Ganz nah dran, aber nur fast dabei – Durch Insta Stories verlieren wir den Bezug zum richtigen Leben

© Anna Karetnikova

von Jana Trietsch

Es ist Zeit für eine Pause von Instagram Stories. Für diesen Entschluss habe ich etwa 30 Minuten intensiv nachgedacht – und direkt im Anschluss mindestens genauso lange überlegt, wie ich meine künftige Abstinenz auf unaufdringliche, informative und lustige Art und Weise online ankündigen kann: Selfie mit Link zum Coldplay-Song „See you soon“? Oder doch lieber Sommer-GIFS mit dem Hinweis, dass ich in den Social-Media-Urlaub fahre? Dieser Text soll aber gar nicht von (m)einem genialen letzten Story-Post handeln, sondern davon wie Instagram-Stories während der letzten Monate meine Smartphone-Nutzung und sogar meine Kommunikation verändert haben.

Anfang August 2018 sind die Insta Stories zwei Jahre alt geworden. Ich persönlich habe mich zum ersten Mal so richtig im Frühjahr 2017 mit dem Feature auseinandergesetzt. Bei einem Praktikum in einer Berliner PR-Agentur gehörte es zu meinem Job, Screenshots von Markenkollaborationen diverser Influencer zu machen. Damals fragte sich die PR-Welt, wie man damit umgehen sollte, dass die Caros und Lenas von nun an vor allem sich selbst löschende Videos produzierten. Für mich waren Instagram Stories Arbeit. In meinem privaten Umfeld nutzte kaum jemand die Funktion – und die, die es taten, fand man irgendwie selbstbezogen.

Ein Jahr später sitze ich auf einer Geburtstagsfeier neben einer Freundin und erkläre ihr, wie man mit dem Pipetten-Tool die Farbe aus der Blüte eines Wildblumenstraußes zieht, um den Text im gleichen Ton auf das Bild zu setzen. Von weltweit über einer Milliarde Nutzern (Stand Juni 2018) produzieren davon heute täglich 400 Millionen Insta Stories. Auch der Großteil meines sozialen Umfelds öffnet so ein digitales Schaufenster zum eigenen Leben.

Hinter vielen Wohlfühlbildern stecken gestresste Absender

So weit, so harmlos. In der letzten Zeit allerdings scheint die Menge an produziertem Story-Content sowohl bei mir, als auch bei meinen Freunden außer Kontrolle geraten zu sein. Das zeigt auch die allgemeine Statistik: Demnach soll sich die Zahl der täglich produzierten Videos innerhalb der letzten zwölf Monate vervierfacht haben. Hinter vielen Wohlfühlbildern stecken dementsprechend gestresste Absender.

Die Hälfte der Geburtstagsgäste denkt im Jahr 2018 schon darüber nach, aus welchem Winkel das Konfetti-GIF nun um die Torte fliegen soll, während das Geburtstagskind noch die letzte Kerze auspustet.

Die Stories-Funktion hat das Leben von Instagrammern verändert. Ursprünglich wurde die App 2010 so entwickelt, dass Fotos mit einem optischen Filter versehen und dann sofort, eben instantly, gepostet werden können. Über die Jahre hinweg etablierten sich aber so viele #throwbacks, wie es Wochentage gibt. Es wurde schnell relativ egal, ob man das Foto eines Geburtstagsbrunchs nun unmittelbar postete, oder erst wenn die Gäste weg waren und man sich vorm Abspülen drückte.

Die Stories machen Zeit wieder zu einem entscheidenden Faktor, denn das unmittelbare Uploaden von Inhalten gehört hier zum Konzept. Und so denkt die Hälfte der Geburtstagsgäste im Jahr 2018 schon darüber nach, aus welchem Winkel das Konfetti-GIF nun um die Torte fliegen soll, während das Geburtstagskind noch die letzte Kerze auspustet.

Was, wenn wir Erzählungen nur noch aus Insta Stories kennen?

Insta Stories haben nicht nur verändert, wann und wieviel wir posten. Kürzlich habe ich bemerkt, wie sie auch meine Kommunikation verändern. Ich habe 398 Follower. Etwa 80 Prozent davon sind Freunde und Bekannte, die zu großen Teilen in anderen Städten wohnen als ich. Durch die Stories kann ich an ihrem Leben teilhaben und sie an meinem. Ich mag es, über Bilder und Videos direkt zu erfahren, dass Johnny auf seiner Interrail-Tour jetzt in Italien angekommen ist, dass Ricardo mit Anfang 30 endlich seine feste Zahnspange losgeworden ist und dass Anna heute vor der Charité für bessere Therapeutengehälter demonstriert hat.

So habe ich das Gefühl, ganz nah dran und fast dabei zu sein – und das ist auch ein Problem. Denn dadurch vergesse ich in letzter Zeit öfters, nach den Stories hinter den Stories zu fragen. Und so erfahre ich nicht, dass Johnny beinahe eine Klippe runtergefallen wäre, beim Versuch die perfekte Slomo-Aufnahme von am Fels zerschellenden Wellen zu machen. Ich habe auch keine Ahnung, ob sich das Sprechen für Ricardo jetzt ganz anders anfühlt und wie groß Annas Zukunftsängste tatsächlich sind. Ich kenne Diashow-Abende nur noch aus Erzählungen. Was, wenn die Generation nach mir Erzählungen nur noch aus InstaStories kennt?

So habe ich das Gefühl, ganz nah dran und fast dabei zu sein – und das ist auch ein Problem. Denn dadurch vergesse ich in letzter Zeit öfters, nach den Stories hinter den Stories zu fragen.

Posting-Pause

Versteht mich nicht falsch: Ich finde Stories toll. Sie haben mir viele Essenstipps, Urlaubsideen, Flirts und Einblicke in die Leben von Menschen beschert, die ich schon längst vergessen hatte. Aber das Anschauen all dieser kleinen Filmchen frisst unheimlich viel Zeit, während derer man für sein direktes Umfeld weniger präsent ist. Ich bin nicht konsequent genug, um die App von meinem Handy zu löschen. Trotzdem glaube ich, dass es mir gut tun würde, eine kleine (!) Posting-Pause einzulegen.

Die dadurch gewonnene Zeit werde ich jetzt dafür nutzen, dem Geburtstagskind beim Auspusten der Kerze in die Augen zu schauen und mit zwei smartphonefreien Händen zu applaudieren. Ich werde meinen Freunden keine Smileys, Kommis, oder GIFs schicken. Stattdessen werde ich sie anrufen und Erzählungen hören, die voller Emotionen, voll Höhen und Tiefen stecken und die vor allem länger dauern, als 15 Sekunden.

Zur Ankündigung meiner Insta-Stories-Pause ist mir übrigens etwas gewieftes eingefallen: Ich werde einen Hinweis auf diesen Text in meiner Story posten und mich dabei total meta fühlen.

Die gewonnene Zeit werde ich jetzt dafür nutzen, dem Geburtstagskind beim Auspusten der Kerze in die Augen zu schauen und mit zwei smartphonefreien Händen zu applaudieren.
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