Möchte ich in diese Welt noch Kinder setzen?
Sich zu entscheiden, ein oder womöglich sogar mehrere Kinder zu bekommen, war noch nie einfach. Es wird in Betracht gezogen, ob die Beziehung den Wandel aushält, oder man auch alleine für diese Lebensveränderung gewappnet ist. Dazu gesellt sich der Gedanke, ob der Kinderwunsch finanziell tragbar ist, immerhin kostet so ein kleines Wesen bis zum 18. Lebensjahr etwa 130.000 Euro. Und wie sieht es denn mit der Karriere aus? Dass die mit einem Kind leider in den meisten Fällen nicht uneingeschränkt vereinbar ist, ist auch im Jahr 2021 noch für die meisten Eltern der Fall. Natürlich spielt dann auch noch die Gesundheit eine Rolle – physisch wie psychisch. Und schlichtweg die Frage: Habe ich Bock, die nächsten Jahre aufs Ausschlafen, faule Sonntage und wilde Partynächte zu verzichten.
Alles eine Frage des Egos also. Könnte man meinen.
Ja, aber eben auch nicht nur. Denn sollte man alle diese Häkchen gesetzt haben, dann bleibt heute auch die Frage: „Kann ich es meinem Kind noch antun, in diese Welt gesetzt zu werden?“
Egal, wie die Zukunft aussehen mag, aktuell herrscht auf der Welt reines Chaos. Eine globale Pandemie, Rechtsradikale auf den Stufen des Reichstags, Polizeigewalt gegen BPOC, Sexismus am Arbeitsplatz und auf der Straße, eine Überpopulation, die die Ressourcen der Erde in unbeschreiblicher Geschwindigkeit verschlingt und dazu die immer weiter schwelende Klimakrise, die nicht bezwungen wird. Unsere Welt brennt an allen Ecken und Enden – egal ob gesellschaftlich oder buchstäblich.
Ist es moralisch falsch, Kinder zu bekommen?
Die Aussichten sind nicht gerade rosig. Weder für unsere Generation, und erst recht nicht für die folgenden. Wissenschaftler*innen rechnen damit, dass bis 2100 der Meeresspiegel um bis zu 1,6 Metern steigen könnte. Ganze Landstriche würden daraufhin verschwinden. Es wird immer mehr Extremwetterlagen geben, große Dürren, Brände und auf der anderen Seite Überschwemmungen.
Aber nicht nur das Klima leidet, sondern auch die Menschheit: Menschen auf der Flucht werden auf den Meeren oder in unwürdigen Lagern ihrem Schicksal überlassen, ganzen Ländern fehlt es an Wasser, Essen und medizinischer Versorgung. Ja, um unsere Wasservorräte entstehen mittlerweile harte Konflikte. Und dabei werden wir Jahr für Jahr mehr Menschen, die sich kaum mehr versorgen lassen. Zwischen 1900 und 2000 stieg die Weltpopulation von 1,5 auf 6,1 Milliarden Menschen an. 2021 sind wir bei 7,8 Milliarden angekommen und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer gravierender.
Auch in den so schön als fortschrittliche Nationen gefeierten Ländern wie Deutschland gibt es zahlreiche gesellschaftliche Konflikte. Am Arbeitsplatz, in der Schule, im Krankenhaus. Das Bildungssystem, Frauenrechte, Alltagsrassismus, ja, sogar die Datingwelt – immer wieder wird aufgezeigt, was alles gewaltig schief läuft. Nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie. Die hat vor allem gezeigt, welchen Platz Familien in der Rangordnung haben. Guess what – einen ganz, ganz weit hinter den Wirtschaftsinteressen.
Ist die Antwort dann so einfach?
Nein. Trotz dieser Schwergewichte auf der Contra-Seite, lässt sich die Kinderfrage nicht so einfach abwinken.
Denn es gibt auch Argumente, die sich auf die Pro-Seite schreiben lassen. So gibt es entgegen der Nachrichtenbilder eine immer weiter sinkende Kriminalitätsrate. Und so furchtbar diese Pandemie auch ist, die Medizin ist auf einem so fortschrittlichen Stand, dass innerhalb weniger Monate ein Impfstoff gefunden werden wird. Andere Krankheiten wurden bereits ausgerottet, an immer fortschrittlicheren Therapien wird gearbeitet und unsere Lebenserwartung und Lebensqualität steigt durch diese Entwicklungen.
Eine neue Generation der Hoffnung
Und auch gesellschaftlich sind es gerade die jungen Menschen, die etwas bewegen. Schüler*innen führen die globalen Fridays for Future-Bewegungen an, die sozialen Netzwerke schließen sich weltweit für Black Lives Matter-Demonstrationen zusammen, TikTok-Nutzer*innen boykottieren Trump bei seinen Wahlauftritten.
Die Jugend hat Kraft und immer mehr Macht – ist das nicht ein Zeichen, weitere Menschen in die Welt zu setzen, die sie zum Positiven wandeln können?
Letztendlich muss man also die Fragestellung ändern: es geht nicht darum, ob man es moralisch vertreten kann, in dieser Welt ein Kind zu bekommen. Es geht darum, dass wenn man sich dafür entscheidet, man Verantwortung zeigt und einen Menschen erzieht, der unsere Welt zugute kommt und sie ein Stück besser macht.
Dem man beibringt, dass gleichgeschlechtliche Eltern in der Kita ganz normal sind, genau wie unterschiedliche Hautfarben und Religionen. Ein Kind, das zu einem Erwachsenen heranwächst, der oder die klimaschonend Fahrrad fährt, auf Fleisch verzichtet und Plastik aus dem Meer fischt. Wie toll wäre es, wenn wir eine Generation gründen, die sich politisch engagiert, Ungerechtigkeiten bekämpft, Menschenrechte schützt – und ihre eigene Zukunft besser machen als das Jetzt.
Am Ende steht hier also weder ein klares "Nein", noch ein klares "Ja". Denn diese Frage ist so individuell zu betrachten, dass es keine einfache Antwort gibt. Und so lautet die Moral von der Geschicht': Ich weiß es doch auch nicht.
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