Lesevergnügen #20: 11 wirklich lesenswerte Neuerscheinungen für den Spätsommer
Nachdem die letzten, sogenannten Hochsommerwochen eher unbeständig waren, setzen wir unsere Hoffnung in den wunderbaren Spätsommer und anklingenden Herbst. Gemütliche, laue Abende im Park oder auf dem Balkon, entspannte Nachmittage am Ufer, immer mit dabei: ein gutes Buch. Die Neuerscheinungen der vergangenen und kommenden Wochen bieten dabei wieder etwas für jeden Geschmack. Kira Jarmysch schreibt über inhaftierte Frauen in Moskau, Sally Rooney mal wieder über die Liebe und Freundschaften und Katja Lewina über Sex und Männer. Was ihr euch sonst noch auf die Must-Read-Liste schreiben solltet? Seht selbst – und bucht euch am besten einen extralangen Urlaub, damit ihr auch Zeit habt, all eure neuen Lieblingsbücher zu lesen.
Rocko Schamoni: "Der Jäger und sein Meister"
Bereits in seinem letzten Roman "Große Freiheit" tauchte Rocko Schamoni tief ein in das wilde Hamburg der 60er und 70er Jahre. Und genau da, zwischen bürgerlichem Leben, moralischer Grenzüberschreitung und ungezügelter Freizügigkeit spielt auch sein neuer Roman "Der Jäger und sein Meister". Die Leser*innen begleiten Joskas Freundschaft zu Heino, der ein hochbegabter Künstler und Satiriker ist, aber liebevoll als "Meister" bezeichnet und dennoch unironisch verehrt wird. Schamoni bewegt sich in seiner Erzählung zwischen Genialität und Wahnsinn und beweist einmal mehr, was für ein feinfühliger Chronist des Lebens er sein kann.
Erschienen im Hanserblau Verlag | 288 Seiten | 22 Euro | Mehr Info
Aminata Touré: "Wir können mehr sein"
Aminata Touré ist längst keine Unbekannte mehr und eine wichtige Stimme, wenn es darum geht, zu pointieren, was in unserer Gesellschaft schief läuft. In ihrem Buch "Wir können mehr sein", skizziert sie, was sich in diesem Land verändern muss, um ein gleichberechtigtes und offenes Miteinander herstellen zu können, denn ein Blick auf ihre Vita beweist: Wir sind noch längst nicht da, wo wir sein sollten. Aminata Tourée verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in einer Geflüchtetenunterkunft, heute ist sie Vizepräsidentin eines Landtages. Sie erzählt davon, wie es sich anfühlt, als Schwarze Frau in einer Gesellschaft aufzuwachsen, die sich ihre eigenen rassistischen Züge nicht eingestehen kann, aber auch davon, wieso sie den Weg in die Politik einschlug. Es geht um große Erfolge, einige Rückschläge, um das Scheitern und darum, dass wir dringend junge und diverse Menschen in den sonst so festgefahrenen Institutionen brauchen, denn nur, wenn wir das Problem an der Wurzel packen, können sich Machtverhältnisse und Ungleichheit verändern.
Erschienen im KiWi Verlag | 272 Seiten | 14 Euro | Mehr Info
Katja Lewina: "Bock"
Katja Lewina hat Bock – darauf, unsere Gesellschaft über Sexualität aufzuklären. Wie leben Männer ihre Sexualität aus? Was bedeutet Männlichkeit für sie? Wann sind Männer verletzlich? Wie geht es ihnen wirklich beim Sex? Um das herauszufinden, hat sie die verschiedensten Männer – vom Orgasmus-Coach über einen Urologen, einen Priester, einen trans-Mann bis hin zu dem netten Boy von nebenan waren alle Typen vertreten – getroffen und mit ihnen über ihre Sexualität, ihre Sehnsüchte und Geheimnisse gesprochen. Es geht darum, mit welchen Ängsten und Sorgen das Mannsein heute behaftet ist und wie Erwartungshaltungen das Verhalten beeinflussen, denn um das Patriarchat zu beenden, genügt es nicht, wenn nur Frauen sich dafür einsetzen, es muss eine gemeinsame Lösung gefunden werden. El Hotzo schreibt: "Wenn dieses Buch 1983 erschienen wäre, hätte sich Herbert Grönemeyer seine geschrie-sunge Frage danach, wann ein Mann ein Mann ist, selbst beantworten können." Zumindest unsere und die künftigen Generationen, wissen dank diesem Buch jetzt, wo sie sich diese Frage beantworten können.
