"Clubleben ist eine Höllenmaschine" – Sebastian Baier erzählt von seiner Arbeit als Betreiber der Neuen Heimat
Was sofort auffällt, ist der riesige Schlüsselbund den Sebastian Baier mit sich rumschleppt. So einen haben nur Hausmeister oder Betreiber eines riesigen Areals. Er erzählt, dass er vergangene Nacht allein zwei Stunden gebraucht hat, um den Betrieb herunterzufahren. Sebastian ist einer von drei Betreibern der "Neuen Heimat", einem Veranstaltungsort auf dem RAW-Gelände in Friedrichshain, der viele Türen hat.
In Bahnhofsruinen essen sich jedes Wochenende Sonnenbrillen tragende Berliner durch den Village Market, in einer anderen Halle spielen Jazz- oder Popbands, seit dem vergangenem Wochenende gastiert das geschlossene Stattbad Wedding mit seinen Veranstaltungen hier. Keine Frage also: Die "Neue Heimat" zählt zu den aufregendsten neuen Kulturbetrieben der Stadt.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben die Betreiber das Gelände bezogen, ein guter Anlass meinen alten Bekannten Sebastian anzurufen und um ein Interview zu bitten. So offen hat wohl kaum ein Clubbetreiber bisher gesprochen.
Wir haben uns im Dezember auf dem Weihnachtsmarkt der "Neuen Heimat" getroffen und du warst damals ziemlich stolz auf das, was ihr hier aufgebaut habt.
Das erste halbe Jahr lief hier wirklich super. Wir haben genau vor einem Jahr zur Fußball-WM klein angefangen und in einer Halle Fußball gezeigt. Beim Village Market und Weihnachtsmarkt wurden wir regelrecht überrannt, die Presse hat über die Stadtgrenzen hinaus über uns berichtet.
Kurz danach mehrten sich Gerüchte, dass des Probleme in der "Neuen Heimat" gebe.
Ja, das stimmt, wir haben eine Anzeige bekommen und das Bauamt stand vor der Tür.
Wieso war das ein Problem?
Wir haben uns, bevor wir hier angefangen haben, mit dem Bezirksstadtrat Hans Pannhoff hingesetzt und ihm erzählt, was wir hier machen wollen. Unser Plan ist es, dass Gelände nach und nach zu erschließen und hier einen Kulturbetrieb zu bauen. Ein Bauantrag ist aber ein langer Prozess, das ist kein Parkticket, das ich mir holen kann. Es gibt viele Stufen, angefangen beim Brandschutz, über Statik etc. – was sehr viel kostet. Einige Teile des Geländes sind aktuell weit von einer offiziell genehmigten Versammlungsstätte entfernt, die wir natürlich werden wollen. Als das Bauamt im Dezember kam, haben wir eine riesige Mängelliste bekommen, die wir nun abarbeiten müssen, um den Bauantrag final genehmigt zu bekommen.
Riesige Mängelliste? Das hört sich aber auch ein wenig gefährlich an.
Nein. Wir haben nie zugelassen, dass – wie man im Behördendeutsch sagt – Gefahr für Leib und Leben besteht. Das ist hier nie der Fall gewesen. Wir haben uns immer mit eigenem Architekten, Statiker, Brandschützer abgesichert. Dass das dann offiziell genehmigt ist, ist was anderes. Da liegen Monate und ein paar 100.000 Euro dazwischen.
Wer hat diese Anzeige gestellt?
Man kann bei jeder Anzeige Einsicht nehmen, von welcher Kanzlei die kommt. Wir hatten erst gedacht, dass es ein Nachbar war, aber es war definitiv ein anderer Clubbetreiber vom RAW-Gelände. Wir sind mit so einem großen Projekt natürlich auch sehr angreifbar. Wenn man so ein riesiges Gelände mit unterschiedlichen Mietern hat, ist die Frage, ob man gemeinschaftlich vorgehen will, ob man das gemeinsam entwickelt, oder ob da Jeder gegen Jeden ist. Wir sind ja sehr junge Nachbarn und wir haben schnell gemerkt, dass wir uns hier in ein extremes Spannungsfeld aus Eigentümern, Mietern, Politik und Medien gesetzt haben.
Was ist das für ein Spannungsfeld?
