Wer ins Tropical Islands fährt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

Rom geht über vom Regen. In Kaskaden rauscht das Wasser die Via Francesco Crispi hinab, in der unsere Airbnb-Unterkunft liegt. Meine fünfjährige Tochter Wanda und ich machen nur einen kurzen Abstecher dorthin, um unsere Klamotten zu wechseln. Nach vier Stunden im Regen sind sie völlig durchnässt.

„Willst du dich erstmal ausruhen?“, frage ich.

Sie schüttelt den Kopf und zieht mich wieder nach draußen, will so schnell wie möglich das verfallene Schwimmbad sehen, von dem ich ihr soviel erzählt habe. Erschöpft, aber glücklich brechen wir auf.

„Oh, Mann. Ich bin urlaubsreif!“, hat sich erst neulich ein Kumpel beklagt, als wir uns in Berlin auf der Straße begegnen.

„Aber ihr wart doch gerade zwei Wochen weg“, sage ich.

„Ja, in Center Parcs! Glaubst du, da konnte ich mich auch nur für'ne Sekunde entspannen? Das ist doch keine Erholung.“

Ich ahne, dass ich das nicht fragen sollte, aber mein Mund ist schneller als meine Höflichkeit: „Warum macht ihr dann nicht woanders Ferien?“

„Naja, für die Kinder ist das halt schön.“

Ich nicke und verkneife mir diesmal die Antwort. Mein Kumpel ist nicht der leibliche Vater der beiden Jungs. Als neuer Freund ihrer Mutter kann er vermutlich kein Veto einlegen, wenn es um die Wahl des Reiseziels geht. Allerdings ist er nicht der einzige meiner Bekannten, der beim Ableisten des Familienurlaubes durch die Hölle geht.

Da hocken sie dann wochenlang für viel Geld in schäbigen Bungalows, und schauen dem würdelosen Treiben überdrehter Animateure zu. Aber will man das denn? Ich verstehe diesen vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem eigenen Nachwuchs nicht. Warum erschafft man sich als Eltern freiwillig ein Szenario, in dem die eigenen Interessen denen der Kinder entgegen stehen?
Zumal ich ernsthaft bezweifle, dass Kinder einen Aufenthalt in Center Parcs oder Tropical Islands wirklich toll finden. Und wenn doch, dann nur, weil man es ihnen vorlebt. Genauso gut könnte man ihnen als Eltern aber beibringen, dass eine Reise für alle Beteiligten erfreulich sein sollte.

Ich verstehe diesen vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem eigenen Nachwuchs nicht. Warum erschafft man sich als Eltern freiwillig ein Szenario, in dem die eigenen Interessen denen der Kinder entgegen stehen?

Natürlich muss man in dem Fall auch eigene Wünsche haben. Denn die meisten Eltern füllen mit ihren Kindern nur das Vakuum ihrer blassen Persönlichkeit. Zumindest hatte ich diesen Eindruck wieder in Rom. Wanda und ich schlenderten eineinhalb Stunden durch die Ruinen der Caracalla-Thermen. Wir hatten uns Virtual-Reality-Brillen ausgeliehen, durch die man die gigantischen Räume in Echtzeit ihrer rekonstruierten Pracht bestaunen kann.

„Guck mal, Papa!“, ruft sie irgendwann laut. „Der Brunnen ist aus dem gleichen roten Stein, wie die vier Männer, die wir in Venedig gesehen haben!“

„Welche vier Männer?“

„Na, die an der großen Kirche!“

Wie immer, wenn ich mich an etwas nicht erinnern kann, wird Wanda ungehalten und insistiert solange, bis ich ihr zustimme. Und tatsächlich bestätigt eine kurze Google-Recherche: Der rekonstruierte Brunnen besteht aus Porphyr, dem gleichen Gestein wie eine Statue, die wir gerade erst in Venedig gesehen haben.

Durch die Lautstärke unserer Diskussion wird eine österreichische Reisegruppe auf uns aufmerksam und schmunzelt über Wandas Gelehrsamkeit. Und erst dadurch wird mir bewusst, dass der Umgang, den mein Kind und ich pflegen, eine Ausnahme zu sein scheint. Denn keine drei Meter von uns entfernt redet ein anderer Vater auf sein Kind ein:

„Ella! Soll der Papa dir die Nase eincremen? Schau mal, Ella, der Papa hat Kekse dabei! Willst du einen Keks? Sonst macht dein Bauch bald grummel-grummel!“

Unsere Kinder haben das gleiche Alter. Wahrscheinlich auch die gleiche Auffassungsgabe. Nur wird sie bei seiner Tochter nicht aktiviert, weil er es vorzieht, sie wie ein Baby zu behandeln. Ganz zu schweigen davon, wie behämmert es klingt, wenn er von sich selbst in der dritten Person spricht. Sogar Wanda betrachtet ihn mit Befremden.

Warum Eltern es vorziehen, ihr Kind derart von oben herab zu behandeln, ist mir ebenso rätselhaft wie die Behauptung, die Kleinen hätten nur Spaß am betreuten Pool. Das soll nicht heißen, dass alle Eltern mit ihren Kindern Kulturreisen machen müssen. Aber zu behaupten, die Kinder seien diejenigen, die sich nach Aufenthalten in schnöden Ressorts sehnen, ist einfach unaufrichtig. Letzten Endes entscheiden immer die Eltern. Und haben es in der Hand, ob ihre Kinder zu weltoffenen, neugierigen Wesen werden, oder zu den gleichen freudlosen Touristen, die bereits sämtliche Strände der Welt belagern.

*Anmerkung: Der Name meiner Tochter wurde geändert.

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