Knochenbrüche und Bade-Tangas: ein Sommermärchen

© Hella Wittenberg

Früher Montagabend gegen 17.30 Uhr, ich sitze in der Bar des Adlon Hotels und warte auf einen wichtigen Anruf. Gerade habe ich mit einem Kopfnicken die dritte Bloody Mary bestellt, außer mir sind nur wenige Ölscheichs, Exil-Oligarchen und Verbrecher anwesend. Plötzlich fährt ein stechender Schmerz durch meinen rechten Fuß, ich kann nur mühsam verhindern, einen lauten Fluch auszustoßen. Vor Wut lass' ich mir direkt noch ein Bier zum Cocktail kommen.

Es ist immer demütigend, sich aus eigener Dämlichkeit einen Zeh zu brechen. Noch nie habe ich von einem Vorfall gehört, bei dem sich jemand mit Würde den Zeh gebrochen hätte. Aber an dem betreffenden Tag war bei mir sowieso schon der Wurm drin. Das Kind wollte auf Teufel komm raus ins Schwimmbad, also gingen wir nur mit Handtüchern und einem Zehner als Eintrittsgeld bewaffnet in den nahegelegenen Humboldthain. Am Eingang dann der erste Abturn, als uns zwei Securitys den Weg versperrten, hochgerüstet wie Wachsoldaten an einem Wüsten-Checkpoint.

„Ausweis, bitte“, blaffte einer von ihnen.

„Guter Mann“, sagte ich. „In welcher Naht meines modischen Bade-Tangas soll ich denn bitte einen Ausweis verstecken?“

„Ohne Ausweis könnt ihr nicht rein.“

Kollektives Nachsitzen für Berlin

Wir also schimpfend zurück zur Wohnung. Déjá-vu-Gedanken an die eigene Schulzeit. Kollektives Nachsitzen. Denn warum soll ich meinen Ausweis herzeigen, nur weil sich in Neukölln irgendwelche präpotenten Proleten am Sprungturm den Schädel einschlagen müssen?

Derart geschuhriegelt folgte ich meinem Kind durch die Widrigkeiten des Freibads, als das Schreckliche geschah. „Pass auf, der Boden ist rutschig!“ Wie viele unzählige Male hat man diesen Satz schon von sich gegeben? Doch weil mein erbostes Ego nur darauf wartete, irgendeine Zurechtweisung des Bademeisters zu provozieren, um dann RICHTIG aus dem Koffer zu hüpfen, achtete ich nicht auf den tückischen Boden.

Gerade als der Barmann des Adlon die horrende Rechnung präsentiert, klingelt mein Telefon. Ich notiere mir die durchgegebene Adresse und humple zum Linden-Ausgang. Versteht sich von selbst, dass ich wegen so einer Lapallie wie einem gebrochenen Zeh nicht meine Ärztin behelligt habe. Stattdessen schaute ich mir bei Youtube die fachgerechte Anleitung für einen Dachziegel-Verband an, und tapte das Ding selbst an den Nachbarzeh. Alles tiptop.

Ich empfehle allerdings, niemandem aus der medizinischen Zunft von solchen Selbstbehandlungen zu erzählen. Da reagieren sie äußerst biestig. Schließlich ist es überhaupt nicht in ihrem Sinne, wenn man ihre Allmacht infrage stellt. Als Schriftsteller habe ich gefälligst zu respektieren, dass jeder Depp glaubt, schreiben zu können. Aber wehe, man maßt sich an, ins Handwerk der werten Ärzte zu pfuschen!

Urbane Mythen muss man ergründen

Wie auch immer, der erwartete Anruf führt mich nach Prenzlauer Berg, wohin genau, verrate ich nicht. Es gilt nämlich, einem urbanen Mythos auf die Spur zu kommen. Seit Jahren höre ich davon, dass es ausgewählte Orte geben soll, an denen man einfach so Drogen kaufen kann, in diesem Fall mundgerecht zubereitete Pilzschokolade, sprich: Psilocybin. Mal sind es Kneipen, mal Spätis, mal Headshops, die diesen Service anbieten. Die häufig wechselnden Standorte werden natürlich nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda weitergetragen. Und nur die Kenntnis des richtigen Ortes reicht noch lange nicht aus, tatsächlich bedient zu werden.

„Ich hätte gern noch ein Stück Schokolade dazu“, sage ich, als der Verkäufer mein Bier abkassiert. Es ist ein heikler Moment. Soll man beim Wort „Schokolade“ gestische Gänsefüßchen in die Luft zeichnen, oder vielleicht eindringlich zwinkern? Schließlich gibt es in dem Laden auch völlig gewöhnliche Süßigkeiten. Zum Glück sehe ich zwar ziemlich normal, für das geschulte Auge dann aber doch eher nach Druffi als nach Zivibulle aus. Ohne mit der Wimper zu zucken, reicht der nette Hippie mir einen unauffällig verpackten Riegel. Fünf Rippchen – fünf Trips.

Street credibility ist alles

An der nächsten Straßenecke spüle ich direkt eine Dosis mit Bier hinunter. Immerhin besteht auch die Möglichkeit, dass es ein Nepp ist, und ich dreißig Euro für Placebos verschleudert habe. Da noch genug Zeit bleibt, fahre ich dann in den Wedding zur POCO Domäne, um Bettwäsche zu kaufen. Das stand schon lange auf meiner Liste. Und was soll ich sagen? Während ich dort durch die Gänge humple, ballert die Schokolade so richtig rein.

Die Moral von der Geschichte ist, dass sich endlich mal ein urbaner Mythos bestätigt hat. Aus naheliegenden Gründen will ich die besagte Location nicht preisgeben. Aber die Druffis unter euch werden den Ruf eines Tages schon noch vernehmen. Kauft euch ein eiskaltes Corona und fünf Tickets to the moon und lasst es euch gutgehen. Auf Pilzen zu POCO Domäne zu gehen, kann ich allerdings nicht vorbehaltlos empfehlen.

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