"Zuerst war es nur ein Verdacht" – Interview mit einem Corona-Betroffenen

© Joel Overbeck | Unsplash

Sebastian* (Name von der Redaktion geändert) gehört zu den Menschen, die sich bereits mit dem Coronavirus infiziert haben – wahrscheinlich auf einer Party. So genau lässt sich das heute nicht mehr sagen. Schon der Weg zur Diagnose entwickelte sich für ihn, und später auch für seine Familie, zum Spießrutenlauf – zwischen überforderten Behörden und Ärzten, die sich nicht zuständig fühlten.

Was folgte, war die zweiwöchige Quarantäne. Obwohl Sebastian jung und gesund war und inzwischen auch wieder ist, gab es Momente, in denen er Angst hatte – davor, dass dieses unberechenbare Virus, über das wir noch so wenig wissen, möglicherweise doch lebensbedrohlich sein könnte. Auch für ihn.

Als zumindest gesundheitlich das Schlimmste überstanden war, folgte die nächste Tortur: Eingeschlossen sein, nicht raus dürfen, obwohl der Körper sich wieder fit fühlt. Wie Sebastian diese Zeit überstanden hat, welche Gedanken ihn quälten und wie seine Einstellung zu dem Virus heute ist, haben wir ihn im Interview gefragt.

Man hört immer wieder, dass vor allem junge Menschen möglicherweise gar nicht merken, wenn sie sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Wie hast du es gemerkt?

Zuerst war es nur ein Verdacht. Uns hatte jemand per WhatsApp geschrieben, dass es in unserer Gegend wohl jemanden gibt, der sich mit dem Coronavirus infiziert hat. Da haben wir uns erst einmal nichts weiter dabei gedacht. Als wir dann herausgefunden haben, um wen genau es ging, hat meine Freundin gemerkt: Mist, bei denen war ich vor Kurzem noch zuhause.

Wie hast du darauf reagiert?

Ich habe meinen Chef angerufen. Weil ich in meinem Job viel mit Menschen zu tun habe, wollte ich ihn sofort informieren. Der meinte dann: Lass dich testen!

Ging das denn so einfach?

Das war ziemlich kompliziert. Ich habe beim Gesundheitsamt angerufen, aber die waren komplett überfordert mit der Situation und haben mich an meinen Hausarzt verwiesen. Der wiederum meinte, dass man mich nicht testen würde, weil ich keine Symptome habe. Später hieß es dann sogar, man würde nur bei sehr hohem Fieber testen. Am Ende konnten meine Freundin und ich den Test in einem Krankenhaus machen – aber auch nur dank privater Kontakte, die ja auch nicht jeder hat. Das Ergebnis kam am nächsten Tag. Das Kuriose war: Ich war positiv, sie war negativ.

Wie kann das sein?

So richtig verstehen wir das bis heute nicht. Am wahrscheinlichsten ist, dass ich mich auf einer Party angesteckt habe. Es hat sich später herausgestellt, dass ein Mann, der auch auf dieser Party war, ins Krankenhaus eingeliefert wurde und wegen des Coronavirus auf der Intensivstation lag. Wo und wie genau ich es mir eingefangen habe und warum es meine Freundin nicht hatte, lässt sich im Nachhinein aber nicht nachvollziehen.

Du hast seit deiner unwissentlichen Infektion sicherlich auch einige Menschen getroffen. Wurden die auch alle getestet und weißt du, ob du jemanden angesteckt hast?

Von meinem Bruder weiß ich es zum Beispiel – der wurde ebenfalls positiv getestet. Um den Test musste er sich aber auch wieder selber kümmern. Obwohl er mit Kindern arbeitet, die Mukoviszidose haben, hat das Gesundheitsamt auch ihn erstmal weitergeschoben – erst an den Hausarzt, dann an das Schulamt. Die konnten damit natürlich überhaupt nichts anfangen. Erst als er wieder Druck beim Gesundheitsamt gemacht hat, sind die bei ihm zuhause vorbeigekommen, um ihn zu testen. Als dann klar war, dass auch er das Virus hat, musste er natürlich auch die Reise absagen, die er geplant hatte.

Wie schnell erfährt man denn, ob man sich angesteckt hat?

Auch meine Schwester hat sich testen lassen und an ihrem Fall konnte man sehen, dass zwischen Test und Ergebnis einige Zeit vergehen kann. Das liegt einerseits natürlich daran, dass die Labore überlastet sind. Ein weiterer Grund ist aber, dass die Gesundheitsämter so langsam reagieren. Obwohl ihr Testergebnis wohl schon an einem Freitag vorlag, hat sie das Gesundheitsamt erst am Dienstag oder Mittwoch darauf telefonisch darüber informiert, dass sie zum Glück negativ getestet wurde.

Das klingt alles ziemlich chaotisch.

Ja, die Gesundheitsämter sind komplett überfordert. Das merkt man an vielen Punkten: Zum Beispiel hätten auch all die Menschen, die auf derselben Party waren wie ich, in Quarantäne gesteckt werden müssen. Da hat sich aber niemand drum gekümmert.

Du hast erzählt, dass einer der Partygäste auf die Intensivstation musste. Wie geht es dir damit?

Natürlich dreht sich da das Gedankenkarussell und man denkt: Ich war auf dieser Party und hab mit dem gesprochen – vielleicht war ich derjenige, der ihn angesteckt hat. Der Gedanke war auf jeden Fall da. Gleichzeitig bin ich da rational: Es ist eher unwahrscheinlich. Schließlich waren auch viele andere Leute da, er hat sich mit vielen unterhalten. Es ist sehr gut möglich, dass ich selbst dort überhaupt erst infiziert wurde.

