Erst habe ich über die Angst gelacht, jetzt lacht das Virus über mich
Trockener Husten, ein leises Fiepen in der Lunge, schweres Atmen. „Jetzt ist es soweit, jetzt habe ich es auch“, denke ich, ziehe nervös an meiner E-Zigarette und versuche, die innere Panik mit etwas dampfendem Mentholgeschmack wegzuinhalieren. Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind chronisches Asthma hatte, google beinahe manisch all die Corona-Symptome und Krankheitsverläufe, von denen ich längst weiß, dass sie nie dieselben sind. Ich lese, dass Raucher und Asthmatiker zur Risikogruppe gehören und frage mich, ob ich mit Mitte 30 eigentlich noch zu den Jungen oder doch schon zu den gefährdeten Älteren zähle.
Erschöpft vom eigenen Gedankenkarussell döse ich irgendwann vorm Rechner ein, schlafe kurz und bin erleichtert, als ich eine Stunde später wieder aufwache – atmend, ohne Fieber und all die anderen Symptome, die ich kurz zuvor noch aus den Untiefen des Internets gebuddelt hatte.
Vor einer Woche noch hätte ich darüber gelacht. Jetzt lacht das Virus über mich.
Also doch kein Corona? So sicher bin ich mir da nicht. Wie auch? Wie soll ich mich sicher fühlen in einer Welt, in der selbst halbwegs ernstzunehmende Medien vom „unsichtbaren Feind“ sprechen? Vor einer Woche noch hielt ich Vorsicht für angebracht, Angst aber für stark übertrieben. Inzwischen meide ich fremde Türgriffe, verbrauche mehr Seife denn je und werde bei jedem Kratzen im Hals hellhörig. Vor einer Woche noch hätte ich mich dafür selbst ausgelacht. Jetzt lacht das Virus über mich.
Dass inzwischen mein halbes Umfeld schon mal den Verdacht geäußert hat, dass es sie nun auch erwischt habe, macht die Sache nicht besser. Täglich starren alle gebannt auf rote Kreise, Statistiken und Zahlen, um das Virus im Blick zu behalten. Es weitet sich aus. Ist es bald bei mir? Das scheint sich gerade jeder zu fragen. Mein Verstand sagt mir, dass Hysterie noch nie ein guter Ratgeber war. Doch mein Bauch weiß, dass der Grat zwischen Unsicherheit und Wahnsinn ein schmaler ist. Vor allem für diejenigen, in deren Wohlstandsbubble die größte Unsicherheit bislang in der Frage bestand, ob es abends nun zum Chinesen oder doch zum Italiener gehen soll.
Angst ist kein guter Begleiter und doch meldet sie sich selbst bei mir inzwischen in unschöner Regelmäßigkeit leise zu Wort.
Plötzlich ist alles anders, unser Leben wurde durchgeschleudert, ohne Weichspüler, ohne Schonwaschgang. Die Frage „Chinese oder Italiener“ stellt sich nicht mehr, weil beide längst geschlossen haben. Stattdessen geht es nun scheinbar ums Überleben – ein Kampf, der in Supermärkten ausgetragen wird und in der Schlacht um die letzte Packung Klopapier mündet. Das mag man absurd finden, darüber kann man sich aufregen, doch daraus einen Vorwurf zu formulieren, fällt schwer, wenn man weiß, was Psychologen längst erklärt haben: Hinter all den Hamsterkäufen steckt am Ende auch nur ein durch und durch menschlicher Instinkt – Angst.
Angst ist kein guter Begleiter und doch meldet sie sich selbst bei mir inzwischen in unschöner Regelmäßigkeit leise zu Wort. Was, wenn einem geliebten Menschen etwas passiert? Was, wenn ich es bin, der jemanden ansteckt? Und was, wenn ich selbst nicht lebend aus der Nummer herauskomme?
Es sind Gedanken, die mir angesichts der Tatsache, dass ich weder quengelnde Kinder, noch pflegebedürftige Eltern, geschweige denn einen prügelnden Ehemann zu Hause habe, beinahe lächerlich erscheinen. Ich stehe nicht vor den Scherben meiner Existenz und werde meine Miete auch in den nächsten zwölf Monaten noch zahlen können. Und doch kann all das mir die Unsicherheit nicht vollends nehmen. Vor allem wohl, weil kein Mensch sagen kann, wann der ganze Spuk endlich ein Ende hat. Um genau zu sein, hat er ja gerade erst angefangen. Wir treiben im dunklen Meer, haben keine Ahnung, was unter unseren Füßen lauert und das rettende Ufer – ist nicht in Sicht.
All das ist wie Möbelshopping bei Ikea: Sieht erstmal einfach aus, stellt sich aber spätestens beim Aufbau als echte Nervenzerreißprobe heraus.
Während an allen Ecken darüber gescherzt wird, dass die Weltrettung noch nie so einfach war – „einfach auf der Couch liegen und Chips futtern“ –, schwant mir, dass all das vielmehr ist wie Möbelshopping bei Ikea: Sieht erstmal einfach aus, stellt sich aber spätestens beim Aufbau als echte Nervenzerreißprobe heraus. Und da spielt es keine große Rolle, wie gut oder schlecht es uns rational betrachtet geht. Denn Angst und Rationalität sprechen nicht dieselbe Sprache, sie verstehen einander nicht.
Genau das ist wohl auch der Grund, warum ich mich manchmal selbst nicht mehr verstehe. Das Ich, das bisher selbst die schmutzigste Mittelohrentzündung einfach ausgesessen hat (nichts, worauf man stolz sein sollte), ist zu einem Ich geworden, das bei einer vermutlich simplen Erkältung die Ruhe verliert. In diesen Momenten klammere ich mich an das Wissen, dass ich mit diesem Wahnsinn in meinem Kopf nicht alleine bin. „Ich glaub, ich hab‘ Corona“ ist ein Satz, den ich inzwischen beinahe täglich höre. Meist mit nicht ganz ernst gemeintem Unterton. Weil es noch beängstigender ist, sich die eigene Angst offen einzugestehen. Dabei ist es kaum noch zu leugnen: Auch wir Wohlstandskinder machen uns gerade gewaltig in die Zara-Buchse. Weil viele von uns sie das erste Mal hören – die irrationale Stimme von Angst und Unsicherheit. Immer dann, wenn sie leise in unser Ohr flüstert, Zweifel sät. Doch immerhin darin, so viel ist sicher, sind wir nicht allein – und das ist dann doch wieder irgendwie beruhigend.