Fuck – unsere Eltern werden älter!

© Matze Hielscher

Als ich letztens die finale Staffel von "Grace und Frankie" geschaut habe, ist es mir mal wieder aufgefallen: Wir werden alle sterben. Der große Spoiler des Lebens. Bevor wir sterben, werden wir noch älter. Und bevor wir älter werden, werden es unsere Eltern. Das ist sehr gruselig. Ähnlich schockierend und ähnlich offensichtlich wie die Erkenntnis, dass Mama und Papa wohl wirklich Sex gehabt haben müssen. Das kann man mit der Zeit weglächeln, Demenz und Herzinfarkte nicht wirklich.

Ich weiß nicht, wann ich realisiert habe, dass meine Eltern sterblich sind. Akzeptiert habe ich es auf jeden Fall noch nicht. Eine Welt ohne ihren Rat und ihre Schulter erscheint mir wie ein unlösbares Puzzle. Doch mit jedem physischen "Fehler", der mir bei ihnen auffällt, bekomme ich ein Puzzle-Stückchen mehr. Und die Schicksale, die den Eltern meiner Freund*innen vorbehalten sind, lassen mich einen kurzen Blick auf das Bild auf der Verpackung erhaschen.

Was waren das noch für Zeiten, als die 'Schwächen' meiner Eltern ein Quell der Freude waren.

Was waren das noch für Zeiten, als die „Schwächen“ meiner Eltern ein Quell der Freude waren. Ich kann mich noch genau erinnern, als ich das erste Mal schneller als mein Vater auf unserer Laufstrecke unterwegs war. Diesen leicht abgekämpften, aber überstolzen Mann werde ich nie vergessen. Selbiges gilt für den Moment, in dem ich ein 500-seitiges Buch schneller verschlungen hatte als meine Mami. Ich fühlte mich wie der schlauste Mensch auf der Welt.

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Jetzt würde sich mein Papi vermutlich etwas reißen, würde er in dem Tempo von früher rennen. Ich allerdings auch. Und meine Mami kann schon lange keine 500-Seiter mehr halten, Arthrose ist ein Arschloch. Aber immerhin nicht tödlich. Trotzdem, so fängt es an. Die perfekte Fassade bröselt und aus den immerjungen Halb-Gött*innen in Anzügen werden Menschen, die zwar noch nicht uralt sind, aber eben auch nicht mehr jung. Zu deren Starter-Kit Tablettenboxen, Lesebrillen und Asthma-Sprays gehören. Die zwar noch das Tanzbein schwingen können, aber immer häufiger um 22 Uhr verschlafen ans Telefon gehen.

Wie sehr kann ich meine Eltern zu einem gesünderen Leben ermahnen? Wenn ich gestern Mitternacht selbst noch 'ne Currywurst verputzt habe.

Und dann hat wieder ein Vater eines Freundes einen Schlaganfall und plötzlich wird mir erst bewusst, wie viel Empathie man empfinden kann. Für den Schock, für die Angst, für die Trauer, aber auch für die Fragen. Wie sehr kann ich meine Eltern zu einem gesünderen Leben ermahnen? Als ihr Kind und als jemand, der gestern Mitternacht noch 'ne Currywurst verputzt hat. Was sind erste Anzeichen und wie erkenne ich sie, bevor etwas Schlimmes passiert? Vor allem, wenn das Elternhaus eine andere Postleitzahl hat. Und: Was mache ich, wenn meinen Eltern wirklich etwas zustößt? Pflege passt natürlich nicht in mein kinderloses Hauptstadtleben – was ich ohne sie ja aber gar nicht erst hätte.

Bevor es so weit ist, sollten wir mal wieder anrufen, mal wieder vorbeischauen. Sollten uns freuen, dass wir unsere Eltern haben und dass es ihnen verhältnismäßig gut geht. An Weihnachten über die Schrulligkeiten schmunzeln, statt sich aufzuregen. Hätten sie früher so schwache Nerven gehabt wie wir heute, es wäre nie etwas aus uns geworden. Und vor allem sollte man "Grace und Frankie" schauen. Denn wenn es etwas gibt, für das diese Serie steht, dann, dass es auch ein Leben nach Arthrose, vaginaler Trockenheit und Herzinfarkt gibt – vielleicht liegt das Beste sogar immer vor uns.

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