Ein Leben von Urlaub zu Urlaub – wieso tun wir uns das an?
Ich war im Frühjahr in Portugal. Mein Freund und ich kennen da ein paar Leute, weshalb die Ostalgarve unsere sichere Bank in Sachen Urlaub ist. Es ist schön, es ist warm, es gibt gutes Essen und nette Menschen. Kann man nichts falsch machen. Nur an eines mussten wir uns gewöhnen: Die Uhren ticken hier anders. Pünktlich zu sein ist quasi unhöflich, Konzerte beginnen gern mal weit mehr als eine Stunde später als angesagt und es kann passieren, dass der Kite-Lehrer nicht wie verabredet auftaucht, weil er auf Wanderschaft mit seinem Esel ist (wahre Geschichte).
Für Menschen wie mich, die in der deutschen Korrektheit ihre an eine Zwangsstörung grenzende Organisiertheit unbeschwert ausleben können, kann dieses Maß an Spontanität schon mal herausfordernd sein. Das Schöne aber ist, dass der Mensch ein sogenanntes Gewohnheitstier ist und ich nach ein paar Tagen die Vorstellung, in meinen Nine-to-five-Job zurückzukehren, als völlig absurd empfand.
Excel oder Esel: Das ist hier die Frage
Ich habe ziemliches Glück mit meinem Job, weshalb es anmaßend wäre, sich zu beklagen. Es geht in meinen Gedanken auch weniger um meinen Job per se als um das Konzept Arbeiten als solches. Na klar, Nine-to-five ist kein Muss. Außer, wenn du in einer Stadt wie Berlin deine Miete bezahlen möchtest. Meine Freelancer-Freund*innen kratzen mit Anfang 30 am Burn-out und die wenigen, die sich nach der Uni für die Promotion entschieden haben, arbeiten rund um die Uhr und verdienen weniger als andere in einer Halbtagsstelle.
Warum tun wir uns das an? Wir arbeiten für das Geld, das wir brauchen, um in den Urlaub zu fahren, um uns von besagter Arbeit zu erholen. Okay, das war eine rhetorische Frage. Ich weiß schon: Wirtschaft dies das, geht nicht anders, haben wir schon immer so gemacht, is‘ halt so. Aber wenn man in Olhão am Hafen sitzt und seinen zweiten Port Tonic im Sonnenuntergang trinkt, ergibt es plötzlich so viel mehr Sinn, mit einem Esel auf Wanderschaft zu gehen, als Excel-Tabellen auszufüllen. Verschwende ich etwa mein Leben?
Warum Auswandern auch keine Lösung ist
Ich bin nicht die einzige, die solche Gedanken hat. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zeigt, dass viele junge Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss das Land verlassen – und fast immer wieder zurückkehren. Viele der Befragten sind aus Karrieregründen ausgewandert. Ich bin mir aber fast sicher, dass auch der eine oder die andere einfach nur das deutsche Wetter satt hatte. Dass sie wiederum zurückgekommen sind, finde ich spannend. Ich wüsste so gerne, weshalb.
Also habe ich meine Freund*innen gefragt, warum sie nicht schon längst das Handtuch geworfen und eine Pommesbude auf Malle eröffnet haben. Ein kleiner Teil antwortete, ihre Arbeit sei ihre Passion. Beruf kommt von Berufung und so. Bei ihnen stellte sich die Frage, wieso sie sich das eigentlich antun, überhaupt nicht. Sie betrachten ihren Job als Erfüllung. Die überwiegende Mehrheit allerdings betrachtet das Arbeitsleben ähnlich nüchtern wie ich: Man arbeitet, um zu leben. Das Geld nutzt man für Dinge, die das Leben schöner machen. Puh, das soll alles sein? Zum Glück nicht: Ein Freund brachte mich auf einen Gedanken, den ich so vorher noch nie hatte. Und ich glaube, ich weiß jetzt, warum ich mir ein Leben von Urlaub zu Urlaub ausgesucht habe.
Ich mag es, morgens aufzustehen und zu wissen, was ich zu tun habe.
Dieser Freund sagte: „Ich arbeite, um eine Aufgabe zu haben. Und für die Routine.“ Und da wurde mir bewusst: Ich auch! Struktur, Sicherheit, Planbarkeit – das sind Dinge, die ich einfach brauche, um mich gut zu fühlen. Andere hingegen brauchen die Leidenschaft für das, was sie tun. Vielleicht auch das Gefühl, etwas zu verändern. Dafür opfern sie ihre Freizeit und ihre Nerven – etwas, wofür ich nicht bereit wäre. Ist das egostisch? Kann sein. Für wieder andere ist die Freiheit, mit einem Esel auf Wanderschaft gehen zu können, der Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Ich begann also zu verstehen: Erfüllung bedeutet nicht zwangsläufig, erfüllt vom Inhalt dessen zu sein, was man beruflich macht. Erfüllung kann auch bedeuten, nach seinen eigenen Regeln zu leben. Oder – wie bei mir – ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zu haben.
Ich gebe zu: Es hilft, einmal pro Woche die Excel-Tabellen gegen das Schreiben von Texten wie diesem tauschen zu können. Das könnte man durchaus eine Leidenschaft nennen. Ich mag die Abwechslung, die zwei Jobs mit sich bringen. Aber ich mag es eben auch, morgens aufzustehen und zu wissen, was ich zu tun habe. Und wenn ich mal ganz ehrlich bin: Am Ende eines jeden Urlaubes freue ich mich auch immer ein bisschen, in mein graues Berlin zurückzukehren. Zu meinen Excel-Tabellen, meinen Strukturen, meinem Terminen. Kurz: zu meinem Leben.