkäufern wie sein tattriger Opa Bahnhof dient er einzig und alleim dem Ankommen, Abfahren, Zwischenhalten. In Berlin gibt es nicht nur mehrere dieser Grüßauguste, sie tragen auch noch verschiedene, ihrem Geburtsjahr und -ort entstammende Uniformen. Der orangene Nylonanzug mit einem Muster, bei dessen Anblick einem übel wird: Tegel. Der Dederon-Küchenkittel, der gerade zur Weltraumbekleidung aufgepumpt wird: Schönefeld. Die Hugo-Boss-Uniformhose: Tempelhof. Ein fürs Uniformstiefel-Knallen gebauter Mega-Kleiderbügel mit einem Rollfeld, dessen baumlose, durch die Juli-Hitze verbrannte Brache nur in einer Stadt wie Berlin als „Park“ durchgehen kann, lud ein, auf 3 Bühnen und in 2 Tagen das live zu erleben, was einem sonst Lebenskrücke im mp3 oder wav-Format ist. Dass war es, was in mir den Wunsch geweckt hatte, zum diesjährigen Berlinfestival zu gehen, als ich 2 Acts im Line Up auftauchen sah, die mir mit ihren Titeln Stunden, Tage, Jahre meines Lebens beschriftet hatten und es immer noch tun. „Tu einfach dein Bestes, mach dir keine Sorgen.“ von Superpunk, das hatte nicht mal Sarah Kuttner zerstören können, die damit ihre letzte Personality-Show auf MTV gewürzt hatte. „Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf seine Knie zwingen.“, das hatte ich innerlich mich beleidigenden Flachzangen seit der Sekundarstufe 2 zugeraunt. Und dann Robyn: Die Britney Spears des denkenden Menschen, deren Verlassen-werden-und-weiter-machen-Hymnensingerei mit „Dancing on my own“ einen würdigen Nachfolger von „Be Mine“ gefunden hat. In meinen Augen war die reine Anwesenheit dieser meiner stellaren Ewigkeitshelden tausendfacher Grund das in Kauf zu nehmen, das ich sonst scheue: Großansammlungen von Menschen und der massenhafte Anblick von Menschen, die jünger als ich sind. Das hat nichts mit Neurosen zu tun, ich habe nichts dagegen, dass es diese faltenlosen, milchhäutigen Geschöpfe gibt, die aus dem Nichts und with a little chemical help 48 Stunden ihre schlanken Glieder rhythmisch und ästhetisch mehr oder minder ansprechend um sich herum drapieren können. Ich muss das eben nur nicht sehen, erinnert es mich doch nur allzu deutlich an meine vergleichsweise Mürbheit (siehe „Baby, ich bin zu alt.“ von Superpunk). Wie soll man sich bitte fühlen, wenn der Kronprinz der Weirdos Adam „There´s no wrong way to fuck a girl with no legs“ Green am frühen Abend des ersten Festivaltags Macaulay Culkin auf die Bühne holt, mit ihm „Wind of Change“ singt, man selbst angesichts der popkulturellen Übergutheit dieses Moments (ich komme aus einer Region, in der es sehr, sehr viele Kevins gibt) fast platzen möchte, und sich Mädchen, die aussehen wie Lourdes Ciccione umdrehen und fragen, wer der blonde Mann auf der Bühne sei. Man fühlt sich gar nicht, man tut ganz gelassen und schlendert weiter durch die später am Abend völlig verstopfte Schleuse zum Hangar 4 um Stunden zu früh Robyn entgegenzufiebern. Die enttäuscht das Warten nicht, liefert ihrem Publikum aus Twentysomethings mit Herzraustanzwut im Bauch als weißblonder Derwisch eine Stunde Body Talk Part 1 und Unverzichtbares wie „Dream on.“. Ich bin selig und verlasse nach einem kurzen Reinhören bei den Editors, die sich anhören wie das Bandkind der Liebe von Michael Stipe und Brandon Flowers, das Festival. Das traurigste Ding, das ich jemals gesehen habe, waren eben nicht Raucher vor einer Krankenhaustür. Es waren auch nicht die mutmaßlichen Massen enttäuschter Gesichter als der erste Festivaltag kurz vor dem Auftritt von Fatboy Slim abgebrochen wird, weil die Polizei angesichts der Besucherströme die Sicherheit der Festivalgäste nicht mehr garantieren kann.

Tag 2 beginnt für mich mit einer Hatz durch die Stadt um Superpunk rechtzeitig zu erwischen um sie von meiner Unverzichtbarkeit als Bandgroupie zu überzeugen. 5 Meter vor der Bühne in Hangar 5 stehend übe ich mich Samstag nachmittag in telepathischer Überzeugungsarbeit, die ich zu Gunsten übermäßigen Mattenschüttelns spätestens bei „Nur neue Zähne für meinen Bruder und mich.“, dem Publikumsliebling dieser nonchalanten Kurzsause, aufgeben muss. In etwas, das ich ermangels kreativerer Sprache nur als „unheimlich sympathisch“ beschreiben kann, bedankt sich Carsten Friedrichs etwas linkisch und nonchalant schulterzuckend für jeden Applaus, als wäre er ersthaft perplex, dass Menschen diese Musik mögen. Ich möchte sehr gern in den Bus ihrer aktuellen „Die Seele des Menschen unter SUPERPUNK“-Tour klettern, besinne mich dann aber rechtzeitig auf meine übermäßige Unrockstarmäßigkeit (daran ablesbar, das ich 50 Minuten des Festivals damit verbringe, eine Cola zu suchen, die NICHT mit Red Bull versetzt ist, natürlich scheiternd) und pendle zurück aufs Rollfeld, das um diese Uhrzeit voller Menschen weit dies- oder jenseits der gerade erlangten Volljährigkeit ist; Kinder mit übermäßig großen Kopfhörern und best ager Ehepaare prägen das Bild. Wie passend, in diesem Moment die letzten Klänge des Festivalauftritts von Edwyn Collins mitzuerleben, der seinen 15 Jahre alten heavy rotation Hit „Girl like you.“ mit beschwörerischer Gestik und fester Stimme ins Land singt; von einem Schlaganfall gezeichnet sitzend; ein Künstler jenseits der aktuellen was auch immer Charts und Trends, nicht jung, nicht unbeschwert, aber ungebrochen und stark.

Dass zu erleben erfreut mich und ich verliere dieses Gefühl auch nicht nach meinem letzten in Gänze erlebten Festivalact Chilly Gonzales. Er hat vorzügliche Drummer auf der Bühne, holt einen jungen Menschen namens Boys Noize (dem Lautstärkepegel des Publikums ein populärer Mensch) an einem Elektropiano zu sich und spielt ein Counting Crows „King of Pain“-Cover auf dem Klavier stehend. Der Moment, in dem ich denke, dass das keine Hommage sondern eine Verarsche ist, ist der Moment, in dem ich beschließe, loszugehen. Es gibt Dinge, die sind unverhandelbar. Dazu gehört meine Lust auf Un-Ironie. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich damit in der Hugo Boss-Hose unter den Grüßaugusten gut aufgehoben bin.



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