Kinder sind toll – Man kann ihnen beibringen, die gleichen Dinge zu hassen

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

„Was ist das?“, will meine fünfjährige Tochter Wanda* wissen, als wir beim Spazieren in der Nachbarschaft zwei Stolpersteine bemerken. Ich erkläre ihr, dass da mal Menschen gewohnt haben, die vertrieben oder getötet wurden.

„Von wem?“, kommt konsequenterweise die Frage. Und ich, spontan: „Von den Bösen.“

Verwunderung bei meinem Kind. Hier, bei uns, in Berlin haben mal die Bösen gewohnt? Ich würde das alles gern etwas differenzierter erklären, aber letztlich bleibt mir nur zu sagen: „Ja, hier haben mal die Bösen gewohnt.“

Seit ein paar Monaten esse ich im Alltag kein Fleisch mehr. Soll heißen, ich bin Vegetarier, halte mir aber die Option offen, zu besonderen Anlässen eine Ausnahme zu machen. Bisher ist das kaum vorgekommen. Und ich habe in diesen Fällen darauf geachtet, dass das Fleisch nicht aus Massentierhaltung stammt. Diese eher sanfte Umstellung auf eine bewusstere Ernährung halte ich für vernünftig, muss sie aber nicht ideologisch vor mir hertragen. Aber natürlich beeinflusse ich meine Tochter damit.

„Ich esse jetzt auch kein Fleisch mehr!“, verkündet sie nach kurzer Zeit stolz.

„Kannst du aber ruhig.“

„Nein, dann muss auch kein Tier mehr wegen mir sterben.“

'Kinder sind toll!', erklärt Homer Simpson die Vorzüge der Vaterschaft: 'Man kann ihnen beibringen, die gleichen Dinge zu hassen.' Nur wo ist da noch Raum für den freien Willen?

Ich lobe sie für ihre Entscheidung. Allerdings bleibt ein merkwürdiges Gefühl zurück. Mit der Eröffnung dieser Thematik habe ich meiner Tochter automatisch die Wahl genommen. Denn welches Kind will schon, dass wegen ihm Tiere getötet werden? Natürlich eifert sie mir nach. Wie in allem anderen auch.

„Kinder sind toll!“, erklärt Homer Simpson die Vorzüge der Vaterschaft: „Man kann ihnen beibringen, die gleichen Dinge zu hassen.“ Nur wo ist da noch Raum für den freien Willen? Kinder verlangen nach Grenzen und klaren Regeln, um sich im Alltag zu orientieren. Das ist vermutlich normal. Allerdings fühle ich mich in der Rolle nicht wohl, Überbringer dieser universellen Wahrheiten zu sein. Wer bin ich denn schon? Ich kann Wanda nicht sagen, dass es falsch ist, über eine rote Ampel zu gehen. Bei uns läuft der Dialog eher so ab:

„Papa, hast du gesehen? Der Mann ist bei rot über die Straße gegangen!“

„Hm.“

„Das darf der nicht, oder?“

„Naja, manchmal hat man es eben eilig. Es ist viel wichtiger, dass du immer schaust, ob ein Auto kommt, auch wenn die Ampel grün ist.“

„Und wenn die Polizei daneben steht?“

„Die Polizei weiß auch nicht immer, was richtig ist.“

Nur weil man in der Lage ist, ein Kind zu zeugen, wird man deshalb nicht zur Autorität.

Bin ich ein guter Lehrer? Ich habe da meine Zweifel. Was ich jedoch mit Gewissheit sagen kann, ist: Nur weil man in der Lage ist, ein Kind zu zeugen, wird man deshalb nicht zur Autorität. Und seinem Nachwuchs eine Ideologie einzutrichtern, kann schnell nach hinten losgehen.

Deshalb finde ich es beispielsweise bedenklich, sein Kind mit auf eine Demo zu nehmen. Letzthin war ich bei mehreren Kundgebungen von Extinction Rebellion. Da ist es gang und gäbe, als Familie zu erscheinen. Mit sonnigem Lächeln hocken sie da auf bunten Tüchern, malen mit Kreide auf den Asphalt, strahlen eine aggressive Friedfertigkeit aus. Nehmen auch gern eine Traumatisierung ihrer Kinder in Kauf, wenn sie von Polizisten von der Kreuzung getragen werden.

Wir schulden den nachfolgenden Generationen nicht nur einen intakten Planeten. Sondern auch die Möglichkeit, sich ihr eigenes Urteil zu bilden.

Ganz abgesehen von der Perfidie, sein Kind als menschlichen Schutzschild zu verwenden, würde ich meine Tochter nie in so eine Ausnahmesituation mit hineinziehen. Was nicht heißen soll, dass man nicht mit gutem Beispiel vorangehen kann. Ich zeige meiner Tochter, dass man sich auch fleischlos ernähren kann, schärfe ihr beim Ausstieg aus der Tram ein, sich nach überholenden Autos umzuschauen, versuche, ihr das Dritte Reich zu erklären – aber all das unter der Prämisse, dass ich selbst nicht genau weiß, wo mir der Kopf steht.

Weil aus ihr eben nicht das gleiche vorurteilsbeladene Wesen werden will, das ich selbst bin. Wir schulden den nachfolgenden Generationen nicht nur einen intakten Planeten. Sondern auch die Möglichkeit, sich ihr eigenes Urteil zu bilden.

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