Millionen Menschen dürfen nicht wählen: Das muss sich ändern!

© Tim Hufner

Neulich hat mich jemand gefragt, wie demokratisch Deutschland meiner Meinung nach sei. Meine Antwortet darauf war: "Wahrscheinlich leben wir in einer der demokratischen Demokratien, die es überhaupt gibt". Aber ist das wirklich so?

Demokratie, das ist ein großes Wort, mit dem man häufig so ganz lapidar um sich wirft. Dabei sollte man sich die Bedeutung des Wortes hin und wieder noch einmal verinnerlichen. Aus dem Griechischen kommend heißt Demokratie so viel wie "Herrschaft des Volkes" und hat ein ganz zentrales Merkmal: Das allgemeine Wahlrecht, das grundsätzlich für jede*n gilt.

27 Prozent

Nach einem "grundsätzlich" folgen dann leider oft die Ausnahmen. Denn in Deutschland dürfen längst nicht alle Menschen, die möchten, bei der Bundestagswahl ihr Kreuzchen setzen. Voraussetzung ist nämlich, dass man eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, mindestens 18 Jahre alt ist und seit mehr als drei Monaten in Deutschland wohnt (ergo hier gemeldet ist).

Nach den aktuellsten Schätzungen des Bundeswahlleiters (2021) sind zur kommenden Bundestagswahl am 26. September 2021 nur 60.4 von insgesamt 83.1 Millionen Einwohner*innen in Deutschland wahlberechtigt. Das heißt im Klartext: 27% der in Deutschland lebenden Menschen dürfen ihre Stimme bei der Wahl nicht einbringen. Das ist viel. Zu viel.

Gründe dafür gibt es ebenfalls viele. Darüber, dass Kinder und Jugendliche auf Bundesebene bereits ab 16 Jahren mitentscheiden dürfen sollen, wird immer wieder diskutiert. Der Konsens ist und bleibt aber: Menschen unter 18 dürfen weiterhin nicht wählen. Das Argument: Sie könnten noch keine verantwortungsbewusste Wahlentscheidung treffen. Noch obskurer wird es, wenn man den jungen Leuten an so vielen Stellen Politikverdrossenheit vorwirft, zum Beispiel, weil sie nicht mehr in Parteien eintreten. Dazu kann ich nur sagen: Dann lasst den Nachwuchs halt auch mitmachen, ergo ab 16 wählen.

Fridays for Future: Nehmt die Jungen ernst!

Ich finde, die Kinder und Jugendlichen von beispielsweise Fridays for Future haben in den vergangenen Jahren mehr zur Debatte um Klimagerechtigkeit und weitere der ganz großen Themen beigetragen als unsere amtierende Regierung es in 16 Jahren geschafft hat. Traut den Kids mehr zu! Auf kommunaler Ebene zeigen Länder wie Schleswig-Holstein, Brandenburg und Bremen übrigens bereits, dass es funktionieren kann. Studien zeigen, dass das Interesse für Wahlen und Politik generell nachhaltig gesteigert werden konnte, da man die Jugendlichen in diesem Alter über den elterlichen Kontext noch besser erreichen und damit auch mobilisieren konnte.

Ein anderes wichtiges Thema, wenn wir über Wahlrecht sprechen, ist das der Staatsbürgerschaft. Aktuell sind in Deutschland 11.4 Millionen Menschen (Ausländerzentralregister, 2021) nicht wahlberechtigt, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das sind zu einem Großteil auch Menschen, die hier geboren sind, die hier arbeiten und leben, hier ihre Steuern zahlen. Was sie aber nicht dürfen? In dem Land, in dem sie leben, mitentscheiden. Sie dürfen nicht mitbestimmen, wer politische Entscheidungen trifft, die ja schließlich auch sie betreffen.

Die (bürokratischen) Hürden, um an eine doppelte Staatsbürgerschaft zu kommen, sind hoch. Zu hoch. Insbesondere Menschen aus Drittstaaten, die also nicht aus der EU kommen, haben kaum Perspektiven, eine deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten. Das ist ein großes Problem und ein Trend, der seit Jahren in die falsche Richtung geht.

Wahlrecht für alle!

Wie sollen wir all diesen Menschen, Deutschen, die seit Generationen hier leben und alles dafür tun, Teil dieser Gesellschaft zu sein, eigentlich erklären, dass sie nicht mitentscheiden dürfen? Dass sie kein Mitbestimmungsrecht haben? Es bleiben zu viele Menschen ohne Repräsentation und Vertreter*innen für ihre Interessen zurück – und das können wir uns, meiner Meinung nach, nicht leisten.

Initiativen wie die "Die Vielen" oder "Brand New Bundestag", die ein Wahlrecht für alle fordern, kämpfen seit langem für mehr Mitbestimmung aller in Deutschland lebenden Menschen. Für eine Gesellschaft, in der Menschen gemeinsam ihre Zukunft gestalten. Das sollten wir alle tun und uns noch einmal die Frage stellen, wie (basis)demokratisch wir denn eigentlich sind, wenn wir einen so großen Teil unserer Mitmenschen ausschließen?

Wie sollen wir all diesen Menschen, Deutsche, die seit Generationen hier leben und alles dafür tun, Teil dieser Gesellschaft zu sein, eigentlich erklären, dass sie nicht mitentscheiden dürfen?

Warum ich diese Worte ausgerechnet jetzt schreibe? Weil in weniger als zwei Wochen Bundestagswahlen sind. Weil wir uns bis dahin ganz genau anschauen sollten, welche Parteien sich für die Partizipation aller in Deutschland lebenden Menschen einsetzen. Und weil ich denke, dass wir uns vor allem in Zeiten wie diesen bewusst machen sollten, was Demokratie für uns bedeutet – und für andere eben nicht.

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