Wo ist mein sozialer Akku hin?

© Sharon McCutcheon | Unsplash

Ich habe das Gefühl, ich bin letztes Wochenende einen Marathon gelaufen, mit allem was dazugehört. Ich war perfekt vorbereitet: Ich war ausgeruht, habe mich vorher ausreichend gestärkt und ausgestattet mit allem, was ich brauche (Sekt gekauft, am Späti noch schnell 50 Euro abgehoben), natürlich habe ich zuvor wochenlang trainiert, mich rangetastet an die Belastung. Dann war es soweit: Ich war das ganze Wochenende mit Leuten unterwegs. Ich hatte keine freie Minute, habe wenig geschlafen, bin von einer Verabredung zur nächsten gehüpft.

Freitagabend war ich auf einem Geburtstag, in einer Bar, dann in einem Club, am Samstag ging’s gleich weiter beim Brunch mit Freund*innen, die zu Besuch in der Stadt waren. Dann ein langer Spaziergang, Minigolfspielen, abends spontan ins Kino, dann noch mal in eine Bar. Sonntag wieder Brunch, diesmal mit meinen Eltern, nachmittags eine Ausstellung besuchen, gemeinsames Essen im Restaurant, davor noch ein Wein in der Markthalle, kurz einer Freundin Hallo sagen.

Und jetzt? Jetzt frage ich mich, ob gut trainierte Marathonläufer*innen eigentlich auch so lange brauchen, um nach dem großen Tag zu regenerieren. Bei mir ist inzwischen Tag fünf, und ich erhole mich immer noch.

Wie ein Kater von zu viel Gesellschaft

Das Verrückte ist: Solche Wochenenden gab es früher öfter. Und sicherlich fand ich sie auch damals schon anstrengend, aber die Auswirkungen machten sich eher körperlich bemerkbar: Verkatert, weil der Wein mal wieder besonders gut geschmeckt hat, und übermüdet, weil sich acht Stunden Schlaf pro Nacht mit meinem Freizeitprogramm nicht vereinbaren ließen. Mental fühlte ich mich nach solchen Wochenenden mit geliebten Menschen früher aber meistens beseelt. So viele tolle Momente, so viel Spaß, so schöne Erinnerungen! Diese Wochenenden ließen mich oft voller Energie in eine neue Uni- oder Arbeitswoche starten und spätestens bis zum nächsten Freitag war auch jeder Kater längst wieder vergessen.

Das letzte Wochenende war wunderbar, aber es hat mich ausgelaugt. Die Monate im Lockdown haben meinen sozialen Metabolismus verlangsamt, und was ich früher an zwischenmenschlicher Interaktion locker weggesteckt habe, raubt mir jetzt viel mehr Kraft. Auf zwei, drei Tage mit vielen Leuten kommen jetzt also mindestens fünf Tage, an denen ich am liebsten mit niemandem reden will. Na toll. Wie ein Kater von zu viel Gesellschaft. Freund*innen von mir, die sich selbst schon immer als eher introvertiert bezeichnet hätten, reagieren ein wenig amüsiert darauf, wenn ich ihnen von diesem neuen Gefühl berichte. Dass man sozialen Austausch auch überdosieren kann, das wussten sie natürlich lange vor mir.

Die Monate im Lockdown haben meinen sozialen Metabolismus verlangsamt, und was ich früher an zwischenmenschlicher Interaktion locker weggesteckt habe, raubt mir jetzt viel mehr Kraft.

Fast unbemerkt schleicht sich diese Erschöpfung ein, wenn ich über einen längeren Zeitraum viel Zeit mit Menschen verbringe, die mir nahe sind. Menschen zu treffen, die ich nicht wahnsinnig gut kenne, ist dagegen noch viel anstrengender. Und das sage ich als Person, die normalerweise (also, früher) gerne Menschen kennengelernt hat: Ich hatte eigentlich nie ein Problem damit, neue Leute zu treffen und habe mich gefreut, wenn ich an einem schönen Abend nette Bekanntschaften dazu gewonnen hatte, aus denen später manchmal sogar Freundschaften wurden.

Früher habe ich das als aufregend empfunden und als Bereicherung. Gerade strengt es mich oft extrem an, ein Gespräch mit Menschen zu führen, die ich nicht gut kenne. Es scheint, als hätte ich verlernt, dabei entspannt und ich selbst zu sein. Was erzähle ich von mir, um mein Gegenüber nicht zu langweilen? Und was frage ich jetzt bloß, wenn mich eigentlich gerade nichts weniger interessiert als die Geschichten aus seinem*ihrem Job, mit denen er*sie mich seit 20 Minuten vollquatscht? Ich bin aus der Übung, was meine Performance in solchen Situationen betrifft – und mir scheint, als wäre ich da nicht die einzige.

Bin ich auf einmal introvertiert?

Hat Corona aus mir jetzt also eine Einsiedlerin gemacht? Sicher nicht. Ich gehe immer noch viel raus, bin gern unter Leuten, spüre immer noch oft genug den Drang, nichts verpassen zu wollen. Die FOMO, die wir während der Pandemie alle ablegen konnten, weil es ja draußen schlichtweg gar nichts zu verpassen gab, ist ein Stück weit auf jeden Fall zurückgekehrt, und so habe ich durchaus ein paar Tage und Nächte in diesem seltsamen Sommer damit verbracht, fleißig nachzuholen, was mir in den letzten anderthalb Jahren gefehlt hat. So hatte ich mir den Sommer nach dem Lockdown schließlich vorgestellt, ihn herbeigesehnt wie wahrscheinlich die meisten von uns.

Trotzdem kommt es mir vor, als wäre ich viel introvertierter als vor der Pandemie. Ich beobachte gerade manchmal lieber andere dabei, wie sie ihre Fühler nach der Normalität ausstrecken und ziehe mich selbst häufiger mal raus. Ich hatte definitiv nicht den Sommer meines Lebens. Die Realität sah oft genug anders aus als meine Vorstellung von einem unbeschwerten After-Lockdown-Sommer, nicht zuletzt weil ich mir manchmal eingestehen musste, dass ich gerade wirklich keine Lust habe auf viele Menschen, ausgelassene 2G-Partys und neue Bekanntschaften.

Ich beobachte gerade manchmal lieber andere dabei, wie sie ihre Fühler nach der Normalität ausstrecken und ziehe mich selbst häufiger mal raus.

Aber wisst ihr was? Vielleicht ist das auch total in Ordnung so. Wir sind alle aus der Übung, und vielleicht sollte man in einem Jahr wie diesem einfach nicht zu hohe Erwartungen an sich selbst stellen. Es ist eben nicht alles von heute auf morgen wieder so wie vorher. Soziale Interaktion ist vielleicht doch nicht wie Fahrradfahren, etwas, das man nicht verlernt – sondern eher wie Fremdsprachenkenntnisse, die ganz schön schnell eingerostet sind, wenn man sie über einen längeren Zeitraum nicht angewendet hat. Die gute Nachricht: Sprachkenntnisse lassen sich mit ein bisschen Übung wieder auffrischen, und genauso können wir auch soziale Interaktion wieder lernen. Und es ist auch okay, wenn wir ein bisschen länger dafür brauchen, als wir gedacht hätten.

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