40 DAYS OF EATING #10 – Michelberger Hotel
Zehn ganze Tage essen, da können einem schon einmal die Ärsche auf Grundeis und die Worte ausgehen. Was klar ist: Kein Restaurantkritiker der Welt kann sich selbst ganz aus der Bewertung rausnehmen, niemand ist völlig objektiv. Und es gibt eben Tage, da findet man nicht die richtigen Worte oder Instagramfilter. Is halt so.
Maria, erzähl uns von deinem Tag.
Ich bin etwas grummelig heute, Null-Bock-Stimmung macht sich breit. Deswegen gibt es heute ehrlich gesagt auch gar nicht so viel zu erzählen. Ich bin ein bisschen in Gedanken bei der laufenden Arbeitswoche und freue mich auf das Wochenende, soweit man zur Zeit von echter Freude sprechen kann. Ich will heute nicht reden. Echt nicht. Sind wir jetzt fertig?
Wo habt ihr heute gegessen?
"Im Märchenwald" des Michelberger Hotels. Am Empfang gibt man mir eine kleine Axt, mit der ich mir den Weg durch den bewaldeten Innenhof schlagen kann. Sicherheitshalber lege ich den Weg mit Brotkrumen aus. Von Hänsel und Gretel lernen heißt überleben lernen. Das Michelberger Hotel existiert ja nun schon eine Weile in Berlin und hat sich, finde ich, mitlerweile zu einer echten Institution entwickelt. Neben der durchaus ansprechenden Bar und den pfiffig eingerichteten Zimmern kann man hier auch ein Restaurant in der unteren Etage finden. Regelmäßig gibt es ein illustres Unterhaltungsprogramm und im Sommer einen liebevoll dekorierten Hof. Vor einigen Jahren, als ich hier im Haus noch mein Büro hatte, haben Sophia und ich uns beinahe jeden Mittwoch zum Schnitzelessen in der Mittagspause hier getroffen. Mittwochs ist Schnitzeltag. Heute ist nicht Mittwoch. Menno.
Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Die Karte ist ähnlich wie in einem Steak House in Vorspeisen, Salate, Hauptgang und dazu separat wählbaren Side Dishes und Saucen sowie Desserts unterteilt. Da wir erneut massive Entscheidungsschwierigkeiten Beilagen und Saucen betreffend haben wird uns mal wieder einfach alles gebracht. Wir lassen bringen. Und auch das Prinzip Teilen steht wieder auf dem Programm, üben wir ja alles fleißig seit zehn Tagen, irgendwann werde ich ganz faul und mich wundern, warum mir niemand Essen ans Bett bringt. Wir mögen's ja so auch irgendwie am liebsten, also geteilt und zusammen. Wir sind ja schließlich mit der Familie da. Und wer sich schon einen Bauch teilen konnte, der kann sich jetzt auch 'ne Beilage teilen. Ich entscheide mich für Fisch, da ich Fisch sehr mag und ehrlich gesagt gerade auch kein Fleisch mehr sehen kann. Mein Zander ist zart und hat eine sehr knusprige Haut. Die Süßkartoffelecken aus dem Ofen sind mal wieder irre. Ich stelle fest, dass das wohl mein neues Liebelingsgemüse ist. Der bunte Pilztopf ist eine ideale Ergänzung für alle bestellten Hauptgänge. Die Fenchel-Soße passt am besten zum Fisch, finde ich. Wir trinken ca. sieben Dosen Fountain of Youth, dem hauseigenen Kokoswasser. Irgendwas muss man ja für seine Gesundheit tun. Zum Abgang gibt es eine Runde Hausschnaps. Der ist für die Laune.
Wie ist der Service?
Sehr aufmerksam und wirklich Zucker. Ein junges, engagiertes Serviceteam mit Reinverknallungspotential. Zu jedem Gericht auf der Karte konnte uns eine ausführliche Beschreibung geliefert werden. Natürlich fragen wir alle Gerichte ab. Setzen, eins.
Was gefällt dir an dem Laden besonders, was nicht?
