Datingvergnügen auf dem Fernsehturm

Das Empire State Building in New York City gilt als der Treffpunkt für romantische Begegnungen. Wie die junge Meg Ryan in "Schlaflos in Seattle" hoffen Besucher auf den schicksalhaften Moment, in dem sie die große Liebe erkennen und das eigene Leben zum Spielfilm wird. In Berlin haben wir keine Häuserschluchten mit der Freiheitsstatue im Hintergrund. Aber wir haben den Fernsehturm.

Wie die meisten Berliner habe ich bisher einen großen Bogen um die Besichtigung der 203 Meter hohen Aussichtsplattform gemacht. Ich bin ja kein Tourist und den Alex mag ich auch nicht. Fall abgeschlossen. "Eigentlich schade und engstirnig", dachte ich schließlich Anfang der Woche und malte schönste Szenarien der Liebe auf den ersten Blick über die Großstadt aus. "Vielleicht ist der Fernsehturm ja doch unser deutsches Empire State Building."

fernsehturm, berlin, julius kraft

Mit überspitzten Hoffnungen treffe ich mich Dienstag um 20 Uhr mit meinem Date inmitten einer Gruppe spanischer Studenten. Eine Umarmung und wir stellen uns ans Ende der Menschenschlange. "Zusammen oder getrennt" heißt es nach zehn Minuten. "Getrennt" sagen wir ganz modern und bezahlen jeweils unsere 13 Euro. Aufgeregt mache ich einen schlechten Witz, der bei meinem Datingpartner im schwarzen Pulli und Nike-Sneakern eher weniger ankommt. Der Aufzug bringt uns mit 6-Meter-pro-Sekunde-Geschwindigkeit und Glasdecke eindrucksvoll nach oben. Da nimmt man auch den Flugzeug-Ohrendruck und Menschen-Mief noch in Kauf. Wir stehen schließlich über den Dächern Berlins.

Drei Feststellungen aus der Praxis

Mein Date: “Schau! Hier um die Ecke, da wohn’ ich. Ich glaube man sieht sogar meinen Lieblings-Rewe.” Ich: “Also ich weiß ja nicht, wie du von hier den Rewe erkennen kannst! Ich sehe da schwarz und Straße.”

1. Berlin kann man auch gut von oben kennenlernen
Auf der Aussichtsplattform angekommen, schaut man auf die kleinen Straßen, Busse und Menschen der Stadt herunter. Das ist besser als im Miniaturmuseum und lädt zum Fachsimpeln ein! Im Schnelldurchlauf erkundet man die Stadt und prüft die Ortskenntnis. Oder lässt sich in meinem Fall über Architektur der Renaissance, hässliche Plattenbauten und die Schattenseiten von Marzahn aufklären. Nicht zu tiefgründig, aber ein lockerer Einstieg ins Date. Einziges Manko: Die Glasscheibe vor der Nase und Innenraumbeleuchtung im Nacken mindern das Freiheitsgefühl.

2. Touristen bieten immer Stoff für Anekdoten
Umringt von Touristen aus aller Welt, kommt man nicht darum, bei Gruppenfotos und Familienandenken zu helfen. Bei einem Blick auf den Potsdamer Platz werden wir von einer Gruppe aus Sachsen um ein Panoramafoto gebeten. Gefragt, getan. Die Abschlussklasse positioniert sich, ich drücke den Auslöser, wandere unbeholfen mit der Linse von links nach rechts, sie lösen die Position und kontrollieren. Nichts geworden. Neuer Anlauf. Position, Auslöser, Kontrolle. "Ne du, des is nisch". Beim dritten Anlauf bekomme ich es schließlich hin und ein Danke zurück. Ich versinke im Boden und mein Date lacht sich kaputt. Das bietet wunderbaren Stoff für "How I met your father"-Geschichten oder Anekdoten vom Desasterdate.

3. Der Alex ist der perfekte Ort, um den Abend zu beginnen
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Ich: "Ein Mist, dass man hier nicht rauchen kann. Bier, Blick über Berlin, eine Zigarette. Das wär' jetzt was schönes." Mein Date: "Wir finden noch 'ne Bar danach."

Bei einem touristisch-überteuerten Bier (3,80€) vergisst man Technikpannen, kann das rege Treiben der anderen Besucher diskutieren und sich an Dialekten versuchen. Wenn man nach dem Bier genug Sächsisch für einen Abend gehört hat, stellt der Alex schließlich die perfekte Ausgangssituation zum Weiterziehen dar: U8, zwei Stopps und der Rosenthaler Platz und die Kastanienallee laden zum klassichen Teil des Dates samt Windlicht und Flohmarkt-Ganitur ein. Mal ohne Touris und Bilder-Schießen.

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Unterm Strich
Der Besuch des Fernsehturms ist die Aussicht über Berlin auf jeden Fall wert, für ein komplettes Date aber eher ungeeignet, da der Besuch leider schnell an Reiz verliert, teilweise mit unangenehmen Wartezeiten verbunden ist und damit nur der Startpunkt des Abends sein kann. Meine Liebe zum Fernsehturm ist dennoch ungebrochen. Ich genieße ihn nur einfach lieber aus der Ferne – als große Kompassnadel der Stadt, als Wahrzeichen und Freund.

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Berliner Fernsehturm
Panoramastraße 1A, 10178 Berlin
Öffnungszeiten: März bis Oktober täglich 9:00 – 24:00 Uhr, November bis Februar 10:00 – 24:00 Uhr
Preise: Tageskasse 13 €; VIP, Early Bird, etc. siehe hier

Sein letztes Date verbrachte Julius übrigens im Tierpark.

Titelbild: © freimark, flickrCC
Aussicht Fernsehturm: © Fred Karklin, flickrCC
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