Von der Geflüchteten zur Direktkandidatin für die SPD – Auf Wahlkampftour mit Dr. Maja Lasic

© Clint Lukas

„Scheiß FDP!“, brüllt uns ein Typ aus seiner Wohnung entgegen. „Macht, dass ihr weg kommt!“

„Ich bin von der SPD“, sagt Maja, die Frau, mit der ich hier bin.
„Ist mir egal. Ihr Politiker seid doch alle gleich!“ Dann knallt er die Tür zu. Wir gehen weiter zur nächsten. Maja drückt auf die Klingel und ihr Lächeln ist ungetrübt. Vor uns liegen noch vier Stockwerke mit jeweils drei Wohnungen. Danach wartet der nächste Block. Haustür-Wahlkampf im Wedding. Seit Anfang Juli macht Maja das schon. An jedem einzelnen Tag.

Dr. Maja Lasić ist in Belgrad aufgewachsen. Als der Jugoslawien-Krieg kam, flüchtete sie mit vierzehn nach Deutschland, lernte unsere Sprache, machte ihr Abitur. Dann Studium, Doktor in Biochemie, ein Job in der Pharmaindustrie, bei dem sie richtig Geld hätte scheffeln können. Doch statt eine Beförderung anzunehmen, stieg sie aus.

„Ich war einfach sauer, dass andere Geflüchtete und sozial benachteiligte Menschen nicht soviel Glück wie ich hatten. Deshalb wollte ich etwas ändern.“
Sie ging zu „Teach First Deutschland“, eine Initiative, die junge Akademiker an Schulen in schwieriger Lage schickt. Zwei Jahre lang unterstützte sie Schüler in der Hauptschule am Brunnenplatz, trat in die SPD ein, engagierte sich ehrenamtlich für bessere Bildung und Integration. Nun ist sie die Direktkandidatin für das Abgeordnetenhaus in meinem Wahlkreis. Und mitten im Wahlkampf.

Ich war einfach sauer, dass andere Geflüchtete und sozial benachteiligte Menschen nicht soviel Glück wie ich hatten. Deshalb wollte ich etwas ändern.

„Was kann ich denn machen?“, frag ich, als ich sie um sieben Uhr früh am S-Bahnhof Wedding treffe. Neben dem Lastenfahrrad, das ihr Konterfei auf dem Korb trägt, steht bereits eine SPD-Beachflag sowie ein Tisch mit Thermoskanne.
„Wenn Sie möchten, können Sie Kaffee in die Becher füllen“, sagt sie. „Ich verteile die dann an die Leute.“

"Kaffee mit Maja" findet einmal pro Woche statt. Eine von vielen Formen, die Aufmerksamkeit der Wähler zu wecken. Als ich einmal vom Einschenken hochschaue, sehe ich, wie jemand bei Frau Lasićs Anblick zu lachen beginnt.
„Ey, dit is schon der dritte Kaffe, den ick diesen Monat von Ihnen kriege!“

Frau Lasić lacht auch. Dann holt sie sich bei mir neue Becher.
„Sie haben bestimmt gemerkt, dass ich jetzt nicht viel mit den Leuten rede. Die sind alle auf dem Weg zur Arbeit, da will ich niemanden aufhalten.“

Es fällt mir vor allem auf, dass sie keine aufdringliche Werbung für sich oder die Partei macht, sondern die Leute in erster Linie auffordert, überhaupt wählen zu gehen.

„Das ist hier einer der Kreise mit der niedrigsten Wahlbeteiligung“, erklärt sie. „Nur die Hälfte ist überhaupt wahlberechtigt. Und von der geben nicht mal 30 Prozent ihre Stimme ab. Aber gerade in Zeiten von AfD ist das unglaublich wichtig.“

Sie dreht noch eine Runde und wird prompt von einem Wutbürger in ein Gespräch verwickelt. Derweil baut sich ein Typ mit Stiefeln und Lederkutte vor mir auf:

„Bist du hier die Kaffeemaus von der SPD?“
„So ist es“, sag ich. „Milch und Zucker dazu?“

Als alle Kannen leer sind, machen wir uns auf den Weg zum Leopoldplatz, wo ein Infostand auf uns wartet. Ich frage sie, wie ihr Alltag vor dem Wahlkampf aussah.