Dass nicht nur das Restaurant, nein, das gesamte Hotel mit einer derartigen Liebe zum Detail eingerichtet sind, dass ich hier unmöglich alles aufschreiben kann. Muss man sich angucken. In dem angenehm beleuchtetem Gastraum reihen sich riesige massive Holztische aneinander (können wir jetzt auch gut nach zehn Tagen: an Holztischen sitzen!). Kein Stuhl gleicht dem anderen und die Wände werden von cremefarbenen Kacheln bis unter die Decke gesäumt. Wie ich mich ausdrücken kann heute, obwohl ich gar keine Lust habe. Irre. Egal, wohin der Blick fällt, es gibt immer etwas zu entdecken. Auf den WCs wird man von Walklängen fast in den Schlaf geschaukelt. ACHTUNG.
Wie würdest du die Menschen im Restaurant beschreiben?
Heute ist es nicht sehr voll. Unsere liebreizende Kellnerin weiß aber zu berichten, dass es sonst deutlich voller ist, die Menschen sich zur Zeit aber wohl etwas schonen - Weihnachten mit all seinen Gerichten sei noch felsenfest in den Bäuchen verankert und Fashion Week befindet sich in naher Zukunft. Durch die Lautsprecher ertönt Altherrenmusik. Mir gefällt es hier.
Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen?
Personen, die in all ihren Lebensbereichen einem ausgesprochenen Minimalismus hinterherjagen, sollten diesen Laden meiden. Sonst ist es sehr hübsch, auch in Grüppchen oder Gruppen oder Massen. Hübsch.
Worüber habt ihr gesprochen?
Ich muss zugeben: Aufgrund meiner Müdigkeit bin ich heute nicht mörder-gesprächig. Wir reden über die Festivals, die wir schon zusammen im Michelberger besucht haben und auch viel über das Essen. Alice, unsere Fotografin, die ihr schon von Curry 36 kennt, zählt uns eine Liste der Nahrungsmittel auf, die sie nicht mag (ich erinnere mich: viele). Ich spiele Tetris auf meinem Telefon.
Was hast du Neues über Sophia gelernt?
Da es heute aufgrund meiner Einsilbigkeit nicht zu großen Enthüllungen kommt, kann ich nur etwas Neues über ihr Essverhalten berichten: Sophias Augen sind immer kleiner als der Magen (DAS SCHAFFE ICH NIE VS. TELLER LEER). Word.
Das Beste an diesem Essen...
Stimmung vielleicht etwas mies, aber der Laden ist echt gut. Es war einfach urgemütlich. Das kann man ja auch einfach mal genießen, hm? Wozu immer reden? Eben.
Möchtest du noch etwas sagen?
Ich habe genug gesagt für heute.
Sophia, erzähl uns von deinem Tag.
So. Langsam reicht mir dieses ewige Gehocke am Laptop. Ich geh jetzt mit dem Hund raus, und zwar so richtig! Über zwei Stunden schlendern wir durch die Stadt. Wir besuchen Kreuzberg und Neukölln, werden im Görli angezischelt und in Neukölln von einer Horde Kinder verfolgt. Wir üben bei Fuß gehen, der Hund macht es ganz gut, aber ich bin heute etwas unkonzentriert und breche immer wieder aus. Ich versuche, an der frischen Luft den Kopf frei zu bekommen, bleibe bei den Lauben in der Pannierstraße stehen, glotze durch den Zaun und träume von meinem eigenen kleinen Schrebergarten mit Gemüsebeet, Piratenfahne und allem. Dorfkind halt, kriegste nich raus!
Wo habt ihr heute gegessen?
Im Michelberger Hotel in Friedrichshain.
Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Brot und Butter mit Salz. Mehr brauche ich oft nicht, um vollends zufrieden zu sein. Aber nein, wir müssen noch mehr bestellen. Etwas ratlos glotze ich auf die Karte. Wir bekommen auf Empfehlung des Hauses ein Rote Bete Carpaccio gereicht. Bisschen zu süß vielleicht, aber es ist ROTE BETE! ROTE BETE! Es gibt zwei vegetarische Hauptgerichte zur Auswahl und auch alle Beilagen können auf Wunsch vegetarisch zubereitet werden. So viel Auswahl bin ich nicht mehr gwohnt bzw. gewohnt schon, aber ich kann nichts auswählen, man stellt mir doch neuerdings das Essen vor die Nase, ich möchte, dass das so bleibt, bitte. Wir bestellen also wie immer einen bunten Mix, der Fokus heute liegt ganz klar auf Soße. Thema Tunke, ihr wisst Bescheid. Meine Zucchini-Kartoffel-Rösti sind schön knusprig außen und innen matschig, genau wie ich es mag (nur bei Menschen nicht). Die Tomaten bilden einen angenehmen Kontrast zu den mächtigen Puffern, eine Kombination, die mir wirklich gut gefällt. Ich esse über das Sättigungsgefühl hinaus (Profi halt). Die Küche im Michelberger verwendet ausschließlich Biozutaten direkt vom Bauern aus der Umgebung. Finde ich gut! Das Wasser wurde mehrfach durch güldenes Einhornhaar gefiltert, ich bin mir unsicher, ob ich auf diesen ganzen Wasser-Filter-Hype aufspringen soll. Schmeckt gut. Aber mein Leitungswasser schmeckt auch.
