Hallo Leben 2.0: Wie schnell ich mich an das Downgrade gewöhnt habe

© Laurenz Armonier

„Lieber User, ihr Premium-Abo für ihr Real Life-Game „Leben“ ist abgelaufen. Sie befinden sich nun im Downgrade-Modus, Ihre Möglichkeiten wurden eingeschränkt“ – so ungefähr übersetzt mein Gehirn die Nachrichten, die jeden Tag über mein Handy flattern. Das Leben wurde downgegradet, jetzt läuft die Version 2.0. 

Schauen wir den Tatsachen doch mal ins Auge: Abgesehen vom täglichen Gang zur Arbeit – der in meiner 44qm Wohnung nicht allzu lang ist, ein Schritt zum Laptop nämlich – bewege ich mich in einem ziemlich kleinen Radius um mein Haus herum. Der übliche Gang zum Supermarkt, vielleicht doch noch ein, zweimal zu oft, denn irgendetwas muss man ja machen, eine abendliche Joggingrunde durch den Park und dann wieder ein aufregendes Wandern zwischen Zimmer, Küche und Bad. Leben 2.0 bekommt in Sachen Fun-Faktor eher zwei von fünf Sternen.

Würde meine Lieblingskneipe zwischendurch abfackeln, der Kölner Dom verschwinden oder die Öffis auf einmal pünktlich kommen – ich würde es nicht merken, denn meine Stadt ist auf einmal geschrumpft.

Trotzdem: Nur selten meldet sich die leise Stimme in meinem Kopf zu Wort und merkt an, dass hier gerade irgendetwas nicht stimmt. Wie kurze Erinnerungen an ein anderes Leben, huschen dann Bilder an meinem inneren Augen vorbei: Meine Freunde und ich beim Bierchen trinken in unserer Lieblingskneipe. Ich, wartend, an der Bahnhaltestelle auf dem Weg ins Kino, Kaffee trinken in der Sonne, vielleicht sogar wildes Tanzen auf einem Konzert.

Komisch, wie die normalsten Dinge der Welt schon seit Wochen nicht mehr zum Alltag gehören. Auch komisch, dass ich diese Orte, an denen ich sonst so viel Zeit verbracht habe, seit Wochen nicht mehr gesehen habe. Wieso auch, wenn ich so gut es geht zuhause bleiben soll? Würde meine Lieblingskneipe zwischendurch abfackeln, der Kölner Dom verschwinden oder die Öffis auf einmal pünktlich kommen – ich würde es nicht bemerken, denn meine Stadt ist auf einmal geschrumpft. Für mich zumindest.

Leider hab ich diesmal die Low-Budget-Version erwischt, in der nur mein eigenes Viertel freigeschaltet ist, die Dorf-Version mitten in der Großstadt.

Die Erinnerungen an die gute, alte Zeit – also, ähm, vor einem Monat – sind in der Premium-Version meines Lebens hängen geblieben. Ich habe Speichern geklickt, das Leben 1.0 abgelegt und jetzt spiele ich nochmal das Paralleluniversum durch. Leider habe ich diesmal die Low-Budget-Version erwischt, in der nur mein eigenes Viertel freigeschaltet ist, die Dorf-Version mitten in der Großstadt.

Vielleicht habe ich auch genau deswegen das Gefühl, dass mein neuer Alltag zur krassen Normalität geworden ist. Statt abends traurig zu sein, weil ich nichts starten kann, sind Skype und Netflix die selbstverständlichen Optionen. Ich komme gar nicht auf die Idee, fehlende Möglichkeiten zu bedauern, denn in meinem Menü werden sie schon gar nicht mehr angezeigt.

Was ist los mit mir, sind meine alten Freuden wirklich so belanglos gewesen, dass sie sich kurzerhand mit Online-Spaß und Vino daheim ersetzen lassen? Ist die Low-Budget-Version genauso gut, wenn ich ja scheinbar mit ihr klar komme? Ich glaube nicht. Ich glaube eher, dass mein Hirn wohl – ohne Kommando meinerseits – eine Art Überlebensmodus eingeschaltet und sich den neuen Umständen angepasst hat: „So, Caro, das ist jetzt dein Leben, bitte schön. Hier, du kannst dich überall austoben, aber das Premium Package Freizeit, Freunde, Feierabendbier bleibt erstmal blockiert.“ Also drücke ich Start und spiele das Spiel, mit den Optionen, die mir zur Verfügung stehen. Was soll ich auch sonst tun?

Auf einmal schlägt mein Herz schneller, weil ich weiß, dass es sie noch gibt, diese Premium-Version der Realität.

Unruhe kommt nur dann auf, wenn die Premium-Version doch nochmal für einen kurzen Augenblick in der Werbung läuft – wie am Wochenende, als zwei Freundinnen plötzlich mit Schildern auf der Straße vor meinem Haus standen und über den Balkon mit mir kommuniziert haben. Auf einmal schlägt mein Herz schneller, weil ich weiß, dass es sie noch gibt, diese Premium-Version der Realität. Ich will sie haben, ich will das Upgrade. Mein Hirn drückt aber das X und loggt sich schnell wieder aus. "Nein, du musst noch warten." 

So merkwürdig das alles ist, irgendwie ist es auch beruhigend, dass mein Kopf den neuen Datensatz so schnell runtergeladen hat. Wir Menschen scheinen verdammt anpassungsfähige Wesen zu sein und solange unsere Grundbedürfnisse gesichert sind, kommen wir klar. Ob ich eigentlich lieber die Premium-Version spielen würde? Logisch. Die können wir uns nur gerade nicht leisten. Deshalb bin ich meinem Gehirn ganz dankbar, dass es den Modus einfach umgeschaltet hat.

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