Kieztour: So verbringt ihr einen schönen Tag auf der Karl-Marx-Allee
Die Karl-Marx-Allee erstreckt sich zwischen Friedrichshain und Mitte und ist wohl vor allem dank ihrer unverkennbaren Wahrzeichen bekannt: den beiden Turmbauten am Frankfurter Tor, zwischen die sich unverschämt fotogen der Fernsehturm in der Ferne gesellt. Viele machen vermutlich nach der Vintage-Jagd im fünfstöckigen Humana Secondhand Shop um die Ecke nur einen Schnappschuss von dieser Aussicht, ohne jemals in den etwa zwei Kilometer langen ehemaligen Prachtboulevard der DDR einzubiegen. Dabei könnt ihr einen richtig schönen Tag auf der Karl-Marx-Allee verbringen, wie wir euch gleich zeigen werden.
Die Allee, die vom Frankfurter Tor bis zum Alexanderplatz reicht, ist mit Sicherheit nicht so wuselig wie der benachbarte Boxhagener Kiez und hat bei Weitem nicht dieselbe Bardichte wie die Simon-Dach-Straße. Auch einen Späti sucht man vergeblich. Dafür hat die Nordseite der Flaniermeile einen komplett begrünten Seitenstreifen, wo große Linden Schatten spenden und den Verkehr ausblenden. Auf den weiten Gehwegen des 90 Meter breiten Boulevards fühlt es sich ein bisschen so an, als sei die Zeit stehengeblieben, mit den Original-Leuchtröhren-Schriftzügen aus den 1950ern, die viele Läden behalten haben. Nur dass man dort inzwischen coole Cafés und Designläden findet. Aber es ist genau dieser spannende Mix aus Alt und Neu, der die Karl-Marx-Allee ausmacht. Allein schon aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte und Architektur ist sie einen Besuch wert.
Die Karl-Marx-Allee, die bis 1961 noch Stalinallee hieß, wurde in den 50ern aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs als Prestigeprojekt der DDR erbaut. Mit Orientierung am sowjetischen Klassizismus entstanden hier links und rechts vom breiten Boulevard die "Arbeiterpaläste": unten Geschäftszeile, oben monumentale Wohngebäude mit prächtigen Keramikfassaden, Stuckverzierung, großen Balkonen, schmückenden Bildelementen und römischen Säulen. Champs-Élysées, but make it communist. Die breiten Straßen sollten Militärparaden und Staatsbesuchen dienen, waren aber auch Ort für den Aufstand vom 17. Juni. Entlang der ganzen Straße findet ihr Tafeln mit Informationen zu den verschiedenen architektonischen Stilrichtungen und historischen Begebenheiten. Aber mit leerem Magen solltet ihr nicht starten. Also erstmal frühstücken!
1. Entspannt frühstücken und auf den Tag einstimmen bei OM Coffee
Einen kurzen Fußmarsch vom Frankfurter Tor entfernt findet ihr den perfekten Anlaufpunkt, um euch für den Tag zu stärken. Zu den wechselnden Kaffee-Spezialitäten zählt zum Beispiel indischer Zichorienkaffee, der mit Jaggeree, einem in Südostasien sehr beliebten unraffiniertem Rohrzucker, in goldenen Bechern serviert wird. Für den kleinen und großen Hunger gibt es Frühstücksklassiker wie Avocadotoast, French Toast und Rührei sowie eine stets gut gefüllte Kuchenvitrine mit selbstgemachten Köstlichkeiten.
Am Wochenende wird mit großem Brunch aufgewartet: Bei "Mister Truffle" kommen Sauerteigbrot, Portobello-Pilze, pochierte Eier, Kartoffelspalten und natürlich Trüffelöl auf den Teller. Fleischlos glücklich wird man mit Eggs Benedict mit veganem Bacon oder dem gänzlich veganen Auberginen-Hummus-Toast. Absolutes Highlight für Zuckerschnuten ist jedoch die Spezialität des Hauses: Syrniki alias russische Quarkpfannkuchen mit Pistazien und gesalzenem Karamell. Yummy! Ihr könnt entweder draußen das Treiben beobachten oder es euch drinnen im erst im April vollständig renovierten Café auf gemütlichen braunen Ledersesseln vor Pflanzentapete gemütlich machen – gerne auch mit Hunden, die sind hier ausdrücklichst erwünscht. Bester Platz: Ganz klar das Sofa auf der Empore direkt vor der riesigen Fensterfront.
