Negative Kommentare als Frustbewältigung: Die Leiden des (nicht mehr so jungen) Internets

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Egal ob YouTube oder Facebook, unerheblich ob Instagram, TikTok und Co: Die Kommentarfunktionen von Social-Media-Plattformen – früher ein Ort des humanen Meinungsaustauschs – sind zum Bodensatz gesellschaftlicher Meinungsbildung geworden. Sachliche Diskussionen unter den User*innen sind inzwischen absolute Mangelware, Negativität, Hass und Frustbewältigung sind dagegen allgegenwärtig. Eine Frage: Warum? Eine weitere Frage, speziell an alle, die sich angesprochen fühlen: Habt ihr nichts Besseres zu tun?

Dabei war der Anfang doch gar nicht so schlecht: Gerade Facebook war zu Beginn des Hypes eine Plattform, auf der sich jede*r getummelt hat. Lebhafte Diskussionen unter Beiträgen – mal sachlicher, gerne auch unsachlicher Natur – war eine Art Normalzustand. Natürlich gab es auch da schon unnötige, persönlich werdende Beleidigungen unter Nutzer*innen. Ja, auch damals haben Vollpfosten sich hinter falschen Namen und Profilbildern versteckt, um (schlechte) Stimmung zu verbreiten.

Wo der Unterschied zu heute liegt? Ganz einfach: Der Ton ist rauer geworden, sachliche Diskussionen sind fast vollständig verschwunden. Den Platz haben fast vollständig Leute eingenommen, für die es im Social-Media-Jargon längst einen eigenen Begriff gibt: Trolle. Zusammen mit Dauernörgler*innen und Mecker-Rentner*innen (Typ: weniger als 35 Facebook-Freund*innen, tägliche Shares von BILD- und Regionalzeitungsbeiträgen, dauernde Hasskommentare auf Seiten über Angelegenheiten irgendwo anders auf dem Planeten, die sie einen gepflegten Scheissdreck angehen) haben wir inzwischen einen Zustand der absurden Social-Media-Normalität erreicht.

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Wir bei Mit Vergnügen erleben das jeden einzelnen Tag. Beispiel Facebook: Ein Beitrag über Freizeitaktivitäten in Berlin – zu dem Zeitpunkt absolut Corona-konform und den geltenden Abstands- bzw. Richtlinien entsprechend – weckt das Interesse von (nennen wir ihn einfach mal) Karl-Otto aus der friesischen Provinz mehrere hundert Kilometer entfernt: "SEID IHR DUMM? IST DAS EIGENTLICH EUER VERDAMMTER ERNST? HOFFENTLICH VERRECKT IHR AN DEM VIRUS!"

Versalien als Ausdruck der Abneigung. Lovely! Und Alltag. Was sollen wir jemandem antworten, der am anderen Ende der Republik frustriert vor dem Rechner sitzt, mit Sicherheit (100%) kein einziges Wort des Beitrags gelesen hat uns so einen Kommentar ablässt? Um's kurz zu machen: Nichts. Absolut nichts. Früher hätte man sich darauf vielleicht eingelassen, inzwischen lächelt man es weg. Das Problem: Es bleibt der einzige Kommentar unter dem Artikel, für den ein*e Redakteur*in mehrere Stunden Zeit aufgebracht hat. Vergebene Mühe, an der sich ein alter Mann abreagiert. Aber beim nächsten Post wird bestimmt alles besser, oder?

Zeitsprung – ein paar Stunden später. Der darauffolgende Artikel hat für Aufmerksamkeit gesorgt, sogar eine kleine, entspannt sachliche Diskussion hat sich entfacht. Bei Facebook fast schon ein echte Seltenheit heutzutage. Bis, ja bis es wieder ins Persönliche ging. Die alte Leier also. Dabei wollte Sabine aus Karow uns doch nur mitteilen, dass für uns "dumme Hipster-Fressen Spandau offensichtlich nicht zu Berlin gehört, oder?" Sonst hätten wir natürlich längst über den "wirklich süß eingerichteten" Laden XY ihrer Freundin berichtet. Ok, ganz kurz mal: Ihr erhaltet bei Mit Vergnügen von uns Tipps zu so relativ jeder Lebenslage und zu ziemlich allem, was ihr in dieser Stadt erleben könnt. Tagein, tagaus. Kostenlos. Und selbst da werden gezielt Angriffspunkte gesucht? Nö. Irgendwann ist auch mal gut.

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Hoffentlich versteht ihr, worauf wir hinaus wollen. Es geht hier nicht darum, jemanden an den Pranger zu stellen – euch am wenigsten. Es geht darum, dass Social Media immer mehr den Verblendeten überlassen wird und nur noch sinnlos Frust abgelassen wird. Wir, die tagtäglich auf diesen Plattformen unterwegs sind, das Ganze sogar als Beruf ausüben, können manchmal nur den Kopf schütteln. Die Arbeit anderer Menschen durch den Dreck zu ziehen, die eigentlich nur Gutes damit tun wollen, frustriert ungemein. Und darum geht es in diesem Text: Frustration. Danke für's Lesen!

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