Der Berliner Sommer will mich unten sehen

© Hella Wittenberg

Was war das doch für ein Juli! Ich werde mich für immer daran erinnern. An das Rauschen der Bäume im Sturm, die eiskalten Nächte. An den goldenen Schein der Sonne, der sich unter den Bäuchen der Gewitterwolken hindurch mogelte und sie noch bedrohlicher aussehen ließ. An das Verstummen der Bäume, nachdem der Sturm sie schließlich umfegte. An den Hagel, den Nebel, den Regen, den Regen, den Regen.

Wie Bryan Adams saß ich allabendlich auf dem Balkon, in mehrere Decken eingewickelt, und zupfte stoisch an meiner Klampfe. Oh, when I look back now / That summer seemed to last forever. Nun ist der August da und die Lage scheint noch genauso verzwickt. Ein Tagestrip nach Stettin fällt komplett ins Wasser. Nicht weiter schlimm, denke ich, während ich durch überflutete polnische Straßen wate. Immerhin habe ich einen Schirm dabei. Meine Schuhe brauchen im Anschluss vier Tage, bis sie wieder getrocknet sind.

Hagel, Regen und Sturm

Was ich außerdem denke: Bei all dem Regen dürfte doch heuer wenigstens das Geflenne wegen des sinkenden Grundwasserspiegels ausbleiben. Ich habe mich in den letzten Jahren an jedem einzelnen sonnigen Tag dermaßen mies gefühlt! Jeden wunderschönen Sommerabend habe ich verflucht wegen der steigenden Waldbrandgefahr. Wer bei schönem Wetter ein schlechtes Gewissen haben muss, sollte bei schlechtem Wetter ein gutes Gewissen haben dürfen, oder? Richtig? Nein, leider falsch. Bei uns im Osten ist immer noch Dürre. Es heißt also weiter stramm Wasser sparen. Wer seinen Pool füllt, wird erschossen. Denn es muss weiterhin gewährleistet sein, dass Tesla täglich circa 17 Milliarden Liter aus dem Grundwasser abpumpen kann.

Wer seinen Pool füllt, wird erschossen. Denn es muss weiterhin gewährleistet sein, dass Tesla täglich 17 Milliarden Liter aus dem Grundwasser abpumpen kann.

And if I had the choice / I'd always wanna be there / Those were the best days of my life. Das Wochenende verheißt Gutes. Einhundert Sternschnuppen pro Stunde bei klarem Himmel am Samstag. Die Wettervorhersage prophezeit klaren Himmel. Mit Frau, Kind und meinem Hund, den ich liebevoll „Nachfolgende Generationen“ getauft habe, geht’s in den Berliner Süden, zur Britzer Gartennacht.

Verzauberte Elfen auf Stelzen, Samba-Tänzerinnen auf einem schwimmenden Floß, Musik, Bier und Würstchen an allen Ecken und Enden. Etwa zwei Stunden geht das so. Dabei ist es so schwül, dass wir uns mehrmals in den verschiedenen Kneipp-Bädern abkühlen müssen. Schließlich der Höhepunkt: eine Art Ei, in dem irgendein armes Wesen im Drachenkostüm ausharren musste, um nun wirkungsvoll für die Kinder zu schlüpfen. Kaum ist das passiert, geht das Gewitter los. Weit und breit nichts zum Unterstellen. Im Laufschritt durch eine Kleingartenanlage, die sich in ein Wasserinferno verwandelt hat. Sternschnuppen am Arsch.

Back in the summer of '23

Und dann plötzlich doch: Sonne. Am Sonntag. Galopprennbahn Hoppegarten, wieder einmal. Mein Kind und ich sitzen mit Bier und Saft auf der Tribüne, der kühle Wind lässt uns die drückende Hitze kaum spüren. Es könnte so schön sein. Sämtliche Wetten habe ich fachmännisch platziert. Der Reichtum liegt in greifbarer Nähe. Doch mit dem voranschreitenden Tag höre ich immer die gleichen Fragen: „Papa, warum hat unser Pferd verloren? Papa, wann gewinnen wir mal? Wie viel Geld haben wir jetzt insgesamt schon verloren?“ Natürlich immer so laut, dass sämtliches Volk um uns herum zuhören kann.

Am Ende weiß ich nur eins: Ich bin der größte Loser aller Zeiten, selbst der Sommer will mich unten sehen. Der Regen kommt immer dann, wenn ich ihn am wenigsten brauche. Meine Pferde haben ausnahmslos den Start verstolpert, wurden an der Innenbande eingekeilt oder sind gar nicht erst angetreten. Aber wenigstens das Kind strahlt. Für sie war es ein perfekter Sommertag. Was will man mehr. And when you held my hand / I knew that it was now or never / Those were the best days of my life / Back in the summer of '23.

Zurück zur Startseite