Erschienen im Dumont Verlag | 224 Seiten | 20 Euro | Mehr Info
Te-Ping Chen: "Ist es nicht schön hier"
Ist es nicht schön hier? Diese Frage versucht die Journalistin Te-Ping Chen in ihrem ersten Buch zu beantworten, abzielend darauf, wie sich das Leben im heutigen China eigentlich anfühlt. Um dies zu ergründen, versetzt sie sich in verschiedenen Lebenssituationen von Chines*innen und erzählt von ihren Lebensumständen, was sie bewegt und wie es ihnen ergeht. Beim Lesen lernen wir eine Bloggerin kennen, die regierungskritische Inhalte veröffentlicht und dafür ins Gefängnis wandert, einen Mann, der mit Regierungsgeldern in Aktien investiert und einen Mann, der auf dem Land lebt, Dinge erfindet und davon träumt, in die Regierungspartei aufgenommen zu werden. Ein vielschichtiges Buch, das einen einzigartigen Blick auf das Leben in der durchaus umstrittenen Republik China beschreibt. Unbedingt lesen!
Erschienen im Aufbau Verlag | 251 Seiten | 22 Euro | Mehr Info
Dennis Pfabe: "Simonelli"
Jonathan Simonelli ist Requisitenbauer. Als ihm plötzlich eine alte japanische Pistole in die Hände fällt, in deren Griff ein sogenannter "Sweetheart-Grip" eingearbeitet ist, kommt ihm der Gedanke, damit endlich seine Familie zu retten. Wie? Indem er das begehrte Sammlerstück für viel Geld verkauft. Mit dem Geld, das ihm für die Pistole mit dem eingearbeiteten freizügigen Foto geboten wird, könnte er seiner Tochter helfen und sich wieder in ihr Herz kämpfen. Ein interessantes Buch über einen Mann, der seine Chance wittert, endlich alles richtig machen zu können. Was der Nachbau des Ankers der Titanic damit zu tun, wer sonst noch Interesse an der Pistole hat und worauf sich Simonelli hier wirklich eingelassen hat? Lest selbst!
Erschienen im Rowohlt Verlag | 288 Seiten | 22 Euro | Mehr Info
Freya Sampson: "The Last Chance Library"
June Jones ist eine Bibliothekarin wie sie im Buche steht, haha. Sie lebt in dem britischen Dorf Chalcot, umgibt sich privat lieber mit dicken Wälzern als mit anderen Walzer zu tanzen, doch in der Bibliothek, ist sie für ihre Kund*innen da. Sie hilft Stanley mit dem Computer, unterhält sich mit Chantal, die zu Hause nicht so gut für die Schule lernen kann und sucht für die geflüchtete Leila Kochbücher raus. Alles scheint gut, doch dann droht die Gemeinde mit der Schließung. Um dies zu verhindern, wächst June über sich hinaus, kämpft für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes, der gleichsam ihr Zuhause geworden ist und lernt dabei nicht nur viel über sich selbst, sondern auch was Freundschaft, Gemeinschaft und natürlich Liebe bedeuten. Charmantes und belesenes Außenseitertum, das allen, die auch gern und viel lesen, ganz warm ums Herz werden lässt. Wie würdet ihr wohl reagieren, wenn euer Lieblingsbuchladen oder Bibliothek plötzlich schließen müsste?
Erschienen bei Berkley Books | 336 Seiten | 14.99 Euro | Mehr Info
Raven Leilani: "Hitze"
Edie ist 23 Jahre alt, lebt in Bushwick, hat gerade ihr Kunststudium abgebrochen und finanziert sich nun ihr Leben mit Gelegenheitsjobs und versüßt es sich mit wechselnden Liebschaften. Eine davon ist Eric, ein weißer Mann, mit dessen Schwarzer Adoptivtochter Akila sich Edie immer besser zu verstehen beginnt. Irgendwann fällt Edie auf, dass sie die einzige Schwarze Bezugsperson in Akilas Leben zu sein scheint und sie beginnt, sich auch mit ihrem eigenen Leben auseinanderzusetzen. Wie geht sie mit Sexismus und Rassismus um? Woher rührt ihre tiefsitzende Einsamkeit? Was als Roman über die Liebe zwischen einem älteren Mann und einer jüngeren Frau beginnt, entpuppt sich allerdings als scharfe Sozialanalyse, die das Machtgefälle nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch Rassismus, Sexismus und Identitätsfragen eindringlich skizziert – ein ziemlich progressives und mutiges Romandebüt.
