Freelancerin in Berlin: Wie ich gelernt habe, öfter Nein zu sagen

© Christin Hume | unsplash

von Lena Lammers

„Lena wants it all“, alberte eine meiner Freundinnen mal herum. Stimmt, dachte ich, und erinnerte mich an die anstrengenden Wochen in meinem ersten Jahr als selbständige Social-Media-Managerin und Journalistin und gleichzeitig an meine privaten Pläne, die dabei etwas zu kurz gekommen sind.

Ich wollte weniger arbeiten, dafür mehr reisen, auch mal einen Tag in der Mitte der Woche frei machen, wenn ich es mir leisten kann. Ist es nicht das, was das Freelancer-Leben so attraktiv macht? Dann kam Corona und alles wurde anders. Aber um die Pandemie geht es hier und heute gar nicht, sondern die Selbstständigkeit an sich. Das Vorhaben, das eine Herausforderung für mich war.

Nur ungern will ich etwas absagen, weil das könnte ja DIE Chance sein, ich könnte ja etwas verpassen und es im Nachhinein bereuen.

Ich will Vieles, habe zahlreiche Ideen und würde am liebsten alle von jetzt auf gleich in die Tat umsetzen. Und damit befinde ich mich auf einem ständigen Balanceakt zwischen meinen spannenden bezahlten Jobs im redaktionellen Bereich und meinem Herzensprojekt: meinen Social-Media-Kanälen zum Thema "Bullet Journaling", die ständig nach neuem Input verlangen, allerdings bisher noch nicht die nötigen Pennys in den Geldbeutel spielen. Kurz gesagt: Meine To-Do-Liste wird nicht kürzer, sondern ist ständig auf Trab – und das trotz meines Händchens für Organisation und in meinen Augen recht großer Selbstdisziplin.

Als Selbständige ist das ja per se nichts Schlechtes. Ich freue mich über Anfragen, über neue Jobs und Möglichkeiten. Nur ungern will ich etwas absagen, weil das könnte ja DIE Chance sein, ich könnte ja etwas verpassen und es im Nachhinein bereuen. Also packte ich das ganze vergangene Jahr fleißig weiter Aufgaben auf die Agenda – und hätte mich in den letzten Tage fast schon wieder in diesem Netz verfangen.

Drei Fragen an mich selbst

Weil ich mich selbst zu gut kenne und weiß, dass ich konkrete Ziele brauche, habe ich mir drei Fragen gestellt, die mir den Job-Projekte-Balanceakt in Zukunft hoffentlich erleichtern:

1. Welche Kapazitäten habe ich und welche will ich haben?

Das ist die Frage aller Fragen: Wie viele Stunden will ich überhaupt pro Woche arbeiten – 25, 35, 45? Erst wenn das klar ist, können die verfügbaren Stunden auf Jobs und Projekte verteilt werden. So kann ich nicht nur die persönliche „Wohlfühl-Grenze“ besser einhalten, sondern auch den Kunden bei Überschreitung der eigenen Kapazitäten eine frühe und ehrliche Absage erteilen.

2. Welches Stundenbudget kann ich realistisch für die einzelnen Jobs aufbringen?

Bei dieser Frage liegt der Fokus ganz besonders auf: realistisch. Schließlich bringt es weder einem selbst noch den Kunden etwas, wenn man ihnen mehr Stunden zusagt als man tatsächlich leisten kann. Dies endet lediglich in falschen Erwartungen, die man nicht erfüllen kann. Daher gilt: auf die eigene Vernunftstimme hören und von Anfang an realistisch sein.

3. Welche Projekte bzw. Jobs sind mir so wichtig, dass ich sie mehr aus Spaß mache als aus finanzieller Motivation?

Manche Jobs bringen Geld und Spaß, manche wiederum nur das Zweite – das wird immer so sein. Aufgeben will man sie trotzdem nicht, weil das eigene Herz dran hängt, man besonders in der Arbeit aufgeht, die Freiheit und Flexibilität im Job zu schätzen weiß oder sich vielleicht mit seinen Kollegen besonders gut versteht. Daher gilt auch hier: Die Mischung macht's. Zu Anfang sollte man sich also überlegen, wie viel Geld man im Monat braucht oder gerne zur Verfügung hätte und wie viele Stunden man dafür erbringen muss. Alles darüber hinaus kann für Jobs reserviert werden, die mehr ein Spaßprojekt sind als ein finanzielles Standbein.

Ich finde, das sagen wir alle viel zu wenig Nein sagen. Was soll schon schiefgehen? Was soll passieren, wenn wir mal einen Job abgeben, absagen oder kündigen, weil weder wir selbst noch unsere Kunden mit den Ergebnissen zufrieden wären? Was gibt es denn überhaupt Besseres als zu wissen, in welchen Jobs man besonders aufgeht, was einem gut tut und was eher nicht?

Ich habe angefangen, den Druck, den ich mir gerne selber mache, abzubauen. Wer braucht den schon?

Ich jedenfalls habe mir diese drei Fragen zum Anlass genommen, meine derzeitige Arbeitssituation neu zu strukturieren. Ich habe mir ein eigenes Studio außerhalb meiner vier Wände gesucht, weil keine Vorsätze oder Stundenbudgets etwas bringen, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt. Ich habe mir einen ungefähren Stundenrahmen für meine freien Aufträge und meine Bullet-Journal-Kanäle gesetzt, so dass weder das eine noch das andere zu kurz kommt. Ich habe angefangen, mich nach neuen, tollen Jobmöglichkeiten umzuschauen und den Druck, den ich mir bei allem Ehrgeiz und aller Zielstrebigkeit schon mal gerne selber mache, abzubauen. Wer braucht den schon?

Here I am, voller Vorfreude darauf, mich auf die kommenden Jobs und Projekte zu stürzen. Doch hoffentlich hake ich dieses Jahr noch den größten und wichtigsten Punkt auf meiner To-Do-Liste ab: Urlaub. Hoffentlich bald!

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