Noch mehr vegane Frühstücksauswahl findet ihr übrigens ein paar Meter weiter im Pretty Café Deli.
OM Coffee | Karl-Marx-Allee 136, 10243 Berlin| Mittwoch – Freitag: 08–18 Uhr, Samstag – Sonntag: 10–18 Uhr | Mehr Info
2. Internationale und zeitgenössische Kunst gucken bei Peres Projects
International geht es in der Galerie tatsächlich zu: Peres Projects hat auch Dependencen in Seoul und Mailand. Der Galeriegründer Javier Peres war als Kind im Turnkader seiner kubanischen Heimat und trainierte in den 1970ern in einem DDR-Sportzentrum auf eben jener Karl-Marx-Allee, wo heute auch seine Galerie steht. In den luftigen Räumen mit himmelhohen weißen Decken und Blick auf die Allee könnt ihr in wechselnden Ausstellungen die Werke zeitgenössischer und oftmals junger Künstler*innen betrachten. Noch bis zum 2. September 2023 seht ihr dort "The Gardener Dies With The Garden" vom 26-jährigen dänischen Künstler Anton Munar, der seine erste Ausstellung in Berlin hat. Seine Bilder und Installationen fangen die Vergänglichkeit von Natur ein, inspiriert von dem Garten in Mallorca, in dem der junge Mann seine Kindheit verbrachte. Ein schöner Ort für eine kleine Kunstpause.
Ebenfalls kostenlos gelangt ihr in die kleine Galerie im Turm, direkt in einem der Wahrzeichen der Allee, dem nördlichen Turm. Wer weniger auf Kunst und mehr auf Zocken steht, dem*der sei das Computerspielemuseum wärmstens ans Herz gelegt. Dort könnt ihr eine bunte Zeitreise durch die Spielegeschichte der letzten 25 Jahre machen, von Original-Spieleautomaten aus den 1980ern, mit Retro-Spielen wie Donkey Kong oder Space Invaders bis zu aktuellen 3D-Spielen – und natürlich nicht nur gucken, sondern auch ausprobieren.
Peres Projects | Karl-Marx-Allee 82, 10243 Berlin | Montag – Samstag: 11–18 Uhr | Mehr Info
3. Auf Möbeljagd gehen im Bo Concept Store
Natürlich gehört zu einer Kieztour auch ein kleiner Shoppingtrip. Der führt uns zum Bo Concept Store und damit zu einem kleinen Ausflug nach Skandinavien. Die dänische Designmarke hat vier Läden in Berlin, das Geschäft am Strausberger Platz ist jedoch besonders schön. Auf zwei Ebenen gibt es Möbel en masse, die uns Hygge-Gefühl in die eigenen vier Wände bringen. Von Sofas, Esstischen, Stühlen, Lampen und Geschirr findet man hier alles, was das Einrichtungsherz begehrt oder kann sich beim Stöbern einfach mal inspirieren lassen. Die Designware kommt nicht gerade günstig, es lohnt sich aber, nach den stark reduzierten Ausstellungsstücken Ausschau zu halten. Außerdem sind Gartenmöbel gerade im Sale, also schnell vorbeischauen!
Und wenn ihr schon gerade die Wohnung umgestaltet: Auf der Karl-Marx-Allee könnt ihr bei Bad Couture und im Authentic Kitchen Showroom der Noodles Noodles & Noodles Corp. gleich auch noch Bad und Küche mit individuellen Designs ausstatten.
Bo Concept Store | Strausberger Platz 19, 10243 Berlin | Montag – Samstag: 10–19 Uhr | Mehr Info
4. Einen Boxenstop im Grünen einlegen
Eine kurze Rast im Grünen kommt jetzt wohlverdient. Grün ist es auf der Karl-Marx-Allee zum Glück überall und man kann sich jederzeit auf einer der vielen Bänke unterm Blätterdach setzen. Unser Lieblingsplatz ist jedoch der wunderschöne Rosengarten in der Nähe des U-Bahnhofs Weberwiese. Die grüne Rasenfläche ist von Rosenbeeten umgeben sowie einer blumenumrankten, weißen Pergola. In dieser kleinen grünen Oase trifft man sowohl auf zeitungslesende Rentner*innen als auch auf spielende Kinder und chillende Studierende. Direkt gegenüber erinnert eine kleine Mauer mit Gedenktafel an den Aufstand vom 17. Juni, der hier begann.
