Wie gehen wir nach der Pandemie mit den Bekloppten um?

© Hella Wittenberg

Der Lockdown betrifft uns alle. Manche mehr, manche weniger. Aber ich glaube, dass er einer Gruppe von Menschen besonders stark aufs Gemüt schlägt. Und zwar denjenigen, die sich viel in sozialen Netzwerken herumtreiben. Dort türmt die Hysterie wirklich absurd hohe Wellen auf. Ich habe bei Juli Zeh gerade ein schönes Zitat gelesen, das dieser Beobachtung entspricht: „Berlin war ihr zu schrill. Manchmal kam es ihr vor, als wäre sie die einzige Person in der Stadt, die arbeiten ging, während alle anderen mit Durchdrehen beschäftigt waren.“ (Über Menschen, S.57)

Vor ein paar Tagen ist die #allesdichtmachen-Kampagne wie eine Bombe in unseren Alltag geschlagen. Und ich habe mich ehrlich gefragt, warum? Dass schauspielende Menschen nicht mehr alle Schalen an der Zwiebel haben, weiß ich spätestens, seit ich selbst Filme gemacht habe. Das gehört zum Berufsbild dazu. Die können nun mal kein Bild malen, oder was schreiben oder komponieren. Wenn die nicht beschäftigt werden, entlädt sich ihr kreativer Drang in seltsamen Aktionen.

Einfach mal durchatmen

Warum wird das aber nun zum staatszersetzenden Ereignis hochgespielt? Warum kriegen die Morddrohungen? Warum fordert ein Rundfunkrat des WDR, dass die zuständigen Gremien die Zusammenarbeit schnellstens beenden müssen, sprich: ein Berufsverbot? Und warum fühlen sich so viele intelligente Menschen zu empörter Distanzierung verpflichtet?

Wir haben uns schon vor der Pandemie über den Verlust unserer Debattenkultur beklagt. Dass Hass und Hetze unserer Gesellschaft die Fähigkeit zum Diskurs rauben. Aber schlägt die Reaktion auf #allesdichtmachen nicht genau in diese Kerbe? Man kann Jan Josef Liefers doch ganz sachlich auseinandersetzen, dass er ein Honk ist. Man muss ihn nicht zum Paria machen.

Wir haben uns schon vor der Pandemie über den Verlust unserer Debattenkultur beklagt

„In der Krise beweist sich der Charakter.“ Dieses Zitat haben wir schon zu Beginn der Pandemie gern bemüht. Als die Menschen kleinmütig Klopapier und Nudeln gehortet haben. Ein Jahr später zeigt sich ein neues Phänomen: Das geradezu exzessive Heraufbeschwören eines Endzeit-Szenarios. Und da machen alle mit: Querdenker*innen, Impfgegner*innen. Und auch wir Lifestyle-Linken mit unserer klugen Empörung.

Aber dazu kann ich nur sagen: Beruhigt euch mal wieder. Vielleicht wisst ihr das nicht, weil der Mensch die eigene Situation immer überbewertet, aber die Pandemie wird irgendwann wieder vorbei sein. Wird Geschichte sein. Und was euch heute zur Schnappatmung bringt, wird dann in einem wesentlich milderen Licht erscheinen.

Eine ganze Gesellschaft mit Schnappatmung

Und ich frage mich ernsthaft: Wie werde ich dann mit den Bekloppten von heute umgehen? Mit den eigentlich vernünftigen Freundinnen und Freunden, die plötzlich Verschwörungstheorien verbreitet haben? Mit Nachbar*innen, die sich gegenseitig verpfiffen? Mit Menschen, die gegen Erleichterungen für Geimpfte waren, weil das angeblich die Zweiklassen-Gesellschaft vorantreibt? Und eben auch mit Leuten, die wegen einer missglückten Satire-Aktion ihr demokratisches Bewusstsein verlieren?

Ich finde #allesdichtmachen auch doof. Dass die Beteiligten aber allein schon deshalb in Misskredit gebracht werden, weil die AfD ihr Lob ausgesprochen hat, befremdet mich. Warum geben wir der AfD so viel Macht? Wenn Alice Weidel morgen verkündet, dass sie "Herr der Ringe"-Fan ist, muss ich dann J.R.R. Tolkien boykottieren?

Ich denke, es kann nicht schaden, den Ball flach zu halten. Deshalb versuche ich die Pandemie zu sehen wie einen Beinahe-Flugzeugabsturz. Wenn wir dann durch die Gewitterfront durch sind, die Maschine sich stabilisiert hat, wie werde ich mich verhalten haben? Habe ich im Moment der Bedrohung gebrüllt und hysterisch um mich geschlagen? Oder bin ich sitzen geblieben, mit einem Drink in der Hand, auf den Lippen ein leicht verächtliches Lächeln angesichts des Unvermeidbaren. Contenance, brothers and sisters.

© Grafik: Mit Vergnügen | Foto: Hella Wittenberg
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