Y2K-Style: Ich bin zu jung, um schon recycelt zu werden
Jede Fahrt in der Bahn fühlt sich für mich mittlerweile an wie eine Zeitreise. Teenies in Low-Rise-Jeans, die schon unterhalb vom Schambein liegen, mit dekorativ hervorblitzendem Tanga. Schwindelerregend hohe Plateau-Buffalos und lächerlich kleine Baguette-Bags alias Achselwärmer. Schmetterlings-Haarspangen und schulterfreie Metallic-Tops, die aussehen, als hätte man sich in Alufolie eingewickelt.
Dieses Szenario hätte genauso gut zu meinem Schulweg im Jahr 2003 gepasst, wo ich mich in der Tram stets so emsig über meine Lateinvokabeln beugte, dass meine totgeglätteten Haare ständig am Erdbeer-Lipgloss hängenblieben.
Ich frage mich, ob ich nicht statt in die M10 aus Versehen in die Zauberkugel der "Mini Playback Show" eingestiegen und in ein anderes Zeit-Raum-Kontinuum geraten bin.
Stattdessen ist es 2023, ich bin auf dem Weg ins Büro und frage mich, ob ich nicht statt in die M10 aus Versehen in die Zauberkugel der "Mini Playback Show" eingestiegen und in ein anderes Zeit-Raum-Kontinuum geraten bin.
Modetrends sind zyklisch, ich weiß. Nachdem wir gerade noch modisch auf der Neonwelle der 90er gesurft sind, sind danach zwangsläufig die Nullerjahre dran. You are dismissed, next!
Die 2000er sind nicht nur ein Trend, sie sind meine Jugend.
Aber es ist einfach zu früh. Die 2000er sind nicht nur ein Trend, sie sind meine Jugend. Und ich fühle mich definitiv zu jung, um schon als Trend recycelt zu werden. Hätten wir modetechnisch nicht noch ein bisschen länger in den 1980ern verweilen können? Das Schulterpolsterkontingent ist gewiss noch nicht aufgebraucht.
Wie schön es doch war, seine Speckrollen in Momjeans zu schmiegen. Jede einzelne Zelle meines Körpers sträubt sich, jemals wieder in Hüftjeans zu steigen, in denen ich meine komplette Pubertät mit eingezogenem Bauch verbracht habe.
Y2K ist der Shit
Und ich hätte eher ein erfolgreiches Comeback von Lindsay Lohan prophezeit als eine unironische Wiederkehr zu Ed Hardy.
Aber nun finde ich mich auf dem RAW-Flohmarkt wieder und sehe eine eigene Stange mit "Y2K-Shit", was ich erstmal googeln muss: Y2K steht für Year 2 Kilo = Year 2000. Ist klar. Ich will mich schon darüber lustig machen, da schnappt sich eine 14-Jährige eine Jeans-Corsage vom Bügel: "Die ist ja mega cute!". Fand ich damals auch, als Britney und Justin 2001 im All-Denim-Partneroutfit zu den American Music Awards kamen. Aber da war selbiges Mädchen wohl noch eine unbefruchtete Eizelle.
Die eigene Jugend recycelt und gesampelt
Im Zuge des Millenium-Revivals wird natürlich nicht nur Mode recycelt, sondern auch Musik gesampelt. Wenn ich das Radio anschalte, erkenne ich lauter bekannte Liedfetzen von Bangern aus meiner Teeniezeit. Die aber schon nach 5 Sekunden von Deutschrap unterbrochen werden, noch bevor ich zu meinem Sing-Solo ansetzen kann.
Dass meine Jugendhymnen gesampelt werden und für andere dann brandneue Musik sind, sehe ich fast schon als persönlichen Affront.
Luciano bedient sich mit "Beautiful Girl" bei Sean Kingstons 2007er Hit, Shindy in "Hot Summer" beim gleichnamigen Brett von Monrose und The Weeknd covert mit "Creepin" gleich ganz Mario Winans "I don't wanna know" von 2004. Ganz zu schweigen von Jack Harlows "First Class", das Fergies "Glamourous" sampelt – meine Befreiungshymne aus dem Sommer 2006, als ich endlich meine Zahnspange loswurde.
Ist das wirklich schon 20 Jahre her?
All diese Erinnerungen sind noch so frisch, als wären sie erst gestern passiert. Dabei sind in der Zwischenzeit schon zwei Jahrzehnte vergangen. Ich möchte einfach noch ein bisschen länger der Illusion nachhängen, noch nicht zum alten Eisen zu gehören. Ziemlich schwierig, wenn Teenies von heute in meiner Jugendkluft herumlaufen, die plötzlich retro ist.
Aber vielleicht sollte ich es einfach als Kompliment nehmen, dass die Y2K-Ästhetik wieder ihre Anhänger*innen findet, ich jedoch quasi als OG live mit dabei war. Und meine imaginären Enkelinnen freuen sich bestimmt, meinen Juicy-Couture-Velouranzug als Vintagestück zu erben.
Bis dahin schnuppere ich einfach nochmal am penetrant süßen "Vanilla Kisses"-Deo von Impulse, das dm netterweise wieder im Sortiment hat. Das katapultiert mich sofort zurück in die achte Klasse, als es noch meine größte Sorge war, ob mein mit architektonischer Sorgfalt gezogener Seitenscheitel die windige Hofpause überlebt. Eine olfaktorische Zeitreise – ganz ohne Zauberkugel.