Lesevergnügen #22: Diese 11 Neuerscheinungen solltet ihr unbedingt lesen
Einer Umfrage zufolge haben es in Deutschland rund zehn Prozent der Menschen ab 14 Jahren geschafft, täglich ein Buch in die Hand zu nehmen – fast 13 Prozent gaben immerhin an, sich mehrfach in der Woche die Zeit zu nehmen, um ein paar Zeilen zu lesen. Damit das perspektivisch noch mehr Menschen werden, liefern wir euch regelmäßig thematische Buchtipps und heiße Neuerscheinungen. In den vergangenen Wochen erschien nach rund vier Jahren mit "Dschinns" das zweite Buch von Fatma Aydemir, in dem sie eine (türkisch-deutsche) Familiengeschichte erzählt. Doron Rabinovici thematisiert in seinem Roman "Einstellung" die Macht der Bilder und Populismus und Juliane Marie Schreiber liefert mit "Ich möchte lieber nicht" ein Plädoyer fürs Schlecht-drauf-sein ab. Diese elf Bücher bringen euch garantiert dazu, (noch) häufiger zum Buch zu greifen.
Fatma Aydemir: "Dschinns"
2017 hat Fatma Aydemir mit ihrem erfolgreichen Debütroman "Ellbogen" deutlich gemacht, dass wir von ihr noch sehr viel mehr lesen wollen. Rund fünf Jahre später ist es soweit und sie veröffentlicht ihren neuen Roman. Mit "Dschinns" erzählt Aydemir nicht nur eine Familiengeschichte, sondern vielmehr Geschichten von sechs Protagonist*innen, die zufällig miteinander verwandt sind. Denn auch wenn sie eine gemeinsame Familiengeschichte haben, so hat jede*r einzelne von ihnen auch seine eigenen Probleme, Verletzungen, Ängste und Ziele. Eigentlich lebt die Familie in Deutschland, doch als der 30-jährige Hüseyin plötzlich kurz vor seinem Umzug nach Istanbul an einem Herzinfarkt stirbt, reist die Familie für die Beerdigung in die Türkei und versammelt sich in seiner Wohnung und arbeitet eine jahrzehntelange Familiengeschichte auf.
Erschienen bei Hanser Literaturverlage | 24 Euro | 368 Seiten | Mehr Info
Yade Yasemin Önder: "Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron"
Ein Jahr nach dem Tschernobyl-Unglück wird die Ich-Erzählerin in der westdeutschen Provinz geboren – als Tochter eines übergewichtigen, türkischen Vaters, mit dem so gar nichts anzufangen ist und der sie nach seinem Tod mit der Mutter in einer toxischen Beziehung zurücklässt. In Önders Debütroman erzählt sie in Form einer Familiengeschichte von Identität und Ankommen, von Zugehörigkeit und Körper. Als Lesende hören wir die Geschichte eines Großvaters, der ein Loch im Hals hat, von Sommern in Istanbul und von einer jungen Frau, die sich in ihrer Welt immer wieder verliert und auf der Suche nach sich selbst ist. Und während sie durch ihr Leben taumelt, kommt sie gedanklich immer wieder zu ihrem Vater und es beschleicht sie das Gefühl, dass jemand auch in seiner Abwesenheit zu präsent sein kann.
Erschienen im KiWi Verlag | 20 Euro | 256 Seiten | Mehr Info
Jakob Augstein: "Strömung"
"Mein Name ist Franz-Xaver Misslinger und bei mir hört das Scheitern mit dem Namen auf". Der Protagonist von Jakob Augsteins Debütroman "Strömung" hat vor allem vor einer Sache Angst: dem Scheitern. Deswegen tut er alles für seine Karriere, ist mit Mitte vierzig erfolgreicher Politiker und auf dem Weg, Parteivorsitzender zu werden. Doch als er gemeinsam mit seiner Tochter kurz vor der Wahl Donald Trumps eine Reise in die USA macht, wird ihm schmerzlich bewusst, dass sich die Welt viel schneller verändert als ihm lieb ist, dass er an alten Gewissheiten nicht mehr festhalten kann und ihm sein Leben langsam aber sicher entgleitet. Mit viel Witz, gut platzierter Überzeichnung und ein bisschen Drama erzählt Augstein eine Geschichte von politischem Wandel und dem Verschwimmen von Traum und Wirklichkeit.
