Lockdown 2.0: Was wir aus dem Frühling gelernt haben (sollten)

© Christin Otto

Gerade lagen wir noch am See, gerade saßen wir noch gemeinsam mit Bierchen vor dem Kiosk, gerade noch hatte man sich wieder getraut, die Freund*innen auch mal zu umarmen – oder: Gerade noch hatte man es nicht mehr so genau genommen, mit allem, was in Zeiten von Corona eigentlich nicht so optimal war. Endlich geschafft, endlich wieder raus! Nächtlich, überfüllte Straßen, ausgelassenes Feiern, ein bisschen, als wäre alles beim Alten. Und dann hieß es – so mittelüberraschend – wieder: Lockdown. Lockdown light. 

Aber light, was soll das überhaupt heißen? Bei Erfrischungsgetränken gilt: Zuckerreduziert, aber irgendwie steckt doch das Gleiche drin. Übersetzt man ins Jahr 2020: Ein paar Branchen bleibt das Schließen erspart, aber im Privaten gilt doch das Gleiche wie im Frühling. Eigentlich. Denn so richtig macht es nicht den Anschein, als hätten alle nochmal Bock auf Drosten, Merkel und Co. zu hören: Wie selbstverständlich wollen sich nicht nur die engsten ein, zwei Freund*innen auf einen Kaffee treffen oder einen gemütlichen Abend zu Hause verbringen. Diesmal sind es mehr. Zumindest sagt mir das mein Terminkalender, wenn ich ihn mal wieder stirnrunzelnd befrage, ob er wirklich noch ein neues Date im Lockdown gebrauchen kann. 

Gewartet haben wir: Nicht auf einen Impfstoff, sondern darauf, dass im neusten News-Update endlich wieder steht: Treffen ist erlaubt.

Dabei lautet die Ansage: Kontakte reduzieren, wo es nur geht. So wie im Frühling. Während meine Freund*innen und ich also richtig draufgängerisch darüber diskutieren, ob wir – völlig illegal – zu dritt mit Abstand durch den Park spazieren wollen, scheint für andere die einzige Kontakteinschränkung wohl nur die zu sein, wieviele Leute um den großen WG-Küchentisch passen. Vielleicht sind das die Gleichen, die auch vor ein paar Wochen noch Partys mit über hundert Leuten gefeiert haben – weil es nun mal erlaubt war. Selbst denken? Fehlanzeige.

Was das alles zeigt? Das viel beschriebene "the new normal", tja, das gibt es nicht. Noch nicht. Im Frühling ging alles auf Null, das Leben war plötzlich ausgeschaltet. Zack – weg. Gewartet haben wir: Nicht auf einen Impfstoff oder eine Verbesserung der Situation, sondern darauf, dass im neusten News-Update endlich wieder steht: Treffen ist erlaubt. Dass Mama Angie und Papa Christian sagen: Ist ok, geh raus spielen. Und dann – im Sommer – konnten wir endlich wieder raus. Von "new normal" keine Spur. Wenn überhaupt, dann von "old normal". Hatten wir uns ja auch verdient, oder? Naja, so funktioniert das leider nicht – vor allem nicht im Herbst. 

Jetzt habe ich das Gefühl, dass Optimismus im November nur dann angebracht ist, wenn man mit ihm zusammen kämpft – und nicht gegen ihn.

So schön es auch im Sommer war, so kommt nun die harte Erkenntnis, auch für mich: Vielleicht sollten wir ein Mittelmaß finden – eins, was man länger aushält. Spazieren gehen, Freund*innen nur im kleinsten Kreis treffen, viel telefonieren. Große und kleine Feierlichkeiten endgültig aufs nächste Jahr verschieben. Und nicht auf in zwei, drei Wochen – denn wie zum Teufel soll alles wieder laufen, nur weil eine willkürlich gesetzte Grenze endlich erreicht ist. Noch vor ein paar Monaten hätte ich mich jetzt wahrscheinlich selbst für einen pessimistischen Miesepeter gehalten. Jetzt habe ich eher das Gefühl, dass Optimismus im November nur dann angebracht ist, wenn man mit ihm zusammen kämpft – und nicht gegen ihn.

Im Privaten Abstriche fürs große Ganze machen, einen kühlen Kopf bewahren, die Situation hinnehmen – nicht gerade sexy, ich weiß. Und vor allem: nicht gerade einfach, wenn man noch nie in dieser Situation gesteckt hat. Wir stecken nun aber immerhin schon zum zweiten Mal drin. Und um die Augen einfach schnell zusammenzukneifen und so zu tun als wären wir nicht da, da sind wir nach neun Monaten Pandemie nun einfach rausgewachsen.

Jetzt auf Ende November hinzufiebern, ist deshalb genauso sinnlos, wie im Frühling jeden Tag die Nachrichtenseiten zu refreshen. Der Unterschied: Wir waren jung und wussten es nicht besser. Jetzt sollten wir so langsam daraus gelernt haben. Allein schon, weil wir, die Kultur, die Gastronomie und so viele andere Branchen uns alles andere nicht leisten können.

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