Kann man in Corona-Zeiten die große Liebe finden?

© Priscilla Du Preez | Unsplash

Ganz klassisch an der Bar oder auf einer WG-Party von gemeinsamen Freund*innen jemanden kennenlernen? Fällt aus. Bei Tinder ein paar unverbindliche Sex-Dates mit Fremden ausmachen? Gerade auch nicht so angesagt. Feiern gehen? Doch nicht im Jahr 2020! Die Corona-Krise macht die Suche nach der großen Liebe nicht gerade einfacher – wie soll man jemanden kennenlernen, wenn die Welt gerade stillsteht? Wie fühlt sich ein Date auf Abstand an, so ganz ohne Körperkontakt? Und kann man sich wirklich in jemanden verlieben, wenn man die andere Person immer nur auf dem Bildschirm sieht? Drei Menschen haben uns erzählt, wie sie in den letzten Monaten, ausgerechnet während des Corona-Lockdowns, ihre Partner*innen kennengelernt haben. Love in Corona Times – da läuft alles irgendwie ein wenig anders, ist aber auch ziemlich romantisch.

Anmerkung der Redaktion: Die Namen wurden teilweise geändert.

Alex, 28, Berlin

Zu Beginn des Lockdowns habe ich erstmal aufgehört, zu daten. Nach ein paar Wochen kam dann aber die Langeweile, also habe ich wieder angefangen, zu swipen. Was ich sofort bemerkt habe, war, dass ich auf einmal viel wählerischer war als vorher: Anstatt mit jedem Match mal nebenbei ein wenig zu schreiben, hat sich eine Nachricht direkt ein bisschen mehr nach commitment angefühlt, weil man ja wusste: Okay, wenn man sich gut versteht, will man sich ja vielleicht auch irgendwann treffen – wenn auch mit Abstand. Deswegen bin ich direkt viel ernsthafter an die Sache herangegangen und habe mir gedacht: Wenn du die Person jetzt cool findest, musst du dir irgendwie sicher sein.

Bei Anna und mir war es deshalb so, dass wir erstmal relativ viel geschrieben und telefoniert haben. Wir haben auch ziemlich schnell über sehr persönliche Dinge gesprochen, was ich wahrscheinlich nicht gemacht hätte, wenn wir "einfach nur so" geschrieben hätten. Als wir uns schließlich dazu entschieden haben, uns zu treffen, stand im Raum: Wie sahen die letzten Wochen bei uns beiden aus? Haben wir beide die letzten zwei Wochen nur mit unserer "Kernfamilie" verbracht oder war da noch viel anderes? Bei uns beiden war es so, dass wir nur in unserer WG abgehangen hatten. Also haben wir gesagt: Na gut, wir treffen uns auf Abstand.

Wir wussten, wenn ich diese Person jetzt umarme, heißt das irgendwie auch, dass ich bereit bin, daraus mehr werden zu lassen.

Ein seltsamer Moment war dann, als wir uns gefragt haben, ob wir uns jetzt eigentlich umarmen können. Wollen wir das machen? Das war wieder so eine Art von commitment: Wenn wir das jetzt machen, muss uns auch bewusst sein, dass wir damit ein Risiko eingehen – und, dass wir eben einfach auch länger miteinander Zeit verbringen wollen und uns somit gegenseitig in unsere Kernfamilie aufnehmen. Letzteres ist das, was dann letztendlich auch passiert ist. Und das eigentlich nur wegen einer Umarmung! Etwas, was man normalerweise ja auch mal nur aus Gewohnheit, Reflex oder was auch immer macht, war halt an diesem Punkt schon ein sehr bedeutungsvoller Schritt; wir wussten, wenn ich diese Person jetzt umarme, heißt das irgendwie auch, dass ich bereit bin, daraus mehr werden zu lassen. Und nun ist tatsächlich eine Beziehung draus entstanden.

Julia, 22, Hamburg

So verrückt es klingt: Ohne Corona hätte ich meine jetzige Freundin nie getroffen. Kennengelernt haben wir uns Mitte März auf Bali – während in Deutschland gerade der Lockdown anfing. Auf Bali schien es zu diesem Zeitpunkt quasi kein Corona zu geben, wir waren gemeinsam auf einer großen Poolparty, es wurden Drinks geteilt und niemand hielt Abstand. Einige Tage später wurde es ernst, die News aus Deutschland schienen sich zu überschlagen. Merkel hielt ihre Ansprache an die Bevölkerung und wir entschieden beide, nach Hause zu fliegen – sie in die USA, ich nach Deutschland. Wir hatten uns ja gerade erst kennengelernt und waren noch nicht an dem Punkt, an dem wir überlegt hätten, beide nach Deutschland zu fliegen, um zusammen zu sein.

