40 DAYS OF EATING #14 – unsicht-Bar
Dieses Mal darf gekleckert, geklotzt und gefummelt werden. Denn niemand sieht's. Maria & Sophia sind undercover an einem Ort, an dem gegessen wird, was man nicht erkennt.
Maria, erzähl uns von deinem Tag.
Orkan Sophia hat gewütet. In meinem Zimmer. Heute habe ich einen guten Tag, singe innerich 20 Shantys und will einfach nur entspannen. In dem Moment wird die Tür zu meiner Wohnung aufgerissen, jemand brüllt "ICH HAB NICHTS ANZUZIEHEN!" und wuselt tornadoartig an mir vorbei. Zehn Sekunden später setzt sich ein spärlich beehaarter Hundeklops auf meinen Bauch und glotzt mich an. Und verteilt Haare. In meiner Nase. Ich höre es rumpeln und die Wohnung zittert ein wenig, als die Tür mit einem lauten "TSCHÜÜÜHÜÜÜÜSS, BIS SPÄTER" ins Schloss knallt. Fell-Klops sitzt immer noch auf meinem Bauch und starrt - den hat der Tornado wohl vergessen. Ein Glück ist der Köter niedlich. Ich gehe in mein Zimmer und mich trifft der Schlag: Alle Klamotten liegen überall, nur nicht da, wo sie sollen. Sophia hat es geschafft, jedes einzelne Teil so mühevoll auf den Boden zu puzzlen, dass kein Stück Diele mehr sichtbar ist. Hierbei hat sie mich gleichzeitig von allen Lieblingsteilen befreit. GRRRR. Wutschnaubend mache ich mich ein paar Stunden später auf den Weg ins Restaurant. Na warte, die kann was erleben.
Wo habt ihr heute gegessen?
Im Dunkelrestaurant unsicht-Bar.
Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Im beleuchteten Vorraum wird uns eine Karte gereicht, auf der in ausgeklügelter Küchen-Poesie vier verschiedene Menüs angeboten werden. Auf unsere Nachfrage wird etwas genervt reagiert und zu meiner latenten Angst vor dem Ungewissen mischt sich auch noch Unbehagen über einen möglicherweise schlechten Service. Ich verstehe nix und bestelle aus Angst vor Knorpeln, Pelle und Innereien das vegetarische Menü. Ich esse mit den Händen. Sophia sagt, ich sei ein Ferkel, aber ist mir doch egal, sieht ja niemand.
Wie ist der Service?
Ein Glück wird der Hell-Service bald vom Dunkelservice abgeklatscht. Markus ist am Start. Er kommt zielsicher an unseren Tisch im schummerig beleuchteten Vorraum, wobei er sich durch Fingerschnippen im Raum orientiert. Uns werden die Spielregeln erläutert: Wenn etwas runterfällt, nicht aufheben (mir fällt natürlich etwas runter und ich hebe es auf, wobei ich mir so dermaßen den Schädel anschaue, dass der Raum kurz in Stille verfällt). Wenn wir auf's Klo müssen, Markus rufen. Wir sollen Markus an den Schultern fassen und er geleitet uns ins Dunkel. Sophia bekommt direkt 'ne Krise und wir müssen wieder raus. Beim nächsten Versuch verliere ich die Contenance: Es ist so dunkel, wie man es sich nur vorstellen kann. Ich bekomme keine Luft. Panik. Ruhig. Sophia und ich sitzen uns gegenüber und sagen nichts. Um uns herum ist es wahnsinnig laut. Der Raum scheint groß zu sein und alle Anwesenden versuchen, die mangelnde Sehfähigkeit mit Brüllen auszugleichen. Wir bestellen Wein, der uns zügig gebracht wird und als wir erzählen, wir seine Zwillinge, greift uns Markus beherzt ins Gesicht, um diesen Umstand sofort einer Prüfung zu unterziehen. Dabei versucht er auch die Beule im meinen Gesicht zu erfühlen, welche ich mir beim Versuch die verloren gegangene Servertte aufzuheben, zugezogen habe. Leider erwischt er dabei einen Pickel. Unangenehm. Als wir fertig dinniert haben, geleitet uns der netteste Kellner, den wir jemals hatten, wieder hinaus und es wird sich umarmt und Markus schlägt vor, dass wir mal zusammen in die Disko gehen sollen. Ich küsse ihn zum Abschied.
