Wohin geht der Journalismus? Eine lässige Zukunft ist doch schöner als keine.

© Matze Hielscher

Es ist schon bezeichnend, dass in der gleichen Woche diese zwei ziemlich unterschiedlichen Meldungen die Welt erblicken: Die eine kommt von der F.A.Z.. Diese veröffentlicht im Wirtschaftsteil einen großen Artikel über die Zukunft der Zeitungen und sieht nur eine 50/50-Chance für ihr eigenes Überleben. Es wird orakelt: Noch sieben Jahre wird es die gedruckte Zeitung geben.

Die zweite: Das Online-Magazin BuzzFeed bekommt ein Investment von 50 Millionen Dollar. Der Unternehmenswert wird auf 850 Millionen Dollar geschätzt. Man muss nur beide Webseiten gleichzeitig im Browser öffnen und ahnt, warum das so sein könnte: Auf der Seite der F.A.Z. kann ich auf dem winzigen Headline-Bild gerade so Frank-Walter Steinmeier erkennen, der Rest ist klein gedruckter Text; irgendwo wird dafür geworben, einem "50+"-Netzwerk beizutreten. Auf BuzzFeed sehe ich neue "Ice Bucket Challenge"-Videos neben einem Update zu den Krawallen in Ferguson. Es gibt keine thematische Trennung zwischen den News. Wie in der Facebook-Timeline wechseln sich die Informationen ab. Syrienkonflikt, Katzenvideo, Celebrities – direkt nebeneinander. Alles bebildert.

Was früher der Zeitungskiosk für die Distribution von Nachrichten war, sind heute die sozialen Medien. Schaut man sich die Interaktion am Beispiel der F.A.Z.-Seite an, scheinen deren Posts eher Dienst nach Vorschrift. Ihr folgen stolze 190.540 Menschen bei Facebook, die aktuellsten Posts – Bundesliga Tippspiel und Pinterest kommt nach Deutschland – haben aktuell nicht mehr als 25 Likes. Scrollt man etwas weiter nach unten, werden es selten mehr als 100. Natürlich sollen Likes und Shares nicht das Maß der Dinge sein, aber man fragt sich schon, für wen hier gepostet und Journalismus betrieben wird? Für sich und die Kollegen der anderen Redaktionen?

Heute erschien passend ein Artikel auf FAZ.net (sorry, aber...), in dem sich die Autorin über die Art der journalistischen Annäherung und grundsätzlich lässigen Themenaufbereitung bei Vice und Kollegen wie Amy & Pink und Schlecky Silberstein beschwerte. Sie schließt mit: "Alles wird eingemeindet in eine fröhliche Welt der lässigen Redundanz, von Menschen, die sich selbst dabei wohl ziemlich lässig vorkommen." Das klingt wie eine Schulhofschelte vom Aufsichtslehrer und zeigt einmal mehr, wie weit neue und alte Medien voneinander entfernt sind.

Misery Fuck

Deutlich wird diese Starre auch in den Erlösmodellen. Bannerwerbung ist 2014 in Deutschland noch immer die gängigste Werbeform im Onlinebereich. BuzzFeed-Gründer Jonah Peretti orakelt auch gern: Er denkt, dass Bannerwerbung ein historischer Fehler ist und bald verbannt sein wird. Er und seine Kollegen setzen auf Native Advertising. Das ist gekennzeichnete Werbung, die wie normale Artikel aussieht; Werbung die nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern auch relevanten Inhalt bieten soll.

Gestern hat die amerikanische Musikseite Pitchfork ihre 100 besten Album der Dekade veröffentlicht – gesponsert von Beck's. Eine tolle Liste, 870 Mal auf Facebook geteilt, 2600 Mal für gut befunden. Während die New York Times und Washington Post sich auch an gesponserten Artikeln probieren, wird diese Werbeform in Deutschland mit hochgezogenen Augenbrauen beäugt. Redaktioneller Inhalt und Werbung sollen bitte strickt voneinander getrennt sein. Glaubt wirklich jemand, dass die jährlichen Uhren-Specials in Magazinen ein persönliches Anliegen des Chefredakteurs sind?

In Deutschland gehören wir bei Mit Vergnügen noch zu den wenigen, die mit diesem Modell experimentieren. Wir bezahlen damit unsere Autoren, die Miete, den Server. Ob das langfristig funktioniert? Keine Ahnung, wir probieren es aus. Ob damit wirklich gute Inhalte geschaffen werden können? Ja. Und schlechte? Auch das. Und ist unabhängiger Journalismus damit auch möglich? Wir wollen es hoffen.

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So einfach das klingen mag: Ich glaube, der Grund für die Handlungsunfähigkeit ist, dass es den deutschen Medienhäusern noch zu gut geht, anders ist mir der unfassbar verhaltene Experimentierwillen nicht zu erklären. Statt Elfenbeinturmjournalismus zu betreiben, zu jammern, zu meckern, darauf zu warten, dass alles perfekt dem entspricht, was man sich mal vor 100 Jahren geplant hat, sollten die verkrusteten Redaktionen endlich den Mut haben, einen neuen Weg zu gehen und nicht nur darüber schreiben. Wenn ich weiß, dass ich mit meinem Unternehmen nur eine 50-prozentige Überlebenschance habe, dann ist ein radikaler Kurswechsel die einzige richtige Richtung.

Also: Unrentable Tageszeitung direkt abschaffen, auf das Online-Angebot und die Wochenendausgaben fokussieren, einen Eimer Eiswasser über den Kopf gießen und gemeinsam mit Vice, BuzzFeed und den vielen guten Blogs daran arbeiten, wie es weitergehen könnte. Ihr gebt uns Nachhilfe beim Handwerk und wir zeigen euch wie man in Zeiten der Krise cool bleibt.

Eine lässige Zukunft ist viel schöner als keine. Oder?

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