Warum wir nicht immer lächeln müssen
Es ist schon wieder passiert. Selbst wenn die Phrase stinkealt ist, wird sie nur allzu gerne benutzt. Sogar in der Öffentlichkeit. Laut ausgesprochen, als würde daran überhaupt nichts Problematisches haften. Selbst in manchem Büro kann man die Aufforderung hin und wieder noch für alle gut hörbar vernehmen. Was ich meine? Na „Lächel’ doch mal!“
Genau diese drei komplett abgedroschenen Worte wurden meiner Freundin erst kürzlich in exakt dieser Reihenfolge an den Kopf geknallt. Sie war sogar ein bisschen überrascht davon. Zwar kannte sie die Formulierung, aber als sie so mittendrin im Mittwochsalltag war und gerade vom Kopierer zurück zu ihrem Bürostuhl lief, hatte sie nicht damit gerechnet. Ihr Chef sagte das einfach so im Vorbeigehen zu ihr. Er hätte auch „Wie geht’s?“ fragen können, da sie sich wohl an diesem Tag noch gar nicht weiter gesprochen hatten. Oder er hätte ihr selbst zulächeln können. Aber nein, er wollte nicht nichts sagen, er wollte scheinbar auch nichts fragen. Eine Aufforderung erschien ihm eine Top-Sache an dieser Stelle zu sein. Ob er sich der Aggressivität seiner Worte bewusst war? Der Unangebrachtheit? Dem erniedrigenden Gefühl, welches dadurch entstand? Der Altbackenheit?
Er hätte auch „Wie geht’s?“ fragen können, da sie sich wohl an diesem Tag noch gar nicht weiter gesprochen hatten.
Ich habe für meine Freundin, für ihren Chef und auch sonst eigentlich nur diese Antwort übrig: Wir müssen nicht immer lächeln. Wir müssen nicht mal manchmal lächeln. Wenn wir uns nicht danach fühlen, können die Mundwinkel unten bleiben. Und wenn wir gerade einfach nur vor uns hindenken, darf sich das Gesicht ruhig entspannen. Ein angestrengter Gesichtskasper ist gar nicht notwendig. Warum auch? Wer fühlt sich durch das eine Lächeln besser? Nur das Gegenüber. Das kriegt dann direkt ein gutes Gefühl. So ein Grinser ist nett anzusehen und sendet positive Vibes. Alles scheint im grünen Bereich zu sein, kein Grund nachzuhaken. Aber eigentlich ist es doch so: Selbst wenn man hier und da ein bisschen schmunzelt, bedeutet es nicht, das man die Zeit seines Lebens hat. Es kann sogar ein Lächeln aus einer Unsicherheit heraus sein und rein gar nichts mit der inneren Gefühlswelt zu tun haben. Oder der nette Gesichtsausdruck ist in der Tat nur dafür da, um ein harmonisches Miteinander zu gewährleisten.
Wer beständig Emotionen im Joballtag faken muss, der leistet laut der US-Soziologieprofessorin Arlie Hochschild „Emotional Labour“ – neben den eigentlichen Aufgaben also auch noch zusätzlich Gefühlsarbeit. Eine Extra-Belastung, für die man aber nicht mal extra bezahlt wird. Dazu kommt, dass sich dieses Vortäuschen bei einer großen Regelmäßigkeit in körperlichen Beschwerden niederschlagen kann. Das ist natürlich ein krasser Fall und so manch einer wird nun sagen: „Ein Lächeln schadet doch nicht!“ Aber ganz ehrlich? So etwas entgegen geschmettert zu bekommen, macht halt schlechte Laune. Meine Freundin ließ die Phrase ihres Bosses jedenfalls nicht mehr los. Es verunsicherte sie. Und sie zweifelte an ihrer Außenwirkung. War sie denn echt so griesgrämig?
„Ein Lächeln schadet doch nicht!“ Aber ganz ehrlich? So etwas entgegen geschmettert zu bekommen, macht halt schlechte Laune.
Wer nicht lächelt, erscheint nämlich auf den ersten Blick nicht obersympathisch. So kann man das zumindest oft hören. In einem Dialog kann ein Lächeln eine bestärkende Wirkung haben. Da weiß man, dass einer mitgeht, ja sich so richtig einfühlt. Und was ist mit einem Resting Face? Ich sage hier ganz absichtlich nicht Resting Bitch Face, weil hier eben genau wieder eine Wertung mit hineinspielt, die ich für toxisch halte. Denn entspannte Gesichtszüge haben nur dann eine negative Konnotation, wenn das Gegenüber sie als solche einschätzt und benennt. Dabei kann man ohne nach oben gezogene Mundwinkel in sich ruhen, etwas wahnsinnig toll finden oder einfach nur gut drauf sein. Keiner muss zwingend diese Signale durch ein Lächeln der Welt entgegen schreien. Und es ist so: Wenn ich unterwegs einen Podcast höre, der mich zum Grinsen bringt, dann werde ich im Bestfall immer noch von einer völlig fremden Person angesprochen, die meint mir so was wie „Das Lächeln steht dir aber gut!“ sagen zu müssen. Aber danke, nein. Ein Lächeln ist nicht zwingend eine Einladung zur Kontaktaufnahme. Das muss echt nicht sein.
Ich bin für mehr bewusstes Lächeln. So ein richtig aufrichtiges Freuen also. Aber dafür weniger für den gesellschaftlich so weit verbreiteten Automatismus, der vor allem dafür da ist, um Situationen aufzulockern und einen lediglich gut rüberkommen zu lassen. Das ist nun wirklich was komplett aus der Mode Gekommenes.
Hella Wittenberg