ARTVERGNÜGEN #52 Mit Andreas Mühe durch das Märkische Viertel
"Frau Catuti, die müssen sie alle verschicken, das ist doch meine Rente." Andreas Mühe steht in seinem Atelier in Pankow, vor ihm sitzt seine Assistentin, die er konsequent siezt, vor einem Stapel Einladungen. "Die müssen alle raus. Heute zählen nur die Ergebnisse, Frau Catuti" So wie er das sagt, weiß man nicht, ob das ein Scherz ist oder nicht. Frau Catuti lächelt und so, wie sie lächelt, scheint sie auch nicht zu wissen, ob das ein Scherz ist oder nicht. Andreas Mühe war für ein Jahr Dozent an der Ostkreuz-Fotoschule, das Ergebnis soll nun ausgestellt werden, die Einladungen dazu hat Frau Catuti vor sich liegen. Heute zählen nur die Ergebnisse.
Andreas Mühe ist der wohl jüngste, bekannteste Fotograf Deutschlands. Mit 34 Jahren war er bereits Werbefotograf, hat Hip Hopper und Reportagen fotografiert und sich im Eiltempo an der politischen Spitze der Bundesrepublik abgearbeitet. Die Presse nennt ihn darum gern den Kanzlerfotografen, wobei Kanzlerinnenfotograf treffender wäre.
Wenn man über Andreas Mühe liest, dann liest man über Macht. Ihn interessiert, wie Macht ausgeübt und inszeniert wird, wie sie sich äussert. Seine großformatigen Bilder sind oft kühl, distanziert, streng komponiert und bis ins kleinste Detail durchdacht. Mühe ist kein Fotograf, der dabei ist um Geschehenes einfach zu dokumentieren. Mühe bestimmt und behält so die Macht über sein Bild.
Auf den Einladungen, die vor Frau Catuti liegen, sind zwei Astronauten zu sehen, die kurz davor sind, das Märkische Viertel zu betreten, das bläulich wie ein fremder Planet wirkt. "Eine tolle Arbeit. Wir machen sogar einen Katalog bei Seltmann und Söhne und eine Ausstellung in Mitte." Die Schüler sollten auch von seinem Netzwerk profitieren. Mühe zeigt mir die Arbeiten und ist begeistert. Eine Frau mit Hochsteckfrisur, ein Junge mit einer Maske vor Ghettohintergrund, überwucherte Wege, ein Haus, dass man eher in einem Schweizer Dorf erwartet, ein Architekt in seinem Büro, ein trauriger Mann im Hausflur.
Die Erkundung des Märkischen Viertels war die Basisarbeit seines Kurses. "Ich habe vor diesem Ort immer Respekt gehabt, da habe ich die Schüler mal meine Arbeit machen lassen." Er lacht. Wir gehen los. Wir sind zu einem Spaziergang durch das Viertel, welches nur zwei Kilometer von seinem Atelier entfernt ist, verabredet. Genau hier verlief die Grenze, die Ost und West getrennt hat. Er selbst arbeitet im Osten und schaut in den Westen. Das gefällt ihm.
Wir betreten das Viertel. Innerhalb des Schuljahres waren sie hier mehrmals auf Erkundungstour. "Die Schüler waren im Alter von 25 bis 45, darunter auch ein Pfarrer aus Thüringen, das fand ich interessant. Jeder von denen hat sein eigenes Leben mitgebracht, was ich sonst vielleicht nicht kennen gelernt hätte." Er spricht von der Komfortzone, in der man es sich mit zunehmenden Alter immer bequemer macht und dadurch aber eben Sachen verpasst. Das Leben der Anderen zum Beispiel. Ich frage, was die Schüler vom Lehrer gelernt haben? "Das Diktat ist Kunst." Das kommt wie aus der Pistole geschossen. Seine Erkenntnis. Sein Mantra. Und weiter: "Es ist doch so, dass ich als Fotograf die volle Verantwortung für das Bild trage und dem müssen sich nun mal alle, die daran beteiligt sind, unterwerfen. Das habe ich versucht, ihnen beizubringen."
