Brustkrebsvorsorge: Wie blinde Frauen mit ihren Händen Leben retten

© unsplash | Dainis Graveris

Jährlich erkranken etwa 70.000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Bei rund 18.000 von ihnen verläuft die Diagnose tödlich. Auch ich habe in meiner engeren Familie Betroffene – und wenn ich mit Freund*innen spreche, dann geht es vielen so. Jede*r kennt jemanden. Krebs ist ein Arschloch – die Wortwahl ist drastisch, aber eben die Wahrheit. 

Jedes Jahr ist der Oktober der Monat, in dem auf diese Krankheit aufmerksam gemacht wird. Anlass für mich, meine Vorsorge ein bisschen ernster zu nehmen. Denn sind wir mal ehrlich: Gehen wir wirklich jedes halbe Jahr zum Frauenarzt und lassen uns checken? Tasten wir jeden Monat unsere Brüste ab? Die meisten vermutlich nicht und ich kann mich da nicht herausnehmen. Damit das aber in Zukunft keine fatalen Folgen für mich haben wird, werde ich das ab sofort ändern, denn nach einem besonderen Besuch habe ich die Wichtigkeit begriffen.

Brustkrebs früh erkennen bei Discovering Hands

Die Hände von Mareike Kras sind kalt und sie entschuldigt sich schnell bei mir: "Sorry, das Desinfektionsmittel ist so kalt, ich hoffe, das geht. Achtung ich starte jetzt". Oberkörperfrei liege ich in einem freundlichen Raum auf einer Liege. Seitlich über mich gebeugt tasten sich ihre Finger von meinen Schlüsselbeinen über zu meiner rechten Brust. Mareike ist blind und sieht mich nicht. Dafür erfühlt sie jeden Millimeter meiner Brust, denn das ist ihr Job. 

Mareike arbeitet bei Discovering Hands als Medizinische-Taktile Untersucherin (MTU) und das schon seit zwei Jahren. Das Zentrum, das sich für die Früherkennung von Brustkrebs einsetzt, beschäftigt insgesamt 60 MTUs in ganz Deutschland. Eine Ausbildung zur Untersucherin dauert über neun Monate und die Frauen bekommen verschiedenste Fähigkeiten an die Hand. Neben medizinischen Wissen, dem Erfühlen und Tasten, lernen sie aber auch die Bewältigung verschiedener sozialer Situationen und den Umgang mit Patient*innen.

Natürlich verändere ich nicht die Welt und positive Diagnosen sind schlimm, aber wir klären auf und machen auf Brustkrebs aufmerksam.
Mareike Kras

Das besondere aller MTUs: Sie alle sind Frauen* und sie alle sind blind – das ist für die Untersuchung allerdings ein großer Vorteil: "Es ist tatsächlich bewiesen, dass das Gehirn plastisch ist und wenn etwas fehlt, also in meinem Fall der Gesichtssinn, dass andere Sinne dann mehr ausgeprägt werden", erklärt mir Mareike. Sie kann sich dadurch nur auf das Tasten konzentrieren und Veränderungen so besser erfühlen. Man sagt, etwa 30 Prozent mehr als Ärzt*innen.

Doch nicht nur rein medizinisch ist das ein Vorteil. Viele Patient*innen, die zu Mareike und ihren Kolleginnen zu Untersuchungen kommen, fühlen sich wohler vor den MTUs. Dadurch, dass sie nicht gesehen werden, lassen sie ihre Unsicherheiten und Scham zu Hause. Manche waren beispielsweise noch nie bei einem*einer Gynäkolog*in, dafür aber unter Mareikes Händen, für die es übrigens einfach nur ein Job ist. Fremde Menschen anzufassen, gehört eben zu ihrer Arbeit – egal ob blind oder nicht. 