Erschienen im Aufbau Verlag | 22 Euro | 301 Seiten | Mehr Info
Doron Rabinovici: "Die Einstellung"
August Becker zählt zu den besten Porträtfotografen seiner Zeit. Kaum ein anderer schafft es, mit einer Fotografie die Fassade des*r Porträtierten so zum Bröckeln und damit das Innere zum Vorschein zu bringen. Kein Wunder also, dass ausgerechnet er von einer liberalen Wochenzeitschrift den Auftrag bekommt, den Spitzenkandidaten Ulli Popp einer populistischen Partei zu porträtieren. Und zwar mit einem ganz klaren Ziel: Die tiefen Abgründe und eigentlichen Absichten des Politikers, der gegen Migrant*innen und Frauen* hetzt und unabhängige Medien am liebsten verbieten würde, zu entlarven. August ist sich sicher, dass er es mit seiner einzigartigen Bildsprache schafft, den Ausgang der Wahl beeinflussen zu können – doch soll er damit recht behalten? Ein fast schon unangenehm aktueller Roman, der mit Witz und Ironie von einer Gegenwart erzählt, die von Populismus, Hetze, Fake News und einer gespaltenen Gesellschaft erzählt.
Erschienen im Suhrkamp Verlag | 24 Euro | 224 Seiten | Mehr Info
Véronique Olmi: "Die Ungeduldigen"
Die Geschichte junger Frauen, die sich aus ihrem konservativen Elternhaus und den steifen Konventionen ihrer Gesellschaft emanzipieren wollen, ist zwar nicht neu, aber das ist die Idee, eine Liebesgeschichte zu erzählen auch nicht – und trotzdem lesen wir sie immer wieder. Véronique Olmis nimmt in ihrem neuen Buch die Leser*innen mit auf eine spannende Reise in das Frankreich der 1970er Jahre und erzählt eine ganz besondere Familiengeschichte: Die drei Schwestern Hélène, Sabine und Mariette leben mit ihren Eltern im beschaulichen Aix-en Provence. Ihre Sehnsucht nach dem "echten" Leben und Selbstbestimmung zieht sie aber alle drei immer wieder nach Paris, eine Stadt, die zwischen Feminismus, Protest und freier Liebe taumelt. Olmi ist hiermit ein warmherziger Roman gelungen, der von Veränderung, Selbstbestimmtheit, Aufbruch und ganz viel Leichtigkeit erzählt.
Erschienen im Aufbau Verlag | 24 Euro | 448 Seiten | Mehr Info
Asako Yuzuki: "Butter"
Manako Kajii ist als verurteilte Serienmörderin im Gefängnis in Japan. Sie soll alleinstehende Männer zu sich eingeladen, mit ihren Kochkünsten verführt und sie anschließend ermordet haben. Als die junge Journalistin Rika davon hört, sieht sie darin sofort eine Geschichte und möchte sich mit Kajii zu einem Gespräch treffen. Doch diese stimmt einer Begegnung nur unter der Prämisse zu, dass sie lediglich über ihre Kochkunst, nicht aber ihre Vergehen sprechen möchte. Die beiden Frauen beginnen sich regelmäßig zu treffen – es entsteht eine seltsam-schöne Beziehung, die sich mit den Themen Genuss und Freundschaft, aber auch den unmöglichen Erwartungen, die an Frauen in der patriarchalen Welt gestellt werden, auseinandersetzt.
Erschienen im Blumenbar Verlag | 23 Euro | 442 Seiten | Mehr Info
Lauren Oyler: "Fake Accounts"
Felix versteckt jede Nacht sein Handy unterm Kopfkissen. Was seine Freundin zunächst als seltsame Angewohnheit eines lustigen und gleichsam reservierten Typen hielt, der einfach zu lange keinen Nachttisch hatte, bringt sie zum Grübeln, als Felix ihr gegenüber immer seltener lustig, dafür noch reservierter wirkt. Nach müßiger Beobachtung knackt sie irgendwann den Pin seines Handys – und beginnt nachzulesen, was er so vehement zu verbergen versucht. Die seltsame Erkenntnis: Felix betrügt sie nicht. Zumindest nicht körperlich, mit einer anderen Person. Stattdessen führt Felix im Internet ein völlig anderes Leben. Ein Leben, in dem er Verschwörungstheorien und Fake News im Netz verbreitet. Für sie ist das definitiv ein Trennungsgrund. Doch noch während sie noch darüber nachdenkt, wie sie das anstellt, erfährt sie von seinem Tod. Wie geht man damit um, wenn ein Mensch stirbt, von dem man bis vor Kurzem dachte, ihn zu kennen und zu lieben – und dann bemerkt, dass man überhaupt nicht wusste, wer sein Gegenüber war? Ein grandioses Buch, in dem unsere Gegenwart und die zunehmende Relevanz der sozialen Medien den Stellenwert einnehmen, den sie auch in unserem realen Leben längst haben.