Unserem Vermieter gehörte einmal das ganze Gelände zusammen mit isländischen Investoren. Die haben sich allerdings zerstritten und es ging vor Gericht. Für die Mieter war lange nicht klar, wer ihr Ansprechpartner ist, wohin sie ihre Miete überweisen sollen. Dann wurde entschieden, dass die Isländer den Ostteil des RAW-Geländes zustehen und unser Vermieter den Westteil hier bekommt. Nun haben die Isländer ihren Teil an eine Unternehmergruppe aus Göttingen namens Kurth für 20 Millionen verkauft. Hier geht es seit 1999 darum, was mit dem Gelände passiert. Durch Die Grünen konnte verhindert werden, dass hier Wohnraum entsteht, was die SPD wiederum will. Die Anwohner haben dafür gestimmt, dass das Gelände familienfreundlicher werden soll, was für unser Konzept spricht. Aber natürlich machen sich die anderen Betreiber Sorgen, was jetzt genau passieren wird.
Wie seid ihr eigentlich zu diesem Gelände gekommen?
Das kam aus dem Himmel gepurzelt. Wir waren mit einem Makler an verschiedenen Objekten dran, unter anderem auch an einer Halle auf dem Gelände hier. Als der Eigentümer gehört hat, dass sich ehemalige Bar25-Betreiber dafür interessieren, wollte er uns treffen. Neben der Haupthalle hat er uns angeboten, noch weitere Hallen probeweise zu mieten und das gesamte Areal nach und nach zu bespielen. Wenn man das Gelände ganzheitlich betrachtet, sieht man, dass man hier ein richtiges kleines Viertel erbauen kann – mit einer Markthalle, einem Club, mit Garten und einer Eventhalle vielleicht. Natürlich alles groß gedacht, vielleicht sogar erdrückend groß für den Betreiber, aber das ist unsere Vision und daran halten wir fest.
Die Größe des Geländes erinnert ja auch an die Bar25, die dein Partner Danny Faber mitbetrieben hat und in der du auch gearbeitet hast. War denn in der Bar alles offiziell angemeldet?
Die Bar25 hat sich am Anfang eine Genehmigung beim Baumamt geholt und dann ist da in den ganzen sieben Jahren nie wieder jemand gekommen. Wenn man an die ganzen Bauwerke denkt, die danach noch entstanden sind, ist das ein Wahnsinn. Was gerade bei uns und Clubs wie dem Stattbad Wedding oder dem Sisyphos passiert, ist eine neue Zeit. Das Ordnungsamt geht gerade mit einer Sense durch Friedrichshain. Ich glaube, dass dieses Technoveranstaltungsuniversum, wie das der Bar25, so neu war damals, dass sie nicht begriffen haben, was da vor sich ging. Jetzt werden Bücher darüber geschrieben. Diese Art Kulturbetrieb ist so bekannt, dass die Behörden sich das gar nicht mehr erlauben können darüber hinwegzusehen.
Ist es noch immer so, dass es so ungenehmigt laufen kann, so lange sich niemand offiziell beschwert?
Die meisten Clubs sind ja angemeldet, nur vielleicht nicht genau mit dem, was sie machen. Aber die Ämter sind total überlastet, um dem ganz genau nachzugehen. Sobald aber eine Anzeige eingeht, müssen sie das.
Was ist der alltägliche Unterschied zwischen damals und heute?
Auch wenn sich das jetzt so altklug anhört: Es war einfach eine ganz andere Zeit. Heute arbeiten wir mit Asana, Dropbox und Google Drive und Regeln und Rechten. Und damals war es das Marktplatzprinzip: Man saß in einer großen Runde zusammen und hat gemeinsam die Saison geplant. Das war sehr anarchistisch, aber am Ende war das Ergebnis immer rund und echt. Das war eine geile Blaupause für einen Kulturbetrieb.
Wie bist du da überhaupt hineingeraten?
Ich habe in München bei einer Plattenfirma gearbeitet, bin dann nach Berlin gezogen und habe Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert und meinen Lebensunterhalt mit DJ-Jobs bestritten. Ich habe damals im Rodeo und bei der Live-Demo als Hip-Hop-DJ aufgelegt. Wenn meine Schicht dort vorbei war, bin ich in die Holzmarktstraße gefahren – gerade als die Sonne aufging. Durch das Feiern habe ich dann Leute wie Britta Arnold (Anmerkung d. Red.: damals Barfrau und Nachtmanagerin, heute DJane) und Danny Faber kennengelernt. Eines Nachts fragte sie mich spontan, ob ich für sie eine Schicht an der Bar übernehmen kann. Das habe ich wohl ganz gut gemacht. Am nächsten Tag kamen die Gastro-Chefs und sagten "Du arbeitest jetzt hier." Ich meinte, dass sie das was falsch verstanden hätten. Aber sie meinten nur so: "Nein, du arbeitest jetzt hier".