Mareike Krase Discovering Hands
© Xenia Beitz

Obwohl, einfach nur ein Job ist es irgendwie doch nicht. Denn Mareike erzählt mir, dass für viele blinde Frauen die Arbeit bei Discovering Hands eine große Berufschance ist. Viele Menschen erblinden erst im Laufe ihres Lebens. Die meisten Kolleginnen haben wie Mareike zuvor in anderen Jobs gearbeitet, doch wenn sich die Sehkraft zunehmend verändert, können viele ihren ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben. Gerade Frauen bleiben dann auf der Strecke.

Mareike hat vorher zwar Biologie studiert, ist aber nur durch Zufall auf Discovering Hands gestoßen, eine Freundin hatte ihr davon erzählt. Sie empfindet ihren neuen Beruf als sinnstiftend: "Natürlich verändere ich nicht die Welt und positive Diagnosen sind schlimm, aber wir klären auf und machen auf Brustkrebs aufmerksam. Und wenn wir Tumore schon in frühen Stadien ertasten, ist das ja auch viel besser". 

Keine Angst vor dem eigenen Abtasten

Um mögliche Gewebeveränderung zu erfühlen, wird bei Discovering Hands eine bestimmte Tastmethode angewandt, sodass wirklich jeder Millimeter meiner Brust am Ende von Mareike befühlt wurde. Dabei bekomme ich Klebestreifen längs über meinen Oberkörper geklebt, an denen sie sich orientiert. Während der Untersuchung erklärt mir Mareike, wann und weswegen das regelmäßige Abtasten der eigenen Brust so wichtig ist. "Der optimale Zeitpunkt ist kurz nach der Periode. Da ist das Gewebe weicher und besser zu erfühlen. Am besten lässt sich die Brust im Liegen ertasten und auch die Seiten und Lymphknoten sollten nicht ausgelassen werden. Wenn ich mich selbstständig jeden Monat abtaste, dann kann ich Veränderungen besser wahrnehmen. Vor allem sollte man sich aber Zeit lassen".

Zeit lässt sich Mareike auch bei meiner Untersuchung. Während man bei einem*einer Gynäkolog*in zwei Minuten kurz durchgecheckt wird, liege ich fast eine halbe Stunde unter Mareikes Händen. Insgesamt haben die MTUs circa eine Stunde für ihre Patient*innen. Doch nicht nur Untersuchungen werden von Discovering Hands angeboten, ihr bekommt auch eine Anleitung zur Selbsttastung.

Bevor ich ins Nebenzimmer geschickt werde, um mit dem immer anwesenden Arzt meinen Befund (der zum Glück unauffällig ist) zu besprechen, interessiert mich noch von Mareike, ob sie sich an ihre erste Patient*in erinnern könnte: "Das nicht, aber an meinen ersten Befund. Das war schon einschneidend und natürlich wusste ich dann, okay meine Tastfähigkeiten sind so gut, dass ich etwas finden kann. Für die Betroffenen ist es schlimm, auf der anderen Seite, sind sie ja genau deswegen da – um einen Tumor möglichst früh erkennen".

Lieber einmal zu viel abklären lassen

Obwohl Mareike immer wieder positive Befunde unter den Händen hat, möchte sie Mut machen, sich selbst regelmäßig die Brüste abzutasten und auch bei Discovering Hands vorbeizuschauen. Alle Informationen zum Zentrum, Praxen, in denen MTUs beschäftigt sind, Kosten und welche Krankenkassen die Untersuchung übernehmen, erfahrt ihr hier.

Mareike ist es noch wichtig zu betonen, dass die meisten Befunde gutartig sind, schnell behandelt werden können und kein Grund zur Sorge besteht. Bei einem bösartigen Befund ist es wichtig, diesen möglichst früh zu erkennen und zu behandeln. Auch wenn die Zeit nach der Diagnose schwer werden kann, bedeutet Brustkrebs heutzutage kein Todesurteil mehr. Und falls man etwas in seinen Brüsten spüren sollte, was dort nicht hingehört, empfiehlt Mareike: "Keine Angst haben, einen Termin auszumachen, um alles abklären zu lassen. Lieber einmal zu viel zum*zur Arzt*Ärztin gehen, statt einmal zu wenig. Das kann dein Leben retten".

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