Alles beim Alten: Habe ich Angst vor Veränderung?

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Meine seltsamste Eigenschaft ist, dass ich gerne bei Umzügen helfe. Nicht etwa, weil ich ein ach so selbstloser Mensch bin oder die Herausforderung liebe. Ich bin einfach wahnsinnig gern in leeren Wohnungen. Eine neue Wohnung öffnet im wahrsten Sinne unglaublich viele Türen. Welcher Raum wird das Wohnzimmer, wohin kommt das Bett, wie soll die Küche aussehen? Eine neue Wohnung ist wie eine weiße Leinwand. Ich bin jedes Mal neidisch auf die neuen Bewohner*innen, dass sie den Pinsel in der Hand nehmen und nicht ich.

Mein erster und letzter eigener Umzug ist zehn Jahre her. Mit 20 Jahren zum Studium eingezogen, werde ich auch meinen 30. Geburtstag in meiner ersten Wohnung verbringen. Vor Kurzem ist mir aufgefallen, wie besonders das hier in Berlin ist. Alle meine Freund*innen haben in regelmäßigen Abständen die WG-Zimmer gewechselt, sind mit ihren Partner*innen zusammengezogen, sind wieder auseinandergezogen, haben alle Bezirke durch. Keine*r ist mehr da, wo er oder sie vor zehn Jahren war. Nur ich – ich bin immer noch da, wo ich immer war.

Lebensmotto: Nervöse Gleichförmigkeit

Acht Jahre dieselbe Uni (Bachelor und Master an derselben Fakultät wohlbemerkt), neun Jahre mit demselben Partner und zehn in derselben Bude. Das Mutigste, was ich je getan habe, war ein Erasmus-Semester in Paris. Unzählige Male habe ich mir vorgenommen, mich an Journalistenschulen oder auf Jobs außerhalb Berlins zu bewerben – nicht einmal hab ich's gemacht. Immer, wenn es ernst wird, komme ich ins Relativieren. Bestimmt schaffe ich's auch ohne Journalistenschule und jetzt aus Berlin wegziehen wäre ja auch Quatsch, schließlich hab' ich einen Freund und zwei Katzen, wie soll das funktionieren, eigentlich bin eh schon zu alt dafür. Und überhaupt: Ich bin doch glücklich, so wie's ist.

Das Problem ist: Wir Menschen sind unglaublich gut darin, uns selbst zu manipulieren. Und da habe ich mich gefragt, ob ich wirklich glücklich bin, oder ob ich einfach nur eine riesige Angst vor Veränderung habe. Und das ist seltsam, denn eigentlich bin ich ein Veränderungsfan. Meine Wohnung wurde in den letzten zehn Jahren Hunderte Male umgestaltet, die Wände gestrichen, die Möbel gewechselt. Ich dekoriere saisonal! Jedes Mal, wenn ein Projekt beendet ist, treibt mich das nächste um. Der Punkt, an dem ich mich zufrieden zurücklehne und denke "So kann es bleiben", tritt einfach nicht ein. Ich stagniere also einerseits, bin dabei aber extrem nervös. Hätte, würde, könnte … Wie zur Hölle werde ich diese Unruhe los?

Wem's zu gut geht, wird zum Perfektionisten

Ich habe eine sehr kluge Freundin, die sich ein bisschen mit der menschlichen Psyche auskennt. Und wie gesagt – ich liebe Routinen und deshalb sind wir inzwischen ganze 15 Jahre befreundet. Sie kennt mich also ziemlich gut. Ich habe sie gefragt, was sie denkt: Warum bleibt in meinem Leben alles gleich, obwohl ich mich eigentlich nach Veränderung sehne? Ihre Antwort: "Dir geht’s einfach zu gut". Ha. Aber sie hat recht: Menschen ziehen um, weil sie sich mit ihrer WG verkracht haben oder die alte Wohnung eine Bruchbude war. Menschen wechseln den Job, weil sie kurz vor dem Burn-out stehen. Und Menschen beenden ihre Beziehung, weil sie unglücklich sind.

Ich aber habe das große Glück, zehn Jahre vor allen anderen eine schöne und bezahlbare Wohnung gefunden zu haben. Auch mit dem Partner fürs Leben war ich früher dran als meine Freundinnen. Und mein Studium hat mir Spaß gemacht, genauso wie ich happy im Job bin. "Um dich herum verändert sich so viel, dass du die Gleichförmigkeit in deinem Leben als Problem wahrnimmst. Dabei bist du einfach schon da, wo du dich wohlfühlst. Wärst du unglücklich, würdest du Konsequenzen ziehen. Wer Angst vor Veränderung hat, bleibt auch in unerträglichen Situationen. Deine Situation ist das Gegenteil von unerträglich. Und weil du eine Perfektionistin bist, gehst du auf Fehlersuche. Vielleicht schaust du dir einfach mal eine Weile keine Designerwohnungen mehr von irgendwelchen Influencern auf Instagram an".

Tja. Wer solche Freundinnen hat, braucht keine*n Therapeut*in mehr.

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