11 Gedanken, die ich habe, seit ich einen Fahrradhelm trage
Ein Leben ohne Fahrradhelm unterscheidet sich von dem mit immens. 11 Gedanken, die sich bloß ein von Helm ummanteltes Hirn macht:
1. "Ich habe was auf dem Kopf."
Es ist ein Fahrradhelm. Er wiegt ein knappes halbes Kilo und somit habe ich ab sofort etwa drei mittelgroße Äpfel auf dem Kopf. Oder eine doppelte Hühnerbrust. So gesehen, beinah froh um den Helm, ist das ein ähnliches Gefühl, wie eine neue Brille auf der Nase. Ein neues Stück Plastik sitzt auf mir drauf, in diesem Falle überdacht es die Augen und zwickt beim Festschnallen die Haut unterm Kinn. Als der Verkäufer im Fahrradladen mir probehalber auf den Kopf haut, um den Sitz den Helms zu testen, haue ich beinah zurück und unterstelle ihm, dass er gerne Menschen auf den Kopf haut. Das darf er oft, denn viele Menschen kaufen sich einen Fahrradhelm. Viele Menschen wollen nicht sterben.
2. "Ich bin sicher."
Während es sich auf dem zumeist von Kinderwägen frequentierten Pflasterstein vor der Haustür anfühlt wie ein Riesenbaby beim ersten Mal Radfahren ohne Stützräder, macht der Kreisverkehr am Kottbusser Damm doch deutlich, dass ein Fahrradhelm mehr ist, als das alberne Heimweh einer post-sicheren Generation, die für physische Gefahr lieber bezahlt, als sich zu langweilen. Am Kottbusser Damm gibt es keinen Grund zur Langweile und als beim letzten Mal ein betrunkener Taxifahrer in mich fuhr, war die Langeweile selbst in Halskrause begrenzt. Die „Was wäre gewesen, wenn...“-Momente im Leben nehmen zu und die Bereitschaft, das eigene Schicksal einem betrunkenen Taxifahrer zu überlassen, ab.
3. "Ich fahre, als wäre ich sicher."
Jene Form des Sicherheitsgefühls hat fürwahr auch Nachteile. Ich bin kein besonders sportlicher Radfahrer. Ich komme damit zur Arbeit und zurück, vielleicht auch mal an den Wannsee, sehe aber von einem Ostseetrip zu Rad ab. Das Grundgefühl, dass nur Menschen mit einer gewissen Qualifikation einen Helm würdig tragen dürfen und der Rest sich damit als ein Haufen wackliger Traktorbauern in der Großstadt entlarvt, führt zu Wagemut. Nun, mit Helm, kann man ja auch mal die eine oder andere Stufe oder Kurve nehmen, die man sich ohne nicht zugetraut hätte.
4. "Fahrradhelme sehen aus Prinzip furchtbar aus."
Es lohnt sich nicht, aus dieser Abwägung einen Hehl zu machen, also bringen wir sie hinter uns. Weder habe ich einen Hang zu aufwändigen Hochsteckfrisuren, noch muss ich beim Helmtragen auf einen Turban verzichten und doch – der Gedanke „Ich werde damit aussehen wie ein Trottel“ ist mir durchaus vertraut. Erstens: So schlimm ist es gar nicht. Also, nicht ganz so schlimm. Zweitens: Trotteltum hat viele Gesichter. Davor schützt das Nicht-Tragen eines Helms keineswegs. Und drittens: Funktionale Dinge waren noch nie schön oder lecker oder in überhaupt irgendeiner Weise ästhetisch. Das sieht man bei Tchibos Funktionsjacken; oder bei Hustensaft. Der darf, zur Hölle nochmal, nicht schmecken, wenn er gesund sein will.
5. "Die Frisur ist unwichtig."
Für gewöhnlich guckt man morgens aus dem Fenster und muss überlegen, ob Mütze oder nicht, ob überhaupt Haare föhnen oder nicht, ja, ob überhaupt Rad oder doch besser Bahn. Wenn man mit dem Helm aus dem Haus geht, ist so vieles angenehm gleichgültig. Lederjacke, Fahrradhelm und der Tag ist dein Freund. Es ist völlig egal, ob es windet, deine Frisur ist danach sowieso ein flachgedrückter Witz, also versuch es gar nicht erst. Nach anfänglicher Überwindung ist das wahnsinnig entspannend. Und so lange man den Helm aufhat, sieht ja sowieso keiner was.