Erschienen im Atlantik Verlag | 280 Seiten | 14.99 Euro | Mehr Info
Sally Rooney: "Beautiful World, Where Are You"
Sally Rooney ist eine unfassbar talentierte und großartige Autorin. Das hat sie bereits mit ihren ersten beiden Romanen gezeigt – und sie beweist es auch mit ihrem neuesten Werk wieder. Alice, eine erfolgreiche Schriftstellerin, die aufgrund eines Break-downs von Dublin aufs Land zieht, verliebt sich in Felix, der in einer Lagerhalle arbeitend sein Dasein pflichtet. Die beiden begehren einander, doch genügt das für eine Beziehung? Indes will sich Alice' beste Freundin Eileen über eine schlimme Trennung hinweg trösten – und das ausgerechnet mit ihrem besten Freund Simon. Lohnt sich ein Liebesabenteuer, wenn man dafür eine lange Freundschaft riskiert? Es geht um Liebe und Freundschaft. Es geht um Begehren und Sex, die Tiefe und die Bedeutung von Freundschaften, Vertrauen und Verbundenheit sowie Verletzlichkeit und Ungleichheit in Beziehungen – verpackt in den warmen und mitreißenden Worten, in die wir uns schon in ihren vorherigen Büchern verliebt haben. Rooney schreibt einfach so schön, dass es einen selbst beim Lesen – was sonst oft nur Filme schaffen – zu Tränen rührt.
Erschienen im Faber & Faber Verlag | 288 Seiten | 12.39 Euro | Mehr Info
Brit Bennet: "Was fange ich bloß mit guten weißen Menschen an?"
In Sachen Antirassismus ist es bereits fünf nach zwölf. Das ist selbst dem*der Letzten wohl durch die "Black Lives Matter"-Bewegung nur schmerzlich bewusst geworden. In ihrem neuen Essay-Band ergründet die brillante Autorin Brit Bennet, die bereits zwei prämierte Romane ("Die Mütter" und "Die verschwindende Hälfte") veröffentlichte, wichtige Fragen zum Thema Rassismus. Wie wollen wir unsere Zukunft gestalten, wenn sich ein Teil immer noch nach der Vergangenheit sehnt? Wieso erfahren Menschen in Schwimmbädern so häufig Diskriminierung? Warum erkennen Medien weißen Terrorismus nicht an? Und was bedeutet es, wenn weiße Menschen beginnen, Bücher und Filme über das Leid Schwarzer Menschen zu konsumieren? Fragen, mit denen wir uns alle dringend auseinandersetzen sollten.
Erscheint am 14. September im Rowohlt Verlag | 112 Seiten | 10 Euro | Mehr Info
Kira Jarmysch: "Dafuq"
Anja Romanowa macht eine zehntägige Auszeit von ihrem Alltag – allerdings nicht ganz so, wie sie es sich vorstellt. Statt sich auszuruhen und ihr doch recht turbulentes Leben zwischen verpatztem Berufsstart und Dreieckes-Liebesbeziehung, verbringt sie zehn Tage im Moskauer Gefängnis, weil sie zu einer Demo gegen Regierungskorruption aufgerufen hat. Im Gefängnis trifft sie u.a. auf Irka, die keine Alimente zahlte, Maja, die versucht, reiche Männer aufzureißen und Natascha, die tatsächlich mal in einem Straflager war. Allen Frauen gemein sind die Ordnungswidrigkeiten, wegen jener sie nun ihre Strafe verbüßen. Zehn Tage, in denen Gespräche über Reichtum, traditionelle Rollenbilder, Identitäten, Putin und Freiheitsliebe geführt werden. Gespräche, die die Zerrissenheit einer Gesellschaft zeigen, die von Willkür und Repression und Aufbruchsstimmung erzählen – ein facettenreiches Gesellschaftsbild des Russlands unserer Generation.
Erscheint am 14. September im Rowohlt Verlag | 416 Seiten | 22 Euro | Mehr Info
Lisa Taddeo: "Animal"
Lisa Taddeo hat bereits mit ihrem vergangenen Jahres erschienenen Buch "Three Women" für Aufsehen gesorgt und mit ihrem zweiten Buch soll es nicht anders sein, denn The Times werden es nicht grundlos als "American Psycho für die #MeToo-Generation" bezeichnen. Erzählt wird die Geschichte von Joan, die nach Jahren der Enttäuschung und Verletzung durch Männer die Reißleine zieht. Nachdem sich ein Mann, der sich in sie verliebt hat, vor ihren Augen erschießt, flieht sie aus New York und versucht, ihrer Vergangenheit zu entkommen. Als sie erkennt, dass nicht nur die Männer einen Teil zu ihrer Misere beigetragen haben, sondern auch sie selbst, schalten bei Joan alle Ampeln auf Rache. Joan ist wütend und tut mitunter skrupellos Dinge, die sie aus der Opfer- in die Täterinrolle versetzen. Taddeos provokanter Ton erzählt die Geschichte von weiblicher Wut und Schmerz, wie es vor ihr nur wenige konnten.
Die deutsche Ausgabe erscheint am 30. September im Diogenes Verlag, die englische ist bereits erhältlich | 416 Seiten | 22 Euro | Mehr Info