Single Shaming: Warum wir aufhören sollten, das Leben von Singles zu bewerten

© Ryan Moreno on Unsplash

Neulich war ich auf Kurzbesuch bei einem befreundeten Pärchen, das ich lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Sie sind verheiratet, haben zwei Kinder und ein Haus. Sie haben also alles, was ich nicht habe. Ich befand mich gerade auf der Rückreise meines Kurzurlaubs, den ich allein in einer kleinen Ferienwohnung an der Nordsee verbracht hatte. Ich fühlte mich richtig gut, ausgeschlafen, erholt.

Wir hatten einen tollen Nachmittag, haben gespielt und getobt, sind durch den Garten geflitzt und haben pünktlich um 17.30 Uhr zu Abend gegessen. Obwohl ich noch keinen Hunger hatte, habe ich trotzdem mitgegessen. Familienalltag heißt vor allem auch feste Zeiten und Rituale. 18.15 Uhr: Die Kinder schlafen. Endlich Zeit für Erwachsenengespräche.

"Wie war's an der Nordsee?", fragt mich die Freundin, die nebenbei die Spülmaschine einräumt.

"Wirklich super. Das Wetter hätte besser sein können, aber den halben Tag im Bett zu verbringen, zu lesen und zu träumen war wunderschön", antworte ich.

"Ist es nicht komisch, allein in den Urlaub zu fahren? Was macht man denn da die ganze Zeit?", kommt zurück.

"Ich habe die Ruhe genossen, bin am Strand spazieren gegangen, habe fotografiert und Fischbrötchen gegessen", erzähle ich.

"Das klingt schön. Aber ist es nicht schade, dass du so was nicht mit jemandem zusammen erleben und teilen kannst?".

"Wie meinst du das?", frage ich.

"Naja, ich wünsche mir einfach für dich, dass du in Zukunft auch mal mit jemandem zusammen in den Urlaub fahren kannst, mit einem Partner an deiner Seite. Dann ist es doch doppelt schön und nicht so einsam", sagt sie.

Ist es nicht schade, dass du sowas nicht mit jemandem zusammen erleben und teilen kannst?

Da ist er wieder, so ein Satz, der mein Leben als Single ohne Partner*in – vielleicht unbewusst und nicht beabsichtigt – kommentiert und ja, irgendwie auch bewertet. Als ob ein Leben als Alleinstehende nur zweite Wahl wäre, eben nicht das, was in unserer Gesellschaft erstrebenswert zu sein scheint oder dauerhaft glücklich macht. Als ob Menschen, die in einer Beziehung leben, am Ende irgendwie glücklicher wären als ich. Wisst ihr, wie man das nennt? Single Shaming.

Dabei gibt es immer mehr Singles, die sich ganz bewusst für dieses Lebenskonzept entschieden haben, weil sie maximal flexibel, frei und selbstbestimmt leben wollen. Vielleicht keine Lust auf Kompromisse, feste Strukturen und Konflikte haben. Einer aktuellen Studie aus dem Jahr 2021 nach, leben knapp 23 Millionen Menschen in Deutschland allein. Das bedeutet, dass etwa jede*r vierte Single ist. Eine beträchtliche Zahl. Klar, manch eine*r ist vielleicht nicht aus freien Stücken alleinlebend, umso schwieriger und verletzender muss der Umgang für sie mit eben solch bewertenden Sätzen sein.

Das Leben als Single ist schön

Mich nervt es ehrlich gesagt, dass ich mir ausgerechnet von Freund*innen und auch manchen Teilen meiner Familie immer mal wieder so etwas anhören muss: "Du bist doch so selbstbewusst, witzig und klug. Ich verstehe gar nicht, dass das bei dir nicht klappt" oder "Irgendwann klappt das bei dir auch schon noch, es muss nur der Richtige kommen". Wer kennt solche Kommentare mit dem gewissen mitleidigen Unterton als Single aus dem Kreise der Familie nicht? Ja, auch das ist Single Shaming. Und ich kann es nicht mehr hören!

Ich gehöre zu denjenigen, die ihr Leben als Single mögen und zu schätzen gelernt haben. Mir geht es gut, so wie ich lebe. Nur finde ich es wirklich anstrengend, dass sich offenbar permanent Sorgen um mich gemacht werden, mir unterstellt wird, dass ich als Single ja gar nicht dauerhaft glücklich werden könne. Dass ich in der Folge auch konfliktscheu sei, weniger emphatisch und was weiß ich noch. Man glaubt mir also nicht, dass alles gut so ist, wie es ist, verstehe ich das richtig? Ist es nicht ziemlich anmaßend, so über mein Leben zu urteilen? Traut man Singles nicht mehr zu, selbst zu beurteilen, ob es ihnen gut geht? Wer sagt denn, dass das Konzept der monogamen Liebe das Nonplusultra ist? 

Als ob ein Leben als Alleinstehende nur zweite Wahl wäre, eben nicht das, was in unserer Gesellschaft erstrebenswert zu sein scheint oder dauerhaft glücklich macht.

Die Liebesbeziehung oder die Ehe werden seit Jahrhunderten romantisiert. Dieses Lebensmodell ist noch immer die Norm. Doch wenn ich eins gelernt und gesehen habe, dann, dass eine Beziehung kein Garant fürs Glücklich-sein ist. Sie ist nicht immer nur romantisch, gerade auf lange Sicht nicht. Ein Beziehung zu führen, bedeutet Arbeit, jeden Tag. Bedeutet Abstriche machen und weniger Zeit für sich haben. Man kann auch in Beziehungen unglücklich sein.

Es ist doch so: Heute gibt es diverse Formen des Zusammenlebens, die sicherlich alle ihre Vor- und Nachteile mit sich bringen. Das Tolle ist, dass jede*r für sich wählen kann, womit er oder sie sich wohl fühlt. Niemand sollte sich das Recht rausnehmen, anderen Menschen ein für sich passendes Lebensmodell überzustülpen, zu urteilen, wer wie am besten leben sollte, um glücklich zu sein. Das kann am Ende jede*r nur für sich selbst entscheiden und ausprobieren. Und vielleicht denken in Zukunft gerade auch in Beziehung lebende Menschen einfach mal darüber nach, dass es vielleicht sogar auch ganz schön ist, allein zu leben?

Denn als Single kann ich zu jeder Zeit selbst entscheiden, was ich tun will. Ich entscheide, wann ich Abendbrot esse, schlafen gehe und morgens aufstehe, welchen Film ich schaue und wohin in den Urlaub fahre. Alleinsein kann wahnsinnig zufrieden machen, weil man viele Dinge nur für sich tut.

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