Berlin hakt nach: Wieso fährt am Gleisdreieckpark eine U-Bahn durchs Haus?
Dass die quietschgelben U-Bahnen in Berlin statt unterirdisch auch gerne über unseren Köpfen auf Hochtrassen entlangdonnern, ist ein gewohnter Anblick. Aber eine U-Bahn, die mitten durch ein Wohnhaus fährt? Das ist dann doch sehr skurril. Genau dieses Szenario bietet sich jedoch in der Dennewitzstraße, zwischen Kreuzberg und Mitte. Durch das Gebäude mit der Hausnummer 2 fahren alle paar Minuten auf Höhe des dritten Stockwerks die U1 und U3 durch – über 600 Züge pro Tag, auch nachts. Aber warum eigentlich?
Der historische Grund für die Hausdurchfahrung liegt ganz in der Nähe, am U-Bahnhof Gleisdreieck. Dort fahren heute auf zwei Ebenen oben die U1 sowie U3 und unten die U2. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hier noch ein tatsächliches Dreieck aus Gleisen in luftiger Höhe, das mit einem Weichenstellungssystem operierte. 1908 kam es jedoch zu einem schrecklichen Unfall, bei dem ein Waggon acht Meter in die Tiefe stürzte. Das führte zu einer großen Umbaumaßnahme mit mehr Sicherheitsvorkehrungen.
Aber schon bei der Fertigstellung des Bahnhofs im Jahre 1912 stellte man fest: Bei der schieren Masse an Fahrgästen auf der Strecke muss die Trasse unbedingt noch weiter ausgebaut werden, und zwar gen Westen. Beim Bau der Entlastungsstrecke zwischen Gleisdreieck und Nollendorfplatz gab es allerdings noch ein entscheidendes Hindernis – das Wohnhaus in der Dennewitzstraße 2. Also hieß es: entweder alles abreißen oder die Bahn mitten durch das Haus führen. Beides war mit ähnlichen Kosten verbunden, also fiel die Wahl auf letzteres.
Unterbrochen vom Ersten Weltkrieg wird das damals aufsehenerregende Projekt 1926 schließlich fertiggestellt. Schon vor über 100 Jahren bedachte man bei den Bauplänen die Hausbewohner*innen und sorgte für ordentlich Lärmschutz. Damals wie heute stellt ein Mantel aus einer doppelwandigen, mit schallisolierendem Material bestückten Röhre sicher, dass den Mieter*innen nicht jedes Mal vor Schreck das Glas aus der Hand fällt, wenn eine Bahn neben ihrer Küchenwand vorbeizischt.
Die Hausdurchfahrung ist nicht die einzige Veränderung, die der Altbau aus dem Jahr 1877 miterlebt hat. Der direkt angrenzende Park am Gleisdreieck ist auch ein eher jüngerer Zuwachs. Dort wo sich heute Leute auf dem Rasen fläzen und in den Containern des BRLO Brwhouse Craftbeer schlürfen, war früher eigentlich eine Rangierfläche für Züge. Nach der Teilung Berlins lag die Fläche lange Zeit einfach nur brach, Werkstätten und ein Club hatten ein kurzes Zwischenspiel. Die über 30 Hektar große Grünfläche, auf der sich neben einem Skaterspot auch ein Wildwuchsbiotop zwischen alten Gleisanlagen befindet, konnte nicht zuletzt dank Bürger*inneninitiativen ab 2011 eröffnet werden.
Eine ganz schön spannende Ecke im ständigen Umbruch – aber der größte Flex ist und bleibt einfach das Haus, in dem jeden Tag hunderte Züge verschwinden.