Wie ging es für dich weiter, nachdem du dein Testergebnis hattest?

Ich musste mich sofort zuhause in 14-tägige Quarantäne begeben, durfte auch nicht mehr einkaufen gehen oder so. Ich habe natürlich meine Familie informiert. Meine Mutter hat mir dann regelmäßig Lebensmittel vor die Tür gestellt.

Erstmal hattest du keine auffälligen Symptome. Kamen die irgendwann noch?

Ja. Ich bin Donnerstag positiv getestet worden – da hatte ich schon leichte Kopfschmerzen. Am Freitag kamen dann Halsschmerzen und Husten dazu. Samstag hatte ich erhöhte Temperatur, aber nur bis 38,2. Am Sonntag und Montag habe ich mich dann schlapp und müde gefühlt und am Dienstag war ich eigentlich wieder fit.

Gab es in diesen Tagen, an denen es dir schlecht ging, irgendwann mal einen Punkt, an dem du Angst um dein Leben hattest?

Tatsächlich hatte ich diesen Gedanken mal. Zum Beispiel als ich in einer Nacht tierische Schmerzen in der Nierengegend hatte. Aber auch als die Temperatur anstieg, hatte ich ein mulmiges Gefühl. Einerseits dachte ich: Ach, ich habe doch keine Vorerkrankungen, aber gleichzeitig weiß man bisher eben auch so gut wie nichts über dieses Virus.

Trotzdem ging es dir nach einigen Tagen wieder gut. Was hast du danach mit deiner Zeit angestellt?

Die ersten Tage waren in dieser Hinsicht natürlich einfach, denn wenn man sich krank fühlt, will man sowieso nur schlafen. Danach geht es dann aber los mit der Langeweile. Ich habe mich erstmal mit Putzen beschäftigt. Da ich gerade erst umgezogen bin, konnte ich auch noch ein paar Kisten ausräumen. Aber damit war ich nach zwei, drei Tagen auch durch. Danach ist mir die Decke auf den Kopf gefallen – und es war schon auch einsam. Allerdings kannte ich die Situation schon. Als damals die Schweinegrippe rumging, hatte es mich auch erwischt und ich musste zwei Wochen lang in Quarantäne.

Hat es das für dich einfacher gemacht, dass du schon mal in so einer Situation warst?

Nicht wirklich. Das war sogar eher kontraproduktiv, weil ich genau wusste, wie kirre man irgendwann wird. Das Wissen, dass du nicht raus darfst, obwohl du dich fit fühlst, macht dich wahnsinnig. Du willst raus, dich bewegen, darfst es aber nicht.

Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe versucht, mich anders zu bewegen, habe Klimmzüge und Liegestütze gemacht. Einmal bin ich sogar um den Tisch gerannt. Das war ziemlich absurd.

Wie wurdest du denn medizinisch versorgt während deiner Quarantäne? Musstest du irgendetwas beachten?

Eigentlich gar nicht. Ich stand zwar in regelmäßigem Kontakt mit meinem Hausarzt, aber das war es dann auch. Ich musste weder Medikamente nehmen, noch gab es irgendwelche Vorgaben, dass ich keinen Alkohol trinken darf oder ähnliches. Auch über die Aufhebung der Quarantäne sollte dann der Arzt entscheiden – da hat sich das Gesundheitsamt wieder komplett rausgezogen.

Was wäre gewesen, wenn sich dein Zustand doch rapide verschlechtert hätte?

Dann hätte ich den Notruf 112 wählen müssen wie jeder andere auch.

Glücklicherweise kam es dazu nicht. Als wie bedrohlich empfindest du das Virus jetzt, wo du es überstanden hast?

Ich selbst kann natürlich erstmal davon ausgehen, dass ich zumindest eine Zeit lang immun bin beziehungsweise weniger angreifbar. Aber um meinen Vater mache ich mir zum Beispiel immer noch Sorgen. Der ist nicht mehr der Jüngste, will aber unbedingt weiter arbeiten und hat dort auch Kontakt mit vielen Menschen. Und je älter man ist, umso gefährlicher ist das Virus. Generell gilt ja: Ältere und immungeschwächte Menschen tragen ein höheres Risiko. Von daher machen auch die ganzen Schutzvorkehrungen Sinn, denn man kann die Verbreitung zwar nicht verhindern, aber man kann sie zumindest verlangsamen.

Hältst du dich selbst denn an diese Anweisungen, obwohl du das Virus schon hattest?

Ich fahre weiter zur Arbeit, weil ich es muss. Aber auch ich bleibe abgesehen davon drinnen und setze mich nicht mit einer Gruppe von Leuten in die Sonne. Sowas finde ich unverantwortlich. Diese Leute werden sich früher oder später infizieren. Für den ein oder anderen mag das selbst kein Problem sein, aber im Moment geht es darum, die Älteren und Kranken zu schützen. Nur wenn wir es schaffen, die Ausbreitung zu verlangsamen, können wir dafür sorgen, dass nicht alle auf einmal krank werden und die Intensivstationen blockiert sind. Ich glaube, keiner von uns will erleben, dass wie in Italien plötzlich Ärzte entscheiden müssen, wen sie von der Beatmung abnehmen und sterben lassen und wen sie behandeln, nur weil nicht genug Intensivbetten da sind. Ich weiß nicht, ob es sich noch vermeiden lässt, dass es auch bei uns so weit kommt, aber sich mit vielen Leuten zu treffen, ist ein guter Weg, um genau auf dieses Horrorszenario zuzusteuern.

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