Erschienen im Berlin Verlag | 24 Euro | 368 Seiten | Mehr Info
Rayk Wieland: "Beleidigung dritten Grades"
Wenn ein älterer Mann plötzlich auf der Polizeiwache am Alexanderplatz in Berlin auftaucht und Anzeige erstatten will, weil ihn ein anderer Mann zum Duell herausgefordert hat, kommen sicher viele zu dem Entschluss: Hier ist jemand aber ganz schön loco. In Berlin gibt's zwar vieles, aber dass sich Männer ernsthaft mit Pistolen duellieren, passiert schon seit 100 Jahren nicht mehr. Oder etwa doch? Als der Psychiater Oskar B. Markov auf der Wache nicht locker lässt, beschließen die Polizist*innen Nachforschungen anzustellen – und landen bei einem Antiquar, dem die Geschichtsbücher rund um das Duellieren in seinem Antiquariat buchstäblich zu Kopf gestiegen sind. Diese hat Markov nämlich tatsächlich zum Duell gefordert, weil seine Ex-Freundin etwas mit dem Psychiater angefangen hat. Wieland verbindet in diesem Buch herrlich komisch Klamauk mit historischen Fakten und erzählt eine rasante Geschichte zwischen Liebe und Duellen.
Erscheint am 08. März im Kunstmann Verlag | 24 Euro | 320 Seiten | Mehr Info
Thilo Mischke: "Alles muss raus"
Thilo Mischke zählt zu jenen Journalist*innen, die sich an die abgelegensten und gefährlichsten Orte der Welt begeben, um Geschichten zu erzählen. Geschichten von Menschen, deren Lebensrealität nichts mit unserer gemein hat. Gemeinsam mit seinem Team begibt sich Mischke auf der Suche nach Menschen an seine eigenen Grenzen – er trifft ukrainische Soldaten, blickt dem Tod in El Salvador ins Auge und lernt Freundschaft in Island neu kennen. In seinem Reisebericht "Alles muss raus" erzählt er nun von spannenden, ergreifenden und grausamen Erlebnissen und verknüpft sie mit den großen gesellschaftlichen Themen Tod, Liebe, Freundschaft, Religion und Familie. Ein Buch, das beim Lesen gleichermaßen berührend wie unangenehm ist, sodass man kaum umhin kommt, es immer wieder wegzulegen, über das Gelesene nachzudenken und erneut zum Buch zu greifen, um weiterzulesen.
Erschienen im Droemer HC Verlag | 20 Euro | 208 Seiten | Mehr Info
Juliane Marie Schreiber: "Ich möchte lieber nicht"
Immer wieder wird uns eingetrichtert, dass wir an unseren Niederlagen wachsen, negative Erfahrungen uns auch weiterbringen und wir selbst in den schlimmsten Dingen etwas Positives sehen können. Selbst Teebeutel und Duschgels haben clevere Mottosprüche auf Lager, wie wir wieder richtig gut drauf sein können. Aber sollten wir das? Immer gut drauf sein? Immer das Positive sehen? Juliane Marie Schreiber hat hier eine klare Haltung: Nein zum immer Positiven und Ja zur schlechten Laune und der Unzufriedenheit. Die Geschichte widerspricht ihr da nicht einmal, denn in der Vergangenheit waren es zumeist die Unzufriedenen, die es geschafft haben, etwas zu bewegen und letztlich zum Besseren zu verändern. Schreiber liefert hier ein Buch, das einen zwar nicht unbedingt glücklich macht, aber mit gutem Witz davon berichtet, warum wir unsere Wut und Unzufriedenheit nicht immer runterschlucken sollten.
Erscheint am 10. März im Piper Verlag | 16 Euro | 208 Seiten | Mehr Info
Kurt Krömer: "Du darfst nicht alles glauben, was du denkst"
Wen Kurt Krömer nicht schon mit seiner Sendung "Chez Krömer" um den Finger gewickelt hat, der*die ist ihm spätestens seit seinem Auftritt bei der Amazon-Prime-Produktion "LOL" verfallen. Kurt Krömer ist klug, humorvoll und trifft so pointiert Aussagen, dass er mit Leichtigkeit um die gesellschaftliche Gürtellinie tanzt. Doch wer ist Kurt Krömer, wenn er nicht auf der Bühne steht, ganz Deutschland unterhält? In seiner Sendung erzählt er erstmals im Gespräch mit Torsten Sträter über seine langjährige Depression. Alexander Bojcan ist 47 Jahre alt, alleinerziehender Vater, trockener Alkoholiker, war jahrelang depressiv und begeistert die Menschen als Kurt Krömer. In seinem Buch schreibt er offen von seiner Zeit in der Tagesklinik, von seinen Ängsten und seiner schweren Depression – das aber nicht etwa als Leidensbericht, sondern immer auch humorvoll. Dieses Buch ist ein wunderbarer Beitrag dazu, psychische Erkrankungen endlich aus der Schweigeecke hervorzuholen und eine tiefberührende Liebeserklärung an das Leben und die Kunst.
Erscheint am 10. März im KiWi Verlag | 20 Euro | 192 Seiten | Mehr Info