Finger weg von unserem ICC-Tunnel!

© Clint Lukas

Ich fühle mich wie JLaw und ihre Buddies beim Endspurt in Mockingjay – Part Deux. Das Kapitol liegt unmittelbar vor uns, wir müssen nur noch an diesen tückischen Säulen und den Deckenlampen mit ihrem todbringenden Licht vorbei. Dann nähern sich hinter mir zwei ratternde Rollkoffer und holen mich zurück in die Realität.

„Sorry, wo geht’s denn hier zur S-Bahn?“, fragt mich einer der beiden Touris. Er wirkt dabei leicht verschämt, so als wüsste er selbst, wie blöd seine Frage ist. Freundlich erkläre ich ihm den Weg. Überlege kurz, ob ich ihm sagen soll, dass er der siebzehnte Mensch seit meiner Ankunft hier ist, der sich nicht auskennt. Und dass seine Frage nicht blöd ist. Aber da sind die beiden schon weiter gezogen.

Schandfleck oder Hollywood-Traum?

Der Fußgänger-Tunnel zwischen S-Bahnring, ICC und dem Busbahnhof ist seit Jahren der prominenteste Drehort Berlins. Matt Damon war dort als Jason Bourne, Saoirse Ronan ließ sich in Wer ist Hanna? ebenso durch den Säulenwald jagen wie die indische Gottheit Shah Rukh Khan. Nun soll der Tunnel dicht gemacht werden.

© Clint Lukas

Als „Angstraum“ und „Schandfleck“ wird er von Bezirkspolitikern bezeichnet. Sein Unterhalt kostet pro Jahr an die 300.000 Euro. Trotzdem sind Rolltreppen und Fahrstühle ständig kaputt, ist das Areal verdreckt und, Hilfe, von Obdachlosen bewohnt. Angeblich wird der Tunnel deshalb von Fußgängern gemieden. Ihre Angst ist so groß, dass sie lieber die Kreuzung überqueren und sich dabei auf der sechsspurigen Straße plattfahren lassen.

Angeblich wird der Tunnel von Fußgängern gemieden. Ihre Angst ist so groß, dass sie lieber die Kreuzung überqueren und sich dabei auf der sechsspurigen Straße plattfahren lassen.

Ein Tunnel wie ein stillgelegter Bergstollen

Es stimmt schon, als ich mich dem Tunnel von der S-Bahn her nähere, wirkt es, als stünde ich vor einem stillgelegten Bergstollen. Kalte Luft bläst mir aus seinen Innereien entgegen und sie riecht nach Urin. Die Rolltreppen sind nicht einfach nur kommentarlos defekt wie an den anderen Bahnhöfen Berlins. Nein, hier wurden sie mit Gittern und Sperrholz-Platten verbarrikadiert. Klare Ansage.

© Clint Lukas

Aus dem Tageslicht steige ich hinab und finde mich zwischen den markanten Säulen wieder. Pisslachen, wo man hinschaut. An drei Wänden die dürftigen Lager der Schlafgäste. Während ich meine erste Runde drehe, werde ich mehrmals von Passanten nach dem Weg gefragt. Von den insgesamt zehn Rolltreppen funktionieren zwei (nach unten führende). Die Fahrstühle sind alle kaputt. Absurd sich ihnen zu nähern.

„Entschuldigung, wie komm ich denn von hier aus zum ZOB?“

„Muss ich zur Masurenallee hier raus oder da hinten?“

Es ist schon irgendwie lustig. Wenn ich normalerweise mit Kamera und Notizbuch unterwegs bin, also offensichtlich zu dieser Lügenpresse gehöre, reagieren die Leute oft geringschätzig. Aber nicht hier. Noch nie hab ich erlebt, dass sich Gesichter so oft aufhellen, weil ihre Besitzer über meine Anwesenheit erfreut sind.

Kaputte Rolltreppen, Pisslachen und Desorientierung

Und das liegt bestimmt nicht daran, dass sie Angst haben. Ein lächerlicher Gedanke. Immerhin ist das eine Großstadt, noch dazu Berlin. Da erwartet man doch versiffte Grauzonen. Es ist vielmehr so: Egal, wie oft und an welchen Aufgängen ich vorbei komme, stehen dort ratlose Menschengruppen. Denn nirgendwo hängt ein Hinweisschild.

© Clint Lukas

Eine Frau kommt insgesamt viermal an mir vorbei. Schließlich erbarme ich mich und gehe mit ihr bis zur S-Bahn. Mein Rücken tut inzwischen weh, weil ich so viele Rollkoffer und Kinderwägen die Treppe hoch tragen muss. An den Geruch hab ich mich längst gewöhnt. Dass es stinkt, merke ich nur noch daran, wie Neuankömmlinge sich empört die Nase zuhalten.

Ich geb ja zu, dass es hier nachts unheimlich sein kann, wenn man allein unterwegs ist. Aber das ist es in etlichen U-Bahnhöfen und anderen Unterführungen auch.

Und das ist nun der Ort, an dem Charlize Theron sich mit Doppelagenten geprügelt hat? Wo Captain America den Black Panther jagt? Schon irgendwie schäbig. Aber deswegen dicht machen? Ich geb ja zu, dass es hier nachts unheimlich sein kann, wenn man allein unterwegs ist. Aber das ist es in etlichen U-Bahnhöfen und anderen Unterführungen auch.

© Clint Lukas

Der ICC-Tunnel wird nicht wenig genutzt. Die Leute sind nur gestresst, weil es müffelt und sie ihr Sperrgepäck die Treppen hoch schleppen müssen. Und das meistens mehrmals, weil sie mangels Beschilderung die falschen Aufgänge wählen. Aber das sind doch alles Dinge, die man beheben kann. Dann muss die Stadt für den Betrieb halt noch mehr Geld in die Hand nehmen. Eine zweifelhafte, neugeschaffene Alternative wird schließlich auch nicht umsonst sein.

Und wenn es denn wirklich nicht mehr zeitgemäß ist, Fußgängerwege aus dem Straßenland zu entfernen, kann man den Tunnel doch anderweitig verwenden. Zum Beispiel als Club. Das wäre doch mal mondän. Oder wenigstens weiterhin als Filmkulisse. Den Status als Berliner Wahrzeichen hat das Ding ja bereits. Aber was weiß ich schon.

Der ICC-Tunnel wird nicht wenig genutzt. Die Leute sind nur gestresst, weil es müffelt und sie ihr Sperrgepäck die Treppen hoch schleppen müssen.
Buch, Mit Vergnügen, Berlin für alle Lebenslagen
Zurück zur Startseite