Alle Jahre wieder: Der pure Berliner Mietenwahnsinn

© Felix Kayser

Tobi hat ein Problem, ein großes noch dazu: Seit knapp acht Wochen lebt er in einem dieser seelenlosen riesigen Bettenpuffs, die vor allem für die altbekannten Alkoholexzesse von drölfzig halbwüchsigen Klassenfahrten aus der deutschen Peripherie berühmt sind: einem Hostel. Dort will er – verständlicherweise – nicht bleiben, mein angebotenes Zimmer wäre da natürlich die perfekte Option, einen Toaster (wtf) bringt er auch mit, einen Arbeitsvertrag sowieso und überhaupt: Danke, dass du das liest, Benni.

Machen wir es kurz: Ich heiße nicht Benni, der Toaster interessiert mich auch nicht – und Tobis Bewerbung wandert in den Papierkorb, zusammen mit seiner Hoffnung nach einer dauerhaften Bleibe. Nach unzähligen dieser Mails mit teilweise absurdesten Inhalten ("Ich sammle Reptilien, habe 20 Terrarien und kann deshalb gerne ein bisschen mehr Stromkosten bezahlen!"; "Ich bin deep in der Gabber-Szene vernetzt, wenn du mal Freikarten brauchst!) ist inzwischen ein neuer Mitbewohner gefunden. Um den es hier und heute überhaupt nicht geht.

Es geht darum, dass man Tobi wie viele andere verstehen kann, dass sie Copy-paste-Anfragen verschicken, sich anbiedern, sich sogar prostituieren. Was sonst sollen sie machen, wenn selbst die beschissenste Neubaubude im Reuterkiez für 10.000 Euro pro Quadratmeter (!!!) zum Verkauf angeboten wird? Dementsprechend hoch wird auch die Miete sein und dementsprechend wird sie kaum zur Entlastung des angespannten Wohnungsmarktes beitragen. Der Markt ist einfach nur am Arsch. Das weiß der verzweifelt auf Wohnungssuche befindliche Tobi genauso wie ich und alle anderen.

© Felix Kayser

Und das ist nur das i-Tüpfelchen. Was den Berliner Wohnungsmarkt angeht, wird die Liste an Schreckensmeldungen tagtäglich länger: Nach dem Aus für den Mietendeckel vor wenigen Wochen steht aktuell auch das Vorkaufsrecht des Senats stark auf der Kippe. Wir erinnern uns: Es sollte eigentlich dem Milieuschutz dienen und war ein dringend notwendiger Schritt in die richtige Richtung – und ist stattdessen einer zurück.

Dazu kommen eigene Erfahrungsberichte oder die von Freund*innen: Eigentlich jede*r hat jemanden im Bekanntenkreis, der von der Schreckensherrschaft der oftmals neuen Eigentümer spricht: wochenlange Dunkelheit dank eines Baugerüsts vor dem Fenster, das nie genutzt wird; fehlendes Licht, teilweise sogar fehlende Geländer im Treppenhaus; sinnbefreite Drangsalierungen, alles mit dem Ziel, den*die Mieter*in zum Aufgeben zu zwingen.

Dankenswerterweise sind die Eigentümer*innen kaum greifbar: Luxemburger Holdings, eine Baugruppe aus Stockholm, Investoren aus Wien, "lokale" Hardliner wie die traumhafte Vonovia, Arschlocher aus der ganzen Welt: Überall wartet eine Armada an (aus menschlicher Sicht) äußerst zweifelhafter Anwälte, die ins Feld geschickt werden und sich nebenbei die Taschen vollmachen. Auf Grund langer Bearbeitungszeiten, der Angst, vor den Kadi gezerrt zu werden und allgemeinem Unvermögen können Senat und Vater Staat da nur den Kürzeren ziehen.

© Felix Kayser

Die Probleme gehen aber noch weiter, denn laut der Süddeutschen Zeitung steigt die Wohnfläche pro Kopf seit Jahren stetig an. Kurz beispielhaft gesagt: Anstatt zwei Wohneinheiten auf einer Ebene eines Neubaus wird vielleicht nur eine gebaut, dementsprechend kann auch nur eine Familie dort wohnen. Ziehen die Kinder dann aus, bleiben die Eltern – wer kann es ihnen verdenken – einfach in der Riesenbude sitzen anstatt sich zu verkleinern. Wieder fehlt Wohnraum, der – so ehrlich können wir sein –sowieso nur an Besserverdienende gehen würde.

Der Witz daran ist, dass dieses Problem kein neues ist – und dass es sich Jahr für Jahr verschlechtert. Gut, dass das Thema, das alle normalverdienenden Berliner*innen betrifft, baupolitisch ganz oben auf der Agenda steht. Ach nee, sorry, hab mich verlesen: 2020 wurden im vierten Jahr hintereinander weniger Wohnungen in Berlin bewilligt, die dann sowieso erst in einigen Jahren der Allgemeinheit, also wer es sich leisten kann, zur Verfügung stehen.

Alle anderen machen es wie Tobi oder wie ich, der ja auch in den letzten Jahren öfters auf Wohnungssuche war: Sie hängen auf unzähligen, unfassbar beschissenen Wohnungsportalen rum und versuchen, mit einer "persönlichen" Copy-paste-Antwort möglichst schnell zu sein, bevor die Anzeige wieder off genommen wird. Oder sie rennen zu einer dieser Besichtigungen, bei denen drölfzig Interessent*innen gleichzeitig vor der Türe stehen und schleimen den*die Makler*in vor Ort einfach direkt voll. Was hat mehr Erfolg: "Ich bin Start-up-Gründer mit 50 Angestellten" oder doch das gute alte "Ich bin deep in der Gabber-Szene vernetzt, wenn du mal Freikarten brauchst!"

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