Was gefällt dir an dem Laden besonders, was nicht?
Also das Essen war ehrlich gesagt nicht so der Brüller. Erst kam ein öder Salat, dessen Geschmacksspektrum nach zwei Bissen vollständig erschlossen war. Danach ein sehr fettiges Gratin und zum Abschied ein Dessert mit matschigen Früchten. Der Service ist sehr unterhaltsam mit einem wahnsinnigen Einfühlungsvermögen. Wir verlassen das Restaurant mit blendener Laune.
Wie würdest du die Menschen im Restaurant beschreiben?
Laut.
Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen?
Mit schüchternen Menschen. Man muss sich hier untehalten. Sonst bringt der ganze Abend nichts.
Worüber habt ihr gesprochen?
Nachdem die anfängliche Panik von zwei Gläsern Riesling fortgespült wurde, haben wir uns über den Umstand unterhalten, dass man irgendwann vergisst, nichts mehr zu sehen. IRRE. Ansonsten haben wir uns ausschließlich mit Markus unterhalten, der uns offensichtlich nett fand und uns absolut nicht verraten wollte, was genau wir da essen.
Was hast du Neues über Sophia gelernt?
Wir können auch in absoluter Finsternis zielsicher einen High-Five ausführen. Stilecht. (ZWILLLLLLINGE, ONE BRAIN - hatten wir ja schon mal, aber Sophia glaubt ja nicht daran.)
Das Beste an diesem Essen...
Der Service.
Möchtest du noch etwas sagen?
Lieber Markus, sehr gerne gehen wir mit dir in die Disko. Vielen lieben Dank für diesen tollen Abend. Für alle anderen: Unbedingt Zeit mitbringen, wenn man hier eine Reservierung hat. Es dauert.
Sophia, erzähl uns von deinem Tag.
Heute ist ein schöner Tag, denn heute scheint die Sonne - nicht. Maria ist wütend auf mich, weil ich mich daneben benommen habe. Aber was sollte ich machen, ich hatte halt verdammt noch mal nichts anzuziehen! Wir gehen getrennt zum Restaurant und sie knallt mir beinahe eine, weil ich nur verwackelte, unbrauchbare Handyfotos mache. Es ist also richtig beschissene Stimmung. So richtig richtig richtig. Richtig. Als ich kurz anmerke, dass ich Angst vor der Dunkelheit habe, flippt Maria aus. Wir können das ja hier auch abbrechen, sagt sie. Sie hat heute eh keinen Bock auf mich, sagt sie. Und außerdem stinkt es hier nach Mensa und sie hat keine Ahnung, was diese kryptischen Beschreibungen auf der Karte sollen und sie isst garantiert kein Gehirn und eh warten wir jetzt schon 'ne halbe Stunde. Yo.
Wo habt ihr heute gegessen?
Im Dunkelrestaurant unsicht-bar in Mitte.
Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Natürlich habe ich das vegetarische Menü gewählt, aber ich habe absolut keine Ahnung, was "eine Kostprobe aztekischer Männlichkeit gebettet auf ein vielfarbig geschmücktes Grün" sein soll. Sollte sich später als Chicorée Salat (gesprochen Schiggorää Soalaad) herausstellen. Ich hasse Chicorée. Und was kommt danach? Es ist auf jeden Fall kartoffelig, klein, knusprig - und plötzlich weggekullert. Ich denke an das dumpfe Geräusch, das Marias Wangenknochen gemacht hat, als er auf die benachbarte Stuhllehne knallte, und lasse die Kartoffelmurmel liegen. Dazu gibt es ein vermeintliches Gratin. Hauptgang und Dessert sind solide, aber ich finde das Menü mit 41,50 Euro überteuert. Nach dem Essen schaue ich nicht auf die Auflösung des Menüs. Oh, du süße Ungewissheit.
Wie ist der Service?