Da saßen wir also, beide in Selbstisolation, und fingen an, jeden Tag zwei Stunden auf Zoom zu verbringen. Die neun Stunden Zeitunterschied zwischen L.A. und Deutschland machten das Ganze nicht einfacher. Nach zwei Monaten Zoom-Dates und Gefühlen, die nicht mehr zu ignorieren waren, beschlossen wir, uns in Irland zu treffen – das war Mitte Mai eins der einzigen Länder, das sowohl US-Amerikaner*innen als auch deutsche Staatsbürger*innen einreisen ließ. Zudem auch eins der LGBTQI+-freundlichsten Länder Europas, was als gleichgeschlechtliches Paar leider ja immer noch ein Faktor bei der Wahl des Reiselandes ist. Wir verbrachten vier wunderschöne Wochen in gemeinsamer Selbstisolation, irgendwo zwischen grünen Klippen und verregneten Sonntagen. Ich musste irgendwann zurück nach Deutschland, und der Abschied fiel nicht leicht, wir wussten schließlich nicht, wann und wo wir uns wiedersehen würden.

Die Pandemie hat unser Kennenlernen zu etwas Einzigartigem gemacht. Heute halten uns immer noch Reiseverbote und Grenzkontrollen davon ab, zusammen zu sein.

Die Pandemie hat unser Kennenlernen zu etwas Einzigartigem gemacht. Wir haben all die Ängste und Sorgen und Umstände der letzten Monate gemeinsam durchgemacht und gemeistert. Unsere Beziehung wäre ohne Corona sicher anders verlaufen – wahrscheinlich wäre sie sogar niemals zustande gekommen. Als wir uns auf Bali kennengelernt haben, hätte ich eigentlich in Vietnam sein sollen, wäre da nicht Corona dazwischengekommen. Man kann also sagen, dass wir uns nur dank Corona kennengelernt haben.

Heute – Stand Juli 2020 – halten uns immer noch Reiseverbote und Grenzkontrollen davon ab, zusammen zu sein. Das alles ist hart, keine Frage, aber es bringt Beziehungen auch auf ganz andere emotionale Ebenen. Langeweile kommt da nicht so schnell auf, und seien wir ehrlich, eine gute Kennenlerngeschichte ist doch Gold wert!

© Privat

Sophie, 24, Köln

Es hat alles damit angefangen, dass ich am 1. Mai umgezogen bin. Ich habe schon länger ein Bumble-Profil, aber ich benutze es normalerweise nicht so viel. Dann saß ich da am ersten Abend in meiner neuen Wohnung, mitten im Corona-Lockdown, ich kannte meinen Mitbewohner noch nicht so richtig und habe mich ein bisschen allein gefühlt. Und was macht man als guter Millennial in dieser Zeit? Man öffnet seine Dating Apps. Also habe ich mein Bumble-Profil mal wieder halbwegs aktiviert und ein bisschen rumgeswiped. Irgendwann bekam ich ein paar Match Alerts.

Ich fand es bei den ersten paar Dates tatsächlich auch ganz angenehm, das Gefühl zu haben, dass nicht sofort etwas laufen "muss", weil da noch diese zusätzliche Hürde ist.

Nachdem mir nach fast 24 Stunden endlich ein guter Gag für die erste Nachricht eingefallen war, begann ich regelmäßig mit Niklas zu schreiben. Es wurde lustig beschnackt, wie man denn ein quarantänefreundliches Date herstellen könnte, weil zu diesem Zeitpunkt noch überall strenge Kontaktbeschränkungen galten. Bei unserem ersten Date haben wir dann wirklich Abstand gehalten: Wir waren im Park spazieren und haben Wein getrunken. Von da an haben wir uns immer wieder getroffen: Wir waren immer draußen, viel spazieren, haben gepicknickt, auf Dächern gesessen, sind an den See gefahren – viel draußen einfach, das war sehr schön. Ich fand es bei den ersten paar Dates tatsächlich auch ganz angenehm, das Gefühl zu haben, dass nicht sofort etwas laufen "muss", weil da noch diese zusätzliche Hürde ist und wir beide Respekt vor den Corona-Sicherheitsvorkehrungen hatten.

Nach ein paar Wochen war dann aber ziemlich klar, dass wir sehr gerne Zeit miteinander verbringen – da hatten wir dann auch schon angefangen, uns zur Begrüßung und zum Abschied zumindest zu umarmen. Irgendwann war Corona dann keine "Hürde" mehr, aber insgesamt haben wir schon sehr viel mehr Dates als andere gebraucht, bis wir miteinander intim geworden sind. Das hat sicherlich auch etwas mit unserer jeweiligen Persönlichkeit zu tun, ist aber natürlich auch mit den Umständen durch Corona geschuldet. Letztendlich könnte man also sagen, dass meine durch Corona erzeugte Einsamkeit Anfang Mai dafür gesorgt hat, dass ich jetzt in einer Beziehung bin – wer hätte das gedacht?

Habt ihr auch eine außergewöhnliche Corona-Liebesgeschichte erlebt? Erzählt sie uns gern! Schickt eure Geschichten an [email protected].

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