© Clint Lukas

„Ich habe halbtags für den Integrationsbeauftragten der SPD gearbeitet. Außerdem bin ich Mutter und ehrenamtlich für die Partei tätig. Allein die Gremiensitzungen sind schon 12 bis 15 Termine pro Monat.“
„Und haben Sie jetzt im Wahlkampf überhaupt Zeit für den Integrationsjob?“
„Mit Job und Familie geht es in der heißen Phase für mich nicht mehr. Ich bin für drei Monate freigestellt.“
„Und wovon leben Sie dann?“

Sie nickt, als hätte ich einen wichtigen Punkt angesprochen.

„Ich habe zum Glück einen Mann, der auch Geld verdient. Ohne den hätte ich Job, Familie und Partei nie im Leben unter einen Hut gekriegt.“
„Sie sind Direktkandidatin und verdienen nichts?“
„Nein. Erst wenn ich gewählt werde und ein Mandat habe. Aber Sie können sich bestimmt vorstellen, dass das für viele eine große Hürde ist. Menschen mit Familie haben es generell schwerer. Und Alleinerziehende können so eine Wahlkampfphase fast unmöglich stemmen.“

Selbstgebackener Kuchen, rotes Wassereis und Hausbesuche – auf Wahlkampftour im Wedding

Am Leo reiht sich ein Infostand an den nächsten. FDP, Grüne, Piraten. Frau Lasić grüßt ihre Konkurrenten freundschaftlich. Stürzt sich dann ins Getümmel und verteilt Flyer, Kulis und rotes Wassereis an die Weddinger. Auf ihrer Homepage habe ich gesehen, dass man sie zu sich nach Hause einladen kann, wenn man sie kennen lernen will: „Ich komme gern vorbei und bringe einen selbstgebackenen Kuchen mit.“

„Backen Sie den wirklich selbst?“, frag ich deshalb.
„Ja, ein bosnisches Rezept. Cupavci, der Flauschige.“
„Aber nehmen das viele in Anspruch? Dann sind sie ja dauernd am Backen.“
„Es ist zu schaffen. Aber meine Familie kann ihn nicht mehr sehen. Die müssen immer die Reste essen.“

Wir trennen uns für den Nachmittag, weil sie einen Termin hat. Verabreden uns aber zum Haustür-Wahlkampf im Brunnenviertel.

Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit sehe ich sie auf dem SPD-Rad näher kommen. Sie hält vor einem ihrer Wahlplakate und entfernt einen Aufkleber. Ich gehe hin und betrachte ihn: "MAJA LASIC. SIEHT GUT AUS. MACHT DUMME POLITIK."

„In der ganzen Straße kleben die Dinger“, sagt sie.
„Wie fühlen Sie sich bei sowas?“
„Wollen wir uns nicht duzen?“
„Gern. Wie fühlst du dich denn bei sowas?“
„Wenn es gegen die SPD geht, kann ich es reflektieren. Schlimm find ich’s nur, wenn jemand persönlich wird.“

Als ich anmerke, dass der Aufkleber absurd ist, weil sie zum ersten Mal kandidiert und deshalb noch gar keine Politik gemacht hat, die man dumm finden könnte, zuckt sie nur mit den Schultern und steckt sich eine Gauloise an.

„Wo kommst du denn her?“, frag ich.
„Gebürtig?“
„Nein, jetzt.“
„Ach so. Vom Landesvorstand. Wir haben gerade CETA abgelehnt. Und über das Wahlergebnis in Meck'pomm wird auch viel gesprochen.“
„Glaubst du, das wird in Berlin auch so?“
„Ja“, sagt sie und bläst Rauch in den Wind. „Vor allem für die Bezirke wird das echt heftig. Wenn die AfD 13 oder 14 Prozent kriegt, kommen die direkt in die Regierungen. Ich meine, welchen Bereich könnte man denen geben, ohne Schaden anzurichten?“
„Public Relations“, sag ich und bringe sie damit zum Lachen. „Und wie läuft das nun mit den Haustüren?“
„Normalerweise sind wir immer zu zweit unterwegs. Wirkt einfach professioneller. Das heißt, heute bist du meine Verstärkung.“
„Genosse Undercover.“
„Genau.“

Wir steuern den ersten Wohnblock an, fahren mit dem Lift ins oberste Stockwerk und klingeln an einer der Türen. Als sie geöffnet wird, legt Maja los: „Guten Abend, mein Name ist Maja Lasić, ich bin die Direktkandidatin der SPD.“
„Ich weiß“, sagt ihr Gegenüber. „Ich kenn sie von den Plakaten. Aber sie haben ja Locken."
„Ja, das ist meine normale Frisur. So wie auf dem Plakat seh ich nur aus, wenn ich Zeit habe.“

Sie reicht ihm Broschüre und Kuli.