Im Gegensatz zu den anderen Restaurants, die wir bisher besucht haben, sind wir hier nicht angemeldet. Auch mal ganz angenehm, dass nicht das komplette Servicepersonal nervös um uns herumhuscht und bei jedem Stirnrunzeln unsererseits in Panik verfällt. Wir sitzen im beleuteten Vorraum und blaffen uns an. Plötzlich werden wir unterbrochen, eine freundliche Stimme sagt: "Tach, ick bin der Markus und ick werd euch heute durch den Abend begleiten. Is dit okeh, wenn ick euch duze? Ja super, dann mal alle schön 'ne Polonaise machen und rinspaziert." PANIK. Dunkel, fremde Menschen anfassen! Marias Hände greifen etwas zu fest an meine Schultern. Ich drehe sofort wieder um und weigere mich das Dunkel zu betreten. Nö nö nö. Nicht mit mir. Markus sagt, dass er uns einfach gleich abholt. Einatmen, ausatmen. Keine Minute später ist er wieder da und zieht uns sanft an unseren Tisch. Ich fange leicht an zu zittern, kacke, ist das gruselig hier. Aber Markus schnattert und schnattert und schnattert. Mit sicherem Griff buxiert er mich zwischen Wand und Heizung und verabschiedet sich mit den Worten: "So, jetz biste eh einjeklemmt und kommst ohne mich nich mehr raus. Viel Spaß, der Wein kommt gleich." Weg isser. "Maria? Bist du da?" - "Halt die Fresse." Gut, Maria ist da.
Was gefällt dir an dem Laden besonders, was nicht?
Offensichtlich fallen im Dunkeln bei allen Anwesenden die Hemmungen. Es wird gebrüllt, gegackert und ständig fällt etwas herunter. Die anfängliche Befürchtung, ein Besuch im Dunkelrestaurant mache depressiv, bestätigt sich nicht. Ganz im Gegenteil.
Wie würdest du die Menschen in dem Restaurant beschreiben?
Ich habe absolut keine Ahnung. Wir können ja nur die Stimmen hören.
Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen?
Mit stillen Menschen, denn hier geht es um Kommunikation.
Worüber habt ihr gesprochen?
Anfänglich geht es um das bedrückende Gefühl, von völliger Dunkelheit umgeben zu sein. Maria murmelt: "Ich krieg keine Luft. Krass. Die Luft hier. Sophia, jetzt keine Panik bekommen!" Das erste Glas Riesling wird in wenigen Zügen gelehrt. Mit dem Alkoholpegel steigt auch die Stimmung, wir verstehen uns plötzlich wieder blendend und die Wortspiele fliegen wie Ping Pong Bälle über den Tisch. Ich wage sogar zu behaupten, dass wir die Ersten hier sind, die auf Anhieb ein perfektes High-Five in absoluter Dunkelheit souverän abklatschen. Stolz erfüllt uns. Ich brülle vor Freude einen Begriff für das männliche Genital durch die Dunkelheit. Am anderen Ende des Raumes wird herzlich gelacht, der Begriff wird zurückgebrüllt. Maria ermahnt mich, ich solle mich mal benehmen. Die Frage ist nur: Warum?
Was hast du Neues über Maria gelernt?
"Ich habe gerade keinen Bock mehr, dich zu sehen" ist bei ihr wörtlich zu nehmen. Nach dem Dinner ist alles wieder gut. Maria mag Markus. Und Markus mag Maria. Ich mag beide.
Das Beste an diesem Essen...
Der Service.
Möchtest du noch etwas sagen?
Für das Essen lohnt sich der Besuch nicht unbedingt, die Erfahrung möchte ich jetzt allerdings auch nicht mehr missen.
Gestern waren die beiden in der Miyaki Sushi Lounge. Alle Folgen 40 DAYS OF EATING gibt es hier.
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Location: unsicht-Bar Berlin, Gormannstr. 14, 10119 Berlin
Fotograf: Maria und Sophia Giesecke
Text: Maria und Sophia Giesecke
Anfragen: [email protected]
Titelfoto: Franziska Taffelt
Logo & Artwork: Frau Grau
Produktion: Mit Vergnügen
(Ja, "40 Days of Eating" ist eine Adaption von "40 Days of Dating".)