Besser als Späti: Fahrradläden sind die wahren Kieztreffs

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Unten im Haus ist ein Fahrradladen, leicht zu erkennen an der Luftpumpe, einer mehr oder weniger heruntergekommenen Ladenfront, Menschen mit ölverschmierten Händen und natürlich gibt es jede Menge Fahrräder – alte, neue, kaputte, intakte, abholbereite, schrottreife, Ersatzteile liefernde. Es ist einiges los.

Kaum öffnet die Werkstatt nach der Winterpause (oder auch verspätet, wir alle kennen die Einschränkungen...), wird sie durchgehend, bis in den Herbst, von Radfahrern und ihren fehlerhaften Rädern belagert. Besonders im Frühling sind die Wartelisten lang, aber alle haben dieses Lächeln im Gesicht, diese Freude, endlich wieder Rad fahren zu können. Es ist die Zeit der Generalüberholungen und Behelfsreparaturen. Kinder sind über Weihnachten fünf Zentimeter gewachsen und das Benjamin-Blümchen-Fahrrad ist zu klein geworden. Mamas beugen sich über die Kinderräder und versuchen sich zu erinnern, wie das mit dem Handeln im Marokkourlaub ging. Papas schauen lieber zu. "Wenigstens sind die Räder, die hier verkauft werden, nicht gestohlen", sagt einer.

Endlich mal selbst Hand anlegen, Dreck unter den Nägeln haben, mal einen Reifen aufpumpen, die Limette über der Pho zerdrücken, mutig sein.

Studenten haben es mit ihren Rennrädern immer besonders eilig, warum eigentlich, frage ich mich. Am liebsten würde man den ganzen Tag vor dem Laden sitzen und das Treiben beobachten, wenn man dabei nicht im Weg stehen würde. Wie in allen Werkstätten, in denen geschraubt, gesägt oder gehämmert wird, macht sich Gemütlichkeit breit und ein bisschen Neid auch, auf die Privilegierten, die es verstehen, mit ihren Händen zu arbeiten.

Da gehört es dazu, dass man selbst schnell als Laie entlarvt und genauso behandelt wird. Aber immer charmant. Nur zu gerne beugt man sich der Allwissenheit des Reparateurs, der das Rad jedes Jahr wieder fit gemacht hat und steckt die Handcreme-Hände respektvoll in die Taschen. Da sind sie aufgeräumt.

Trotzdem kann man in immer mehr Läden auch selbst ans Werkzeug, an die Luftpumpe eh. Das lieben die Leute ja, da schlägt das Hornbach-Herz höher. Endlich mal selbst Hand anlegen, Dreck unter den Nägeln haben, mal einen Reifen aufpumpen, die Limette über der Pho zerdrücken, mutig sein. Yippie Yippie Yeah!

Das Fahrrad ist das Statussymbol des jungen, erfolgreichen und umweltbewussten Großstädters

Die Läden werden in den Sommermonaten zu den Zentren der Stadtviertel. Hier kennt man sich, hier macht man Witze. Sie bieten den Kiez-Bewohnern den fahrbaren Untersatz, der einen bei den ersten Fahrten nach der kalten Jahreszeit das Gefühl gibt, fliegen zu können. Was gibt es schöneres, als auf den leeren Straßen durch eine Sommernacht zu radeln?

Das Fahrrad ist sowieso das Statussymbol des jungen, erfolgreichen und selbstverständlich umweltbewusst lebenden Großstädters. Ich selbst fahre, seitdem ich 18 Jahre alt bin, das gleiche Rad. Crossbike nennt sich die Bauart, soweit ich weiß. Praktisch ist es zuallererst, und wie alles Praktische hässlich. Manchmal schäme ich mich dafür, meistens aber freue ich mich über die „Geschwindigkeit bei gleichzeitigem Komfort“ und lächle die abfälligen Blicke anderer Radler in den Fahrtwind. Wenigstens wird es mir nicht geklaut.

Ketten, so mächtig wie die eines Kreuzfahrtschiffes

Wer in der Garage nicht aufrüsten kann, wer keine Garage hat, geschweige denn einen Parkplatz findet, investiert stattdessen in Renn-, Berg- oder Lastenräder, die kaum billiger sind als ein Smart. Er kettet sie mit zwei oder noch besser drei Ketten, die so dick wie die Ankerkette eines Kreuzfahrtschiffes sind, an die nächste Laterne oder trägt es lieber doch gleich mit hoch in die Wohnung und poliert den Rahmen nach dem Zähneputzen auf Hochglanz.

In der Fahrradwerkstatt ist Feierabend, vor der Tür wird gegrillt, eine Kiste Bier steht auch dabei. Hunde rennen auf dem Gehsteig einem Ball hinterher. Irgendwo aus der Dunkelheit des Ladens kommt Techno und über den Köpfen senkt sich die Abendsonne, bis sie verschwunden ist. Dann glüht nur noch die Kohle im Grill.

Irgendwo aus der Dunkelheit des Ladens kommt Techno und über den Köpfen senkt sich die Abendsonne, bis sie verschwunden ist. Dann glüht nur noch die Kohle im Grill

Nachtrag: Das Wort Drahtesel wurde im Text bewusst nicht verwendet.

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