Großes Theater in fünf Akten – die Volksbühne bekommt einen neuen Intendaten
Wir geben es zu, wir kennen uns nicht allzu gut mit Theater aus. Das große Theater, was aber gerade in Berlin stattfindet – nämlich die Suche nach einem neuen Intendanten für die Volksbühne–, ist dann doch zu amüsant, um es unkommentiert zu lassen. Wir inszenieren hier, dem klassischen Regeldrama folgend, mal dieses Theater nach. Ein Stück über Zeitgeist, Tocotronic und wer den Größeren hat.
Die Protagonisten
Tim Renner, Kulturstaatssekretär von Berlin
Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne
Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles
Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin
Chris Dercon, Leiter der Tate Gallery of Modern Art in Berlin
1. Akt – Einleitung
Frank Castorf ist seit 23 Jahren Intendant an der Volksbühne. Tim Renner ist seit 2 Jahren Kulturstaatssekretär von Berlin. 2017 wird Castorf 25 Jahre an der Volksbühne gewesen sein. Zeit, ein bisschen Schwung in die Hütte zu bringen, wird sich Renner gedacht haben und teilte dem 3sat-Magazin "Kulturzeit" mit:
Also soll Chris Dercon ran. Der Mann war schon am Haus der Kunst in München und ist derzeit Leiter der rumreichen Tate Gallery of Modern Art in London.
Volksnah. Das ungemachte Bett von Tracey Emins könnte man auch in jedem anderen Schlafzimmer in London finden.
Als Theaterignorant kann man mit dieser Meldung nun sicher nicht viel anfangen. Mitarbeiter kommen und gehen und werden abgelöst. Wer bleibt schon 25 Jahre im gleichen Unternehmen mit derselben Position?!
Castorf ist trotzdem ein bisschen traurig und sagte der ZEIT:
2. Akt – Steigerung
So einfach ist das Ganze dann aber doch nicht. Das findet nicht nur die gesamte deutsche Kulturpresse, sondern auch Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles. Der schrieb nämlich erst einen offenen Brief an unseren Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der im Übrigens auch Kultursenator ist, …
… und äußerte sich dann rebellisch gegenüber der ZEIT folgendermaßen:
Wowereit hat sich den Renner in diese Hip-Hop-Hauptstadt geholt. Der Renner ist jung, frisch, ein bisserl dumm, immer nett lächelnd und auf Rhythmus aus. Ich hab mich ein paarmal mit dem getroffen – der weiß vom Theater nix. Da ist keinerlei Geschichtsbewusstsein, kein Hintergrund. Da können Sie genauso gut mit dem Pförtner spreche
Claus Peymann Twittern
Und legt nach:
Und eine Breitseite gegen Müller gibt's von Peymann auch noch:
Der Müller war neulich erstmals in seinem Leben in der Oper... Solche Leute sind also unsere Kulturpolitiker.
Claus Peymann Twittern
3. Akt – Umkehr der Umstände
Klar, dass so einer wie Renner das nicht auf sich sitzen lässt. In einem klugen Interview mit der F.A.Z. stellt er erstmal klar:
Um dann mit einer popkulturellen Breitseite gegen Peymann auszuholen.
Ich glaube aber nicht, dass wer weiß, wer Tocotronic sind.
Kunst in Berlin ist eben nicht nur Theater, sondern auch eine Inszenierung von René Pollesch mit Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow und die wurde erst kürzlich in der Volksbühne aufgeführt. Deswegen meint Renner auch:
Berlins Stärke besteht darin, Sachen neu zu denken, Sachen zu improvisieren, Sachen aus Zwischennutzungen heraus zu machen.
Tim Renner Twittern
4. Akt – Verlangsamung
Dann wurde es erstmal still. Gespannt wartete die deutsche und besonders die Berliner Kulturszene auf die Bekanntgabe des neuen Intendanten. Castorf gab sich derweil wenig optimistisch.
5. Akt – Katastrophe
Es kam, wie es kommen muss: Gestern, am 23. April, bestätigte Michael Müller, was alle befürchtet haben, Chris Dercon wird ab 2017 neuer Intendant der Volksbühne:
Ich freue mich darauf, dass Chris Dercon 2017 nach Berlin kommt.
Michael Müller Twittern