„Einige Nachbarn in der Straße meinten, sie haben hier Ärger mit ihrer Hausverwaltung?“

Ich habe selbst fünf Jahre im Brunnenviertel gelebt und weiß, von welcher Verwaltung sie spricht. Maja sammelt nun die Beschwerden der Mieter, um dann ein Treffen zu arrangieren.

„Und wenn sie nicht gewählt werden?“, fragt der Mann in der Tür.
„Das ist egal. Das mach ich unabhängig davon.“

Maja geht nun eine Tür nach der anderen durch. Stellt sich vor, bietet Hilfe an, fordert die Leute auf, wählen zu gehen. Als wir im Hof Pause machen, schau ich sie an.

Alt-Berliner, Erdogan-Anhänger, Linke. Manchmal sind die Leute nackt oder völlig verwahrlost.

„Du musst soviel reden“, sag ich bestürzt. „Ist das nicht anstrengend?“
„Eigentlich mach ich das gern. Die Herausforderung ist, dass man sich an jeder Tür auf einen neuen Menschen einstellen muss. Alt-Berliner, Erdogan-Anhänger, Linke. Manchmal sind die Leute nackt oder völlig verwahrlost. Und viele beschimpfen mich auch.“

Nachdem wir noch ein paar Häuser abgearbeitet haben, bestellen wir uns was beim Vietnamesen und setzen uns auf die Terrasse.

„Okay“, sag ich. „Ich muss einfach fragen. Warum die SPD? Warum nicht grün oder Linke?“
„Es gibt viel, was ich auch bei denen gut finde. Aber ich komme aus der Bildungspolitik. Und da ist die SPD die Partei mit dem Auftrag, sich für Chancengleichheit einzusetzen.“

Sie bemerkt meinen skeptischen Blick.

„Na, wir scheinen es ja nicht immer gleich gut geschafft zu haben, was? Sonst würdest du nicht so schauen“, sagt sie mit Augenzwinkern. „Ich bin durch und durch Pragmatikerin. Ich brauche eine Partei, die sich realistische Ziele setzt und dann auch den Anspruch hat, sie umzusetzen. Da sehe ich mich in der SPD an der richtigen Stelle. Und Fehler machen alle – auch wir. Dann muss man sie halt im Nachgang anerkennen und es besser machen.“

Ich trinke mein Singha-Bier aus.

„Sollen wir Feierabend machen?“, frag ich. „Du willst doch bestimmt zu deiner Familie.“
„Ja“, sagt sie und lässt in gespielter Erschöpfung den Kopf sinken. „Aber ich muss jetzt noch zu meiner Wahlkampf-Managerin. Heute hab ich meinen Sohn noch gar nicht gesehen. Aber morgen früh kann ich ihn in die Kita bringen.“

Sie strahlt, als sie das sagt. Langsam gehen wir zu der Stelle zurück, wo ihr Fahrrad steht. „Weißt du“, sagt sie. „Während wir hier reden, ist eine ganze Maschinerie für mich in Betrieb. So viele Ehrenamtliche, die Plakate aufhängen und tausend Sachen machen. Ich kenn das. Hab’s selbst sieben Jahre lang getan. Aber nun machen die das alles für mich. Weil ich die Kandidatin bin. Dafür bin ich unendlich dankbar. Das kann ich niemals zurück geben.“
„Doch“, sag ich. „Indem du deinen Job gut machst.“

Maja sieht jetzt entschlossen aus.

„Du hast recht“, sagt sie.

Ich verabschiede mich und gehe zur U-Bahn. Viel halte ich nicht von der SPD. Und so geht es mir auch mit den anderen Parteien. Aber Maja hat mich beeindruckt.

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