Ein Leben auf der Flucht für die eigene Identität – wie Rana in Berlin neue Hoffnung findet
„Hi, ich bin Rana, ich bin Transgender und komme aus dem Iran“. So stellt Rana sich vor, wenn sie jemanden kennenlernt, erzählt sie mir. Wir treffen uns, weil ich unbedingt ihre Geschichte hören möchte. Rana, die als Frau im Körper eines Mannes lebt, ist seit mehreren Jahren auf der Flucht. Sie möchte sich nicht mehr verstellen, möchte sie selbst sein – ohne deshalb um ihr Leben fürchten zu müssen. „Im Iran haben Transgender-Personen keinen Platz. Dort hast du eigentlich nur zwei Optionen: Entweder verlässt du den Iran oder du musst deine Identität zu 100 Prozent verstecken“.
Ein langer Weg
Schon in ihrer Kindheit war Rana klar, dass sie eine sehr ausgeprägte weibliche Seite hat. Mit acht Jahren wollte Reza nur noch Rana genannt werden. Ihre Familie wollte das nicht, denn in einer traditionell kurdischen Familie nimmt man die strenge Geschlechtertrennung von Mann und Frau sehr ernst. Frauen gelten meist als das zweite Geschlecht. Einen Mann als Frau anzusehen, steht außerhalb des Möglichen.
„In meiner Jugend wurde es immer schlimmer", sagt Rana. „Nach der Schule haben sich die Jungs vor den Mädchenschulen versammelt und wollten dort Freundinnen finden. Da wurde mir erst bewusst, dass ich anders bin.“ Vor allem die Vorgaben, wie Männer im Iran zu leben und auszusehen haben, gefielen ihr nicht. Rana durfte keine farbige Kleidung tragen und musste sich einen Schnurrbart wachsen lassen. „Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel sah, verabscheute ich mich“, erzählt Rana mir. Der Anblick ihres Bartes auf dem Abschlussfoto der Highschool störte so sehr, dass sie allen Mut zusammenfasste und ihn abrasierte. Ihre Familie hasste sie dafür.
Der Iran, eine Heimat, die keine ist
Wir sprechen eine Weile über ihre Familie im Iran, von ihren Flashbacks zurück in die Zeit ihrer Kindheit und Jugend und dass sie eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht hat. Sie schwelgt in Erinnerungen und erzählt mir dann, dass sie gezwungen war, zu fliehen. „Ich war unterwegs auf einem Kurztrip und hatte mein Tagebuch zu Hause gelassen. Sie haben es gelesen.“ Als Rana wieder nach Hause kommt, attackiert ihr eigener Vater sie mit einem Messer. „Er wollte mir den Kopf abschneiden, er wollte mich umbringen“, erzählt sie mir aufgebracht. Eine Woche lang befand sie sich danach im Koma und konnte ihren Vater deshalb nicht einmal anzeigen: „Im Iran werden Väter nicht bestraft, wenn sie ihre Kinder umbringen“. Ich bin sprachlos.
„Außerdem gibt es ein Gesetz für die Hinrichtung von Homosexuellen“, erklärt sie mir mit starrem Blick. Überall wird man als Homosexuelle*r verfolgt und verletzt, aber niemand wird dafür bestraft. „Mir blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen, obwohl ich damals keinen Pass besaß.“ Im Iran erhält man erst einen Pass, wenn man volljährig ist und den Wehrdienst ableisten muss. Ohne Ausweis ist es nicht möglich, das Land zu verlassen. Rana hat den Wehrdienst nicht absolviert und musste versuchen, auf illegale Weise zu fliehen. Sie nahm zwei Anläufe, erfolglos.
Rana verfiel in immer tiefere Depressionen. Kurz bevor ihre Depressionen sie komplett einnahmen, spielte ihr das Schicksal in die Karten. Ein altes iranisches Gesetz, das es früher schon einmal gab, wurde wieder eingeführt: Lehrer mit fünfjähriger Berufserfahrung erhalten einen Pass. „Als mir der Bote den Pass gab, umarmte ich ihn und bin in Freudentränen ausgebrochen. Das war meine Rettung“, sagt sie mit noch immer glasigen, aber freudigen Augen.
Der erste Neustart in der Türkei
Einen Tag später saß Rana im Flieger in die Türkei. Ihr wurde gesagt, dass sie in der Türkei eine bessere Chance habe, was sich jedoch als Lüge herausstellte. Man merkt, dass sie einerseits dankbar ist für die Zeit und für einige Begegnungen, die sie dort hatte, doch auch hier fühlte sie sich permanent unterdrückt. Ihr wurde klar, dass auch die Türkei kein Ort ist, an dem sie glücklich werden kann. „Einmal wurde ich mitten in der Nacht rausgeworfen und als Teufel beschimpft, weil sie herausgefunden haben, dass ich Transgender bin“, sagt sie ungläubig. Sie schweigt kurz, aber spricht ihren Gedanken dann laut aus: „LGBTQ-Menschen werden als LGBTQ geboren. Danach hängt es von der Familie, in die du hineingeboren wirst, ab, welche Chancen du im Leben hast“.
Der zweite Neuanfang, dieses Mal in Deutschland
Rana und ich sitzen in einer kleinen, gemütlichen Bar. „Mein Leben ist ein bisschen wie dieser Ort – dunkel, aber mit vielen kleinen Lichtern“. So wie sie von Berlin erzählt, ist Deutschland eines dieser kleinen Lichter für sie. Warum sie ausgerechnte nach Berlin kam?! Eine damalige Bekanntschaft aus dem Iran war der Schlüssel: „Ich war mit einem deutschen Typen, Stefan heißt er, auf Facebook befreundet. Ich habe ihm geschrieben und ihn gefragt, wo ich am besten hingehen kann“, sagt sie. „Als er meinte, dass es ein LGBTQ-Camp in Berlin gibt, hatte ich mein Ziel klar vor Augen“. Seitdem Rana in Berlin angekommen ist, lernt sie täglich Deutsch und arbeitet auf freiwilliger Basis. „Alle akzeptieren meine Identität und manchmal trage ich sogar Make-up und Frauenkleidung“, erzählt sie stolz. „Es gibt so viele Chancen auf Gleichberechtigung hier."
In dem Heim für Geflüchtete, wo Rana zur Zeit wohnt, kann sie ihr Zimmer nur begrenzt selbst gestalten. Nur die Wände darf sie mit Fotos oder Plakaten bekleben. Rana hat sich für eine Deutschlandflagge direkt vor ihrem Bett entschieden: „Wenn ich aufwache und mich frage, wo ich bin, habe ich direkt die Antwort und kann mich beruhigen“. Beruhigen von den Albträumen, von denen sie nachts oft gequält wird. Dann sagt sie sich immer wieder selbst „Rana, du bist in Deutschland, du bist sicher“. Ranas größter Wunsch: Irgendwann als Frau die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen zu können und sich dann voll und ganz wie zu Hause zu fühlen. Irgendwann.
Svenja Stamme