6. "Es gibt keinen vernünftigen Grund gegen einen Fahrradhelm."
Über die meisten Dinge im Leben lässt sich recht gespalten diskutieren – Politik, das Berghain oder Kätzchenwelpen-Videos. Eine Diskussion mit Fahrradhelmträger*innen allerdings gleicht der mit Vegetarier*innen: Es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund dagegen. Solltet ihr also einmal wieder einen harten Tag gehabt, der*die Chef*in all eure guten Vorschläge verworfen und euer Rad einen Falschparkschein bekommen haben – fangt beim abendlichen Bier eine Diskussion mit den eitlen Helmverwehrern an und wisset schon davor: Ihr werdet glorreich gewonnen haben.
7. "Eigentlich ist ein Helm ganz nützlich beim Einkaufen."
Es gibt etliche Supermärkte, das Kaufland, zum Beispiel, da gibt es entweder riesige Einkaufswägen oder Paletten aus Kartonage. Das eine ist zu groß, für das andere braucht man beide Hände und, sofern man keine Krake ist, ist das beim Einkaufen denkbar unpraktisch. Als stolze Fahrradhelmbesitzerin weiß ich mir allerdings zu helfen und lege meinen Bund Radieschen und den Rest in den Helm. Da baumelt er gleich einem Bastkörbchen um meinen Unterarm und wie eine zufriedene Mittfünfzigerin auf Aquarelltour in der Toskana sich den Mohnstrauß ins Körbchen legt, tu ich es ihr mit einem Brokkoli gleich.
8. "Ich kann mich um unangenehmen Small Talk drücken."
Manchmal trifft man Menschen auf der Straße. Manchmal ist das nett, manchmal nicht so sehr. Man kann sich natürlich Perücken oder ausgefallene Hütte aufsetzen, dann wird man entweder nicht erkannt oder für ziemlich seltsam gehalten und gar nicht erst angesprochen. Mit einem Helm indes ist man auf alltagskompatibelste Weise inkognito unterwegs. Wenn es eine urbane Variante von Harry Potters Tarnumhang gibt, dann ist das ein Fahrradhelm. Verlegenheitsschnack und Versteckspielchen ade – der Fahrradhelm regelt das.
9. "Der Helm ist ein religionsübergreifendes Accessoire."
Unter dem Fahrradhelm sind alle gleich. Ob Kopftuch oder Kufi, Dreadlocks oder Tonsur, alle passen sie unter einen und denselben Helm und alle wollen sie sicher ans Ziel kommen. Ob das nun irgendeine Kirche oder eine Kita ist, ist unter dem Helm völlig egal.
10. "Helmträger verstehen sich."
Und weil alle Helmträger*innen auch Träger*innen der gleichen Haltung sind, nimmt die Berliner Verkehrs-Aggression unter uns Nussschalen ein klein wenig ab. Man lächelt sich wissend zu, wenn man sich einmal wieder die Haut unterm Kinn in der Verschlussschnalle eingeklemmt hat oder wenn der Schweiß selbst im Berliner April in die Augen rinnt. Bestimmt ist der blaue Helm da drüben beim Kauf auch auf den Kopf gehauen worden! Bestimmt hat das Kind mit dem Marienkäferhelm auch Angst vor dem Kottbusser Damm und gewiss gibt es in Berlin in Bälde eine Single-Börse, die verschiedene Helmtypen „matcht“.
11. "Vielleicht verändert der Fahrradhelm mein Leben auch gar nicht."
Vielleicht ist ein Fahrradhelm schlichtweg ein sichtbares Symptom dafür, dass sich in deinem Leben bereits etwas verändert hat. Vielleicht hast Du ein Kind bekommen. Oder so viele kaputte Rippen, dass die Heirat mit einem Chirurgen deutlich aufwändiger wäre, als der Kauf eines Fahrradhelms. Vielleicht hast du es nicht mehr nötig, gegen deine sich sorgende Mutter zu rebellieren, die dir seit Jahren einen Helm einbläuen will oder vielleicht hast du dir einmal die Statistiken zu Überlebenschancen mit und ohne Helm angesehen. Vor lauter Vernunft kaufen sich manche irgendwann ein Tupperware-Set mit aufeinandersteckbarem Weinglas, manche einen neue Sonnenbrille, wenn sie Dinge einmal anders sehen wollen. Bei mir tut's erst einmal ein Helm.