Warum beenden wir Freundschaften nicht ordentlich?

© Joshua Sazon | Unsplash

Sie schrieb mir nicht zurück und löschte mich aus sämtlichen Freund*innenlisten. Vor allem aber löschte sie mich aus ihrem Leben. Inzwischen wohnt sie um die Ecke und ich frage mich manchmal, was wohl wäre, wenn wir uns begegneten? Die Rede ist von einer Person, die lange Jahre meine beste Freundin war. Heute ist sie nur noch ein Gedanke. Einen offiziellen Abschluss gab es nie.

Das Ende, das keines ist

Verflossene Partner*innen kann man ghosten oder nochmal auf einer Party treffen, sie verfluchen, online stalken oder konsequent ihre Wohngegend meiden. Das Verzeichnis der gescheiterten Konversationen ist lang, die Liste definitiv das Ende bedingender Verhaltensweisen noch länger. Wir besprechen mit Freun*innen, wieso jemand, der unserem Bett und unserem Leben so nah war, nun nicht mehr da ist; und warum das besser so ist. Einfach weiter tindern, weiter feiern, weiter machen und den Herzschmerz allmählich überwinden.

Freundschaften enden anders. Und schlimmstenfalls enden sie gar nicht, jedenfalls nicht offiziell und es oft bleibt nur ein schales Gefühl zurück, ein Geschmack im Mund; ein Haufen Fotos in einer Kiste, die man nicht wegschmeißen kann.

Das Nichtausgesprochene

Das Problem: Freundschaften enden meist still und leise. Nachzuvollziehen an Chats, die nie wieder auflebten, an Treffen, die reihenweise abgesagt wurden. Oft ist es gar nicht so tragisch. Denkst du. Es hat sich eben verlaufen, weil die Leben sich so unterschiedlich entwickelten. Weil jemand weggezogen ist. Weil interessantere, passendere Gefährten deinen Weg kreuzten. Einander gesagt haben wir diese Wahrheiten nie, und das, obwohl wir uns irgendwann mal alles erzählt haben. Ich kann mit dir nicht Schluss machen! Denn drastisch genug für diesen Schnitt war dieses Abebben schließlich auch nicht. Aber: Wären wir einen richtigen Abschied – oder wenigstens die Wahrheit – nicht wert gewesen?

Die hat nur angerufen, weil sie was von mir will.

"Da war’s bei mir, echt vorbei". Carla ist betreten, als sie von ihrer langjährigsten Freundin spricht. "Als ich sie wirklich brauchte, hatte sie nur Party im Kopf, und jetzt meldet sie sich, damit ich einen Vertrag gegenlese?!". Mit ihr darüber sprechen, schlage ich vor. Den Kontakt abbrechen, schlägt Carla vor. Wir sind beide etwas desillusioniert, denn Freundinnen wie diese fallen fast in die Kategorie Verwandtschaft. Und die suche man sich ja schließlich auch nicht aus. "Im Prinzip hast du Recht, müsste man mal ansprechen. Aber ihr geht es nicht gut, deshalb will ich kein Fass aufmachen. Und überhaupt. Ich wart’s einfach ab. Schadet mir ja nicht". Ich sage Carla noch, dass es ihr doch aber weh täte. Sie zuckt mit den Schultern und wir wechseln das Thema. Sie schont eine Beziehung, die sie in ihrem Kopf schon fast abgebrochen hat. Ich denke an meine Kolumne und freue mich.

Du liegst hier noch auf Halde

Warum beenden wir Freundschaften nicht ordentlich? Wahrscheinlich ist es die Angst, jemanden doch ein für alle Mal zu verlieren. Doch: Ist es fair, jemanden einfach sukzessive links liegen zu lassen – wie ein Buch, das man anfing, aber dann nicht weiterlesen wollte? Und warum haben wir nicht gelernt, Menschen, die mal unsere Freund*innen waren, anständig aus unserem Leben zu entlassen?

Liebesbeziehungen werden lang und breit besprochen, in all ihren Etappen. Die erotische Liebe ist Stoff großer Träume und Erzählungen – und ihr Ende gleich mit. Unsere Freundschaften wirken dagegen recht nebensächlich, schlicht, fast selbstverständlich. Ja, sicherlich streitet man mal, doch dann sagt man: Schwamm drüber und teilt sich eine Pulle Sekt als wäre nichts gewesen. Wir haben uns doch lieb. Das Ende einer Liebesbeziehung wirkt groß und einschneidend und verändert die kleine Welt, in der man mit seinen Freund*innen lebt. Das Ende einer Freundschaft hingegen kennt keinen Rahmen und wir haben nie gelernt, proaktiv zu benennen, dass Freundschaften zu Ende sind.

Leben ohne Abschluss

Freundschaften zu pflegen bedeutet auch, sich ihrem Wandel zu stellen und ihn selbst zu gestalten. Das erfordert Mut. Mut, den man schließlich auch schon aufgebracht hat, als man das erste Mal eine intime Frage gestellt oder nachts um zwei unter Tränen auf der Matte stand. Mut, den es bedeutete, mitzuteilen, das man Scheiße gebaut hat oder keine Kohle mehr hat. Denn das Leben ohne Abschluss ist belastend. Wie viele Freund*innen fallen dir ein, die sich nach und nach, ohne ein Wort, verabschiedet haben? Was würdest du ihnen gerne sagen? Was wäre ein angemessenes letztes Treffen gewesen? Anstatt mit neuen Freund*innen über die alten zu philosophieren und sich nach ihnen zu erkundigen, horche mal in dich selbst hinein. Denn da warten die Antworten, die du dir von diesem Text versprochen hast.

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