Als die Bar25 schloss, haben die ehemaligen Betreiber, Christoph Klenzendorf und Juval Dieziger, das Kater Holzig eröffnet, du und Danny das Chalet, was ihr mittlerweile verkauft habt. Du hast mir erzählt, dass dich diese Zeit total ausgepowert hat.
Ich war Bauherr, Betreiber, Booker, Nightmanager und Personaler in einem. Nach dem Tagesgeschäft klappt man seinen Rechner zu und wenn jeder in den Feierabend gehen würde, beginnt die Abendschicht und man ist dann die ganze Nacht da. Clubleben ist eine Höllenmaschine. Hätte jemand das Feiern für tagsüber erfunden, hätte wir alle ein paar weniger Falten. Die Profis schaffen es mithilfe eines Mineralwassers und eines Espressos, ihr Set zu spielen, und dann gibt es die, die im Backstage bis 12 Uhr mittags verenden und dann den nächsten Flieger nach Madrid nehmen.
Bei der "Neuen Heimat" passiert viel tagsüber. Ist das eine Art Abgrenzung zu damals?
Das war der Plan. Ich wollte ausgesprochen keinen Club mehr machen. Wir verstehen die "Neue Heimat" als ein Dorf mit Marktplatz, Restaurants, Club und Garten. Wir haben es in einem Jahr geschafft, dieses Glasscherbengelände tagsüber zu beleben und ganz viele, verschiedene Altersgruppen zu versammeln. Sonntags ist immer ein alter Mann mit Anzug hier, du warst mit deinem Sohn hier. Das ist toll. Wir merken, dass viele Menschen sehr lange bleiben. Die kommen mittags um 11 Uhr und sitzen am Abend noch immer im Hof. Und oftmals sind es Leute wie wir, die früher nächtelang in Clubs waren und sich heute über gutes Essen freuen.
© Cindy Dessau
Ich sag jetzt mal ein Wort: Gentrifizierung.
Diesen Vorwurf haben wir natürlich an der Backe. Da reicht ja schon, wenn man einen guten Wein anbietet.
Als ich neulich hier war, war ich überrascht, dass man für den Village Markt Eintritt bezahlen muss.
Wir haben ja schon über die Mängelliste gesprochen, die wir seit der Anzeige erfüllen müssen. Der Weihnachtsmarkt und der Village Markt bringen natürlich Geld ein, aber nachdem das Bauamt hier war, mussten wir die Halle 13 (Anmerkung d. Red.: Das ist die alte Halle, in der der Street Food Markt stattfindet) richtig schließen. Wir konnten nur in der Haupthalle unser Business machen – die war schon genehmigt, bevor wir eingezogen sind. Die Zulassungen für die anderen Hallen waren erst schwebend, sind jetzt aber geduldet. Dieses Eintrittsgeld nutzen wir u. a. dafür, dass Gelände auszubauen, aber auch, um dem Publikum ein hochwertiges Kulturprogramm zu bieten.
Das erste Jahr hat offensichtlich viel Energie gekostet. Ich frage ich mich, wieso du noch weitermachst?
Weil ich an die Sache glaube. Wir haben hier ein wunderbares Team und glauben an unsere Vision. Wir haben einen 10-jährigen Mietvertrag, wenn der ausläuft, gehe ich bereits auf die 50 zu. Für mich ist die "Neue Heimat" eine Lebensaufgabe. Manchmal komme ich mir vor wie jemand, der einen Heißluftballon zum Fliegen bringen will. Das ist am Anfang natürlich kaum möglich, aber irgendwann fliegt er. Oder auch nicht. Dann kann ich wenigstens sagen, dass ich etwas gemacht habe, worüber in der Stadt und über die Grenzen hinaus gesprochen wurde.
Vielen Dank!
Im Sommer plant die "Neue Heimat" den Village Markt mit einem Vintage Markt zu erweitern. Das geschlossene Stattbad Wedding gastiert nun mit seinen Veranstaltungen in der Werkhalle der Neuen Heimat.