Einen Späti findet man auf der Karl-Marx-Allee zwar nicht, aber beim Markt an der Weberwiese nebenan bekommt ihr sogar noch Coffee-to-go für einen Euro. Oder ihr löscht euren Durst im Freien im James June Sommergarten.
Rosengarten | Karl-Marx-Allee 103, 10243 Berlin
5. Arthouse Filme schauen im denkmalgeschützten Kino International
Das unter Denkmalschutz stehende Kino mit markantem Kastenbau diente früher als DDR-Premierenkino – hier flimmerte 1987 auch zum ersten Mal Dirty Dancing über die Leinwand. Leinwand in der Einzahl, denn es gibt bis heute nur einen einzigen Kinosaal und deshalb begrenzte Filmauswahl. Versucht euch auf jeden Fall einen Platz in der achten Reihe zu sichern, denn die war früher hohen Parteifunktionären vorbehalten, dank bester Sicht und mehr Beinfreiheit. Welcher Film gerade läuft, könnt ihr dem Gebäude selbst entnehmen: An der Außenwand prangt jeweils ein riesiges, von Hand bemaltes Filmplakat vom aktuellen Streifen. Nach dem Abspann müsst ihr nicht gleich nach Hause, denn das 60er-Jahre-Flair des Foyers und die Aussicht aus der Panorama-Bar im obersten Stockwerk laden zum Bleiben ein.
Gegenüber vom Kino befindet sich neben der Veranstaltungsstätte Café Moskau auch der komplett verglaste Salon Babette, wo ihr euch in entspannter Atmosphäre einen kleinen Umtrunk genehmigen könnt.
Kino International | Karl-Marx-Allee 33, 10178 Berlin | Mehr Info
6. Omurice schlemmen und mit Sake runterspülen bei Izakaya Yancha
Das Izakaya Yancha hat erst vor vier Monaten seine Pforten eröffnet und sorgt nun für japanische Leckereien auf der Karl-Marx-Allee. Izakaya nennt man in Japan eine traditionelle Kneipe, wo man neben Sake auch verschiedene Kleinigkeiten zum Essen bekommt. Das Yancha bietet natürlich eine Auswahl von Reisweinen an, aber vor allem geht hier niemand hungrig nach Hause! Es gibt Kushiyaki (gegrillte Spieße mit Gemüse, Tofu oder Fleisch), Onigiri, Ramen, Tempura, Misosuppe, Udonnudeln und vieles mehr. Spezialität des Hauses ist der ebenso simple wie geniale Küchenklassiker aus Japan: Omurice. Dabei wird gebratener Reis mit Gemüse und Fleisch von einem fluffigen Omelett bedeckt, das sich mit gezieltem Einschnitt vom Essstäbchen über das ganze Gericht verteilt – einfach nur lecker!
Ihr könnt draußen unter dem Schatten der Bäume Platz nehmen, aber reingehen lohnt sich. In schnuckeligen Separées oder an großen Tischen sitzt ihr bei gedämpftem Licht zwischen rotem Samt, dunklem Holz und Lampions und habt durch die großen Fenster den Boulevard immer im Blick. Ein perfekter Abschluss für einen schönen Tag auf der Karl-Marx-Allee.
Izakaya Yancha | Karl-Marx-Allee 141, 10243 Berlin | Montag – Sonntag: 12–23 Uhr | Mehr Info
GOOD TO KNOW: WICHTIGE INFOS ZUR Karl-Marx-Allee AUF EINEN BLICK
So kommt ihr hin: Mit der U5, der M10 oder der M21 bis zum Frankfurter Tor fahren. Oder ihr beginnt vom anderen Ende der Allee und startet vom Alexanderplatz aus.
Unser Highlight: Der blühende Rosengarten mit seinen Blumenranken inmitten der Karl-Marx-Allee.
Unsere neueste Entdeckung: Das Izakaya Yancha. Einmal quer durch die Speisekarte futtern, bitte!
Sidefact: Die Karl-Marx-Allee ist sogar noch 20 Meter breiter als ihre viel berühmtere französische Schwester, die Champs Élysées.
Kennt hier jede*r: Das Café Sybille, ein echtes Relikt aus den 1950ern. Früher als "Milchtrinkhalle" bekannt, sieht man heute noch die Original-Wandbemalungen des damaligen Eiscafés. Außerdem findet ihr dort eine Ausstellung über die Geschichte der Karl-Marx-Allee – und noch ein Ohr der Stalinstatue, die einst auf der Allee stand.