Wir sind umzingelt von riesigen Betonklötzen, die dicht aneinander stehen. Ein graues Massiv. 36.000 Menschen leben hier. Ein 44 Millionen schweres Sanierungsvorhaben bemüht sich seit 2008, das Märkische Viertel attraktiver zu machen und das Image der ehemaligen Trabantenstadt aufzubessern. In Farbe wurde das Geld offensichtlich nicht investiert. Zwischen den Hochhäusern gibt eine Art gallisches Dorf. Kleinere Einfamilienhäuser neben fast stattlichen Villen. Ich entdecke das Schweizer Haus von den Fotos wieder. Auffällig sind hier die Stacheldrahtzäune, Überwachungskameras und die Warnschilder, die vor bissigen Hunden bei einigen Galliern vom Block warnen. Wir laufen an einem Skateplatz vorbei, der im Sommer sicherlich überfüllt ist. Hier hängen dann die kleinen Sidolinos ab. Ein guter Ort, das merkt man. Er erzählt von einem Schüler, der diesen Platz fotografiert hat. "Die Idee war super, aber die Perspektive hat noch nicht gestimmt. Ich habe ihm dann gesagt, das er mit der Kamera weiter weg müsste, um die Verbindung zwischen den Häusern und dem Platz zu zeigen, so dass die Kinder ganz klein zwischen den großen Häusern sind. Er hätte sich eine Hebebühne oder einen Kran besorgen müssen. Er hat sich dann aber für ein anderes Motiv entschieden." Frage an den Diktator: Hätten Sie den Kran besorgt? "Natürlich".
Wir sprechen über den Obersalzberg. An diesem Projekt hat sich Mühe drei Jahre abgearbeitet. Ein Lieblingswort von ihm: Abgearbeitet. Mühe hat sich monatelang in die Thematik des Nationalsozialismus eingelesen, hat die Fotos von Hitlerfotografen Walter Frentz penibel studiert. "Am Anfang stand die Idee der pinkelnden Nazis in der Natur." Mit dieser Idee ist er tagelang durch meterhohen Schnee gelaufen, um die perfekten Motive dafür zu finden. Das Ergebnis ist überwältigend. Mit aller Macht hat sich Mühe die Natur zurück geholt, deren Idylle sich die Nazis in ihrer Propaganda bedient haben. Indem er die Nazis hier pissen lässt und sich dabei ihrer Bildsprache bedient, bricht er sie. Er hat förmlich versucht, diese Natur zu entnazifizieren. Man sieht ihn denken. "Den Obersalzberg hole ich mir zurück." Der wahnsinnige Mühe. Nach den Außenarbeiten ging es im Studio weiter, um "seine Nazis" genauer zu studieren. In Uniform ohne Natur und am Ende ganz ohne Uniform. Denn was ist eine Sturmführer ohne seine Orden? Wie viel Macht hat er dann noch? In dieser Arbeit geht es nicht um Verherrlichung. Es geht um die Suche nach sich sich selbst. Nach Heimat. Nach Identität.
Der General, 2011, VG Bild-Kunst Bonn, courtesy carlier I gebauer
"Es kann in meiner Arbeit nur noch darum gehen, mir selbst näher zu kommen. Zu meinem Kern vorzustoßen. Stilistisch erfinde ich ja nichts Neues. Ich nehme ja das, was es schon gibt. Bei mir zählen nur noch die Inhalte und wie gut ich sie transportieren kann." Einen Auftragsjob, wo jemand anderes den Rahmen vorgibt, kann er sich nicht mehr vorstellen. Mühe braucht die alleinige Bestimmung über sein Bild. Er weiß, dass er dann am besten ist.
Während unseres Spaziergangs klingelt ständig sein Handy. Der Künstler ist an diesem Dienstag vor allem mit organisieren beschäftigt. Das Studio muss aufgeräumt werden, der Umzugswagen und sein Fahrer warten bereits. In den nächsten Wochen wird verpackt, sortiert, aufgeräumt. Und weniger fotografiert. Man spürt, dass Andreas Mühe etwas im Schilde führt, er wechselt das Thema: "Und was schreibst du jetzt?" fragt er mich auf dem Weg zurück ins Atelier. "Ach schreib, die Arbeit mit den Studenten hat Andreas Mühe große Freude bereitet, allerdings möchte er sich die nächsten 10 bis 20 Jahre voll auf eigene Projekte konzentrieren, um dann als Professor in Berlin oder Leipzig - da ist er ganz offen - zu unterrichten." Die Rente im Blick hüpft Andreas Mühe davon. Zeit, sich wieder an etwas abzuarbeiten.
Die Ausstellung "Das Märkische" ist in der Galerie Fresh Eggs in der Auguststraße 86 vom 23.01. bis 06.02. zu sehen. Das Obersalzberg Buch kann man hier kaufen.