Wenn Dreißig das neue Zwanzig ist, dann will ich vierzig sein
Vor zwei Wochen bin ich dreißig geworden. Etwa zeitgleich mit der Überlegung, wie und wo ich mich gebührend feiern kann, begann auch das Grübeln. Dreißig. So alt war meine Mutter, als ich zur Welt gekommen bin. Britney Spears hatte mit dreißig sowohl Karriere als auch Absturz hinter sich gebracht. Elon Musk war mit dreißig Millionär. Und befänden wir uns im Jahr 1800, hätte ich bereits die Spitze meiner Lebenserwartung erreicht.
"Dreißig ist das neue Zwanzig", pflegen meine Freund*innen zu sagen, von denen einige die Big Three schon vor vielen Jahren überschritten haben und die trotzdem noch problemlos Freitag bis Montag im Sisy feiern. Karriere, Kinder, Lebensziele – das alles spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Wir haben noch so viel Zeit! Man ist so alt, wie man sich fühlt. Lebe im Moment. Carpe diem. Yolo!? Oh Gott, bitte. Ich bin alt!
Dirty Thirty – und dann ab in die Quarterlife Crisis?
Weil ich alt bin, habe ich auch ein Faible für meist schlecht gealterte Serien aus den 2000ern, weil sie mich an eine Zeit erinnern, in der mir die Menschen im Fernsehen noch wahnsinnig erwachsen vorkamen. Und egal ob "Sex and the City" oder "Desperate Housewives": Der dreißigste Geburtstag bedeutet nie etwas Gutes. Meistens erleiden die Protagonistinnen einen Nervenzusammenbruch, nachdem sie mit "M'am" angesprochen wurden, dann wird irgendwo ein graues Haar entdeckt und am Ende das gesamte bisherige Leben infrage gestellt.
Ich war durchaus gewillt, mich dieser Einstellung zu meinem neuen Lebensabschnitt anzuschließen und ebenfalls in eine Quarterlife Crisis zu verfallen. Das schien mir zumindest naheliegender, als es wie meine Freund*innen zu machen und mich einfach wieder wie zwanzig zu fühlen. Anfang zwanzig – das war 'ne Zeit. Jeden Tag Spaghetti mit passierten Tomaten. Immer Ärger mit den Nachbar*innen wegen der WG-Party von gestern Nacht. Grundkurs Mittelhochdeutsch II skippen, weil das Wetter einfach zu gut ist. Ich habe meine Zwanziger geliebt. Aber Himmel, bin ich froh, dass sie vorbei sind!
Ich bin langweilig! Und ich habe einen riesen Spaß dabei.
Wenn Dreißig das neue Zwanzig ist, dann will ich vierzig sein. Ich will nicht mehr stundenlang in Clubschlangen anstehen, um die Nacht mit schalem Bier und pseudo-philosophischen Gesprächen zu verbringen. Ich will Döner nicht mehr für eine vollwertige Mahlzeit halten. Ich mag Quizsendungen in der ARD, kaufe Ottolenghi-Kochbücher und werde um 22 Uhr müde. Ich baue Kräuter auf dem Balkon an. Meinen Urlaub will ich nicht mehr auf Bali verbringen, sondern – Zitat ich selbst – irgendwo, wo ich meine Ruhe habe. Ich bin langweilig. Und ich habe einen riesen Spaß dabei!
Deshalb habe ich mich gegen die Quarterlife Crisis entschieden. Denn dreißig Jahre bedeutet nicht: Entweder du fühlst dich noch wie zwanzig oder du verzweifelst, weil du weder Kinder noch die Million auf dem Konto hast. Dreißig zu sein kann auch einfach bedeuten, dreißig zu sein; mit all den Erfahrungen, die sich seit der Zwanzig angehäuft haben. Mit dem Wissen, dass man eine tolle Zeit hatte und mit der Vorfreude auf das, was bis zur Vierzig noch kommen wird. Ich bin gerne dreißig. Ich bin genau so alt, wie ich mich fühle.