Maske auf oder Maske ab? Das Dilemma nach dem sogenannten "Freedom Day"
Ein kräftiger Windstoß. Kurz nicht aufgepasst. Zack, schon ist meine Maske zielsicher in der nächsten Pfütze gelandet. So stehe ich also da, suche in meinen Taschen nach einer Ersatzmaske – ohne Erfolg. Zwei Wochen nach dem sogenannten "Freedom Day" stellt das eigentlich kein Problem mehr dar. Ich kann (fast) alles tun, was ich möchte. Ins Café gehen. In den Supermarkt latschen. Doch ich tue es nicht, denn bisher habe ich die Maske dort immer noch angezogen. Aus Gewohnheit. Aber auch, weil ich es generell für das Richtige halte, an Orten eine Maske zu tragen, an denen sich auch gefährdete Menschen gezwungenermaßen aufhalten müssen.
Dieses Mal gehe ich ohne Maske in die nächste Drogerie und fühle mich unter schätzungsweise 80 Prozent Maskenträger*innen ziemlich unwohl. Ich mache nichts Illegales und trotzdem beschleicht mich ein gewisses Unwohlsein und das Bedürfnis, mich für mein Verhalten zu rechtfertigen. "Sorry, sorry, mir ist meine Maske gerade in die Pfütze gefallen!", würde ich mich am liebsten erklären. Dabei scheine ich mit dem "Maske auf oder Maske ab"-Dilemma offensichtlich nicht alleine zu sein.
Die Maske ist wieder ein Thema geworden, nachdem sie eigentlich gar keines mehr war
Keine zwei Wochen nachdem an den meisten Orten die Maskenpflicht aufgehoben wurde, ist sie jedoch präsenter denn je. Ich unterhalte mich mit Freund*innen über das Für und Wider des Masketragens und frage mich selber: Ergibt das alles eigentlich Sinn?
Ich war in diesen zwei Wochen schon mehrfach in Restaurants und habe es sehr genossen, mich darin ohne Maske zu bewegen, die Stimme der Menschen im Service wieder klar zu verstehen und anderen Tischen im Vorbeigehen zuzulächeln. Zwei Mal war ich sogar feiern. So richtig. In kleinen, verschwitzen und teilweise verrauchten Räumen voller Menschen ohne Maske. Die ersten Minuten waren ungewohnt. Aber spätestens nach dem ersten Drink und einem guten Song habe ich dann auch ganz nach dem Motto "No risk, no fun" gelebt. Und ich muss sagen, ich habe wirklich ausgelassen gefeiert – es war toll!
Wieso gehe ich also ausgelassen auf Aerosol-Partys und beharre beim Einkaufen noch so sehr auf diesen Schutz? Angst zu erkranken kann es wohl kaum sein. Vielleicht eher ein schlechtes Gewissen denjenigen gegenüber, die sich nicht in Clubs rumtreiben und trotzdem ihre Milch einkaufen wollen? Ich lebe mit einer Masken-Doppelmoral, in der Angst eigentlich keine Rolle mehr spielt. Dafür aber die Solidarität, die zwar nicht im Supermarkt, aber spätestens an der Clubgarderobe abgegeben wird.
Ich lebe mit einer Masken-Doppelmoral, in der Angst eigentlich keine Rolle mehr spielt.
Dass die Regel "Alles kann, nichts muss" mitunter zu hitzigen Diskussionen, Streits an Supermarktkassen und Verweise aus dem ICE zur Folge hat, haben wir in der letzten Woche alle erlebt. Und sogar, wenn es feste Vorgaben zum Tragen eines Mundschutzes gibt, wie etwa im ICE, zeigt die Akte Mario Barth, wie emotional aufgeladen die Debatte gerade ist. Vor Emotionen kann sich in diesem Fall also wohl kaum jemand schützen.
Sicher hat jede*r auch schon eine solche Situation live mitbekommen. Ich hab so etwas im Schwimmbad erlebt. Ein Besucher hat mich (Maske tragend) kritisch beäugt und dann das Personal gefragt, ob hier noch Maskenpflicht gelte. "Nö." lautet die Antwort der Frau am Schalter. Der Kommentar von ihm: "Wieso tun die dann alle so?" Sofort habe ich habe mich angegriffen gefühlt, mein Puls schnellte nach oben und am liebsten hätte ich ihm etwas zurück gepfeffert. Die Dame am Schalter war allerdings schneller "Jeder so wie er will, wa?"
Ich will mich nicht komisch fühlen müssen, wenn ich eine Maske trage. Aber auch nicht, wenn ich meine Maske vergessen habe.
Als ich diesen ziemlich schlauen Satz hörte, musste ich mich dann wieder selbst fragen: Was will ich eigentlich? Hätte ich am liebsten die Maskenregeln zurück, damit es solche – wie ich finde unnötigen Kommentare – gar nicht mehr gibt? Solange es kein "Richtig" oder "Falsch" gibt, steht jede*r selbst vor dieser Entscheidung, jedes Mal wenn er*sie einen Laden, ein Café oder ein Schwimmbad betritt. Und ich glaube, es ist völlig ok, in dieser Umbruchphase noch etwas lost zu sein, sich im Zwiespalt zu fühlen. Wir mussten uns an so viele Sachen in der Pandemie gewöhnen – und jetzt ist es wohl an der Zeit, dass wir uns wieder daran gewöhnen, wieder etwas freier zu sein.
Ich hoffe, dass ich mich bald nicht mehr komisch fühlen muss, wenn ich eine Maske trage. Aber auch nicht, wenn ich meine Maske mal vergesse. Bestimmt wird es einfach noch eine Weile dauern, bis wir uns alle in dieser neuen Situation eingefunden haben. Und bis dahin hilft uns vielleicht der Tweet von Juli Maëlle zur Orientierung: "In a world where you can wear anything – Wear a mask."
Marina Beuerle