Gegen Omikron hilft nur Eckkneipe
"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Nun sieht er seine Tochter Wanda* nur noch am Wochenende. Ein Alltag zwischen Sehnsucht und Großstadt-Exzessen.
Die Woche zwischen Heiligabend und Silvester ist die schlimmste des Jahres. Ich mag den Stillstand nicht und es ist immer unheimlich, wenn zu viele Menschen gleichzeitig frei haben. Deshalb sind mir auch Sonntage suspekt. Die Leute kommen auf dumme Ideen, wenn sie frei haben. Sie drehen den Fernseher noch lauter als sonst, setzen sich stundenlang in ihre parkenden Autos und lassen den Motor laufen. Und sie kaufen sich Feuerwerkskörper.
Seit Jahren versuche ich, am Silvesterabend aus dem Wedding zu fliehen, am besten weit weg aufs Land, in die Berge, irgendwohin, wo es keine Schwarzpulver-Fanatiker gibt. Es ist nicht der Lärm, der mich am meisten stört, sondern dieser unvermeidliche Ausnahmezustand. Spätestens ab dem 29. Dezember ist der Wedding ein Kriegsgebiet. Ein ausgesprochenes Böllerverbot bewirkt hier etwa so viel wie eine Drohung der EU gegen China.
Das freudlose Fest der Verdammten
Ich bin dieses Mal in Berlin geblieben, hauptsächlich weil meine Tochter Wanda ihre Weihnachtsferien bei mir verbracht hat. Wir konnten es uns auch schön machen, trotz der heraufziehenden PURGE-Nacht. Seit Wanda in Rostock wohnt, sind die Ferien die einzige Zeit, in der wir uns länger sehen können als an den Wochenenden. Obwohl ich also die Tage genießen kann, freue ich mich auf den 3. Januar. Auf den Tag, wenn wieder alles normal ist. Wenn die Spinner wieder an ihren Schreibtischen und Fließbändern schmoren, und man wieder nach draußen kann, ohne von einer Flaschenrakete erschossen zu werden.
Doch auf der Rückfahrt von Rostock nach Berlin, nachdem ich Wanda wieder zu ihrer Mutter gebracht habe, spüre ich ein Kratzen im Hals. Als ich zu Hause bin, kommen Glieder- und Kopfschmerzen dazu. Ein Schnelltest am Montagmorgen, dem Morgen, der mir die Freiheit zurückgeben sollte, ist positiv. Ich gehe einen PCR-Test machen, kuriere dann das aus, was ich für eine normale Erkältung halten möchte. Am Dienstag geht es mir schon wesentlich besser, doch das Ergebnis aus dem Labor sagt unmissverständlich, was mir nun blüht – 14 Tage Isolation.
Bonjour tristesse
An sich könnte ich froh sein. Es verspricht, ein milder Verlauf zu werden. Ich muss nicht ins Krankenhaus und werde vermutlich nicht sterben. Meine Freunde bringen mir Lebensmittel und Medikamente vorbei. Ich hatte so gut wie keinen Kontakt zu anderen Menschen, habe also auch niemanden angesteckt. Trotzdem kommt es mir vor, als würde ich in einer Zeitschleife hängen. Als würde der Zustand „zwischen den Jahren“ nie wieder aufhören.
Besonders lästig ist, dass ich zu fast völliger Untätigkeit verdammt bin. Ich habe mehr als genug zu tun, auch zu Hause. Doch am zweiten Tag stellen sich so anhaltende Kopfschmerzen ein, dass ich weder lesen, noch auf einen Monitor schauen kann. Im Grunde kann ich nur noch Musik hören und wie ein Trottel am Fenster sitzen und Vögel zählen.
Und das Schlimmste dabei: Ich kann nicht in meine Lieblingskneipe gehen. Auch Wanda ist inzwischen dort Stammgast. Sie hat nach Weihnachten jeden Tag einen Schnelltest über sich ergehen lassen, damit wir dort vormittags für eine Stunde Karten spielen konnten. Die alten Herren, die sich dort täglich zum Frühschoppen einfinden, waren entzückt über den weiblichen Zuwachs im Stamminventar. Sie steckten ihr andauernd Pfannkuchen und anderen Süßkram zu.
Ein Leben ohne Eckkneipe ist möglich, aber sinnlos
Um diesen Mangel zu kompensieren, versuchen Wanda und ich per Videocall Karten zu spielen. Wir sind ohnehin traurig genug, dass wir uns nun fast drei Wochen nicht sehen können. Es gelingt leider nur mäßig. Selbst in der Kneipe hält Wanda ihre Karten stets so, dass ich ihr ganzes Blatt sehen kann. Doch in einer Telefonkonferenz ist das Ganze noch blöder.
Immerhin gibt es einen Lichtblick, als ich vom Beschluss höre, dass die Quarantänezeit von 14 auf zehn Tage reduziert wird. Dass ich mich sogar schon nach sieben Tagen freitesten kann. Sollte alles gut laufen, können Wanda und ich uns also am nächsten Wochenende schon sehen. Dann werden wir in die Stammkneipe gehen und jedem der alten Herren ein Gedeck ausgeben. Obwohl mein Corona-Fall für sie schon erfreulich genug sein muss. Denn nichts ist in einer Eckkneipe beliebter als aktueller Gesprächsstoff.
* Name geändert