Wie ist der Service?
Sehr nett, zuvorkommend, freundlich. Wir bekommen eine ausgezeichnete Beratung, die Karte beherrscht die junge Dame offensichtlich im Schlaf und der Abschied fällt uns am Ende des Abends schwer.
Was gefällt dir an dem Laden besonders, was nicht?
Das Michelberger hat meiner Meinung nach die schönste Inneneinrichtung Berlins. Ich mag die verschiedenen Stühle, die Lampen und sogar die Fliesen an der Wand. Wer hätte gedacht, dass ein gefliester Raum so warm und gemütlich wirken kann? Wie immer mag ich es hier nicht, wenn es zu voll ist. Dann ist es laut und beengt. Aber heute ist es irgendwie... romantisch!
Wie würdest du die Menschen in dem Restaurant beschreiben?
Alle so über 30, entweder gerade am Daten oder hier für ein entspanntes Dinner mit Freunden. Nur Maria ist da zum Tetris spielen. Ob die anderen wissen, was Tetris ist? Heute sind die Menschen etwas angespießert. Etwa wie nette Leute aus dem Prenzlauer Berg. Freche Frisuren oder sonstige Zeichen der zarten Rebellion sucht man hier heute vergebens.
Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen?
Mit Leuten, die sich nur schnell was zwischen die Kiemen schmeißen wollen. Hier dinniert man, man nimmt sich Zeit für das Essen und seine Begleitung. NE, MARIA?! ZEIT! HALLO! (Oh. High Score.)
Worüber habt ihr gesprochen?
Ich weiß anfangs nicht, wem Maria schreibt, ob sie mit Bitcoins handelt, sich 'n Haus kauft oder gerade flirtet. Maria spricht heute nur mit ihrem Handy. Ich werde langsam muffelig und will Aufmerksamkeit. Aber Maria bekommt davon nichts mit, sie ist längst in ihrer eigenen Welt verschwunden. Nach dem Essen wird sie plötzlich munter und wir reden über Jungs. Die romantische Stimmung hier scheint ansteckend zu sein. Oder mein Fuß unter dem Tisch hat gewirkt.
Was hast du Neues über Maria gelernt?
Jungs nerven. Manchmal.
Das Beste an diesem Essen...
Das Essen. Ich mag es bodenständig und deftig. Die große Auswahl an Soßen finde ich auch super. Es fällt mir etwas schwer, die Beilagen zu meinem Hauptgericht zu wählen, da ich ja nicht weiß, was wozu passt. Hier hilft allerdings eine Beratung vom vollinformierten Servicepersonal.
Möchtest du noch etwas sagen?
Langsam gehen mir die Outfits aus. Ich freue mich schon drauf, wenn ich mal einen Tag lang nicht fotografiert werde. Da denkste vorher ja nicht drüber nach, ne? Jeden Tag anders stylen, immer vorzeigbar sein, immer raus müssen. Einen Bad Hair Day kannste nicht einfach wegignorieren, nein, er wird fotografiert und ins Netz gestellt. So viele Instagram Filter kannste gar nicht drüber packen, dass das gut aussieht...
Gestern waren die beiden im Cuore di Vetro. Alle Folgen 40 DAYS OF EATING gibt es hier.
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Location: Michelberger Hotel, Warschauer Straße 39/40, 10243 Berlin
Fotos: Alice Epp
Text: Maria und Sophia Giesecke
Anfragen: [email protected]
Titelfoto: Franziska Taffelt
Logo & Artwork: Frau Grau
Produktion: Mit Vergnügen
(Ja, "40 Days of Eating" ist eine Adaption von "40 Days of Dating".)