Der japanische Naturtrend "Waldbaden" hat es nach Berlin geschafft

© Milena Magerl
Dir wächst alles über den Kopf und du siehst vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr? Auf zum Waldbaden!

Yoga, Meditation und Coaching haben in den letzten Jahren einen regelrechten Hype erfahren. Als Gegenstück zur rastlosen Gesellschaft, der ständigen Erreichbarkeit und einem enormen Leistungsdruck sind wir vermehrt auf der Suche nach Entschleunigung (auch wenn dieses Wort durch seinen häufigen Gebrauch fast schon so leer klingt wie Achtsamkeit). Aktuell kursiert ein neuer Trend durch die Medien. Die japanische Medizin Shinrin Yoku, kurz Wald(luft)baden, hat es nun auch bis nach Berlin geschafft.

Zurück zu den Wurzeln

Mitten im Düppeler Forst bei Berlin treffe ich die Bademeisterin des Waldes. Das ist erstmal verwunderlich, denn Lia Braun geht gar nicht in einem Waldbach oder im nahegelegenen Wannsee baden. Stattdessen taucht sie tief in die Atmosphäre des Waldes ein. Die studierte Psychologin arbeitet als zertifizierte Forest Therapy Guide und praktiziert den japanischen Trend Shinrin Yoku, oder kurz Wald(luft)baden. Aber was bedeutet das? Springt sie ins Laub oder "badet" im Moos? Ich hab' mich zu einem Einführungskurs im Waldbaden angemeldet, um zu erfahren, was hinter dem aktuellen Hype steckt.

Raus aus der Stadt, rein in die Natur. Ich fahre mit der S-Bahn bis zum Wannsee, nehme den Bus und bitte den Fahrer mich an der Station mitten im Wald rauszulassen (hier braust er nämlich meistens einfach vorbei). Am Straßenrand steht schon eine kleine Gruppe, alle gut ausgestattet mit bequemen Schuhen, denn es soll ja bekanntlich tief in den Wald gehen. Es wird sich ausgelassen begrüßt, ein paar waren schon mehrmals dabei, sind sozusagen richtige Waldbade-Experten. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg durch das Dickicht. Wir lassen die ausgetretenen Spazierpfade hinter uns und stapfen durch das Unterholz.

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Am Ziel angekommen (um uns herum viel Grün, Astwerk, Moose und Bäume) legen wir unsere Sachen ab. Die Luft ist angenehm frisch und die Sonne schimmert durch die Baumwipfel. Ein wirklich schönes Setting, ich fühle mich direkt wohl, mal schauen, was jetzt kommt. Wir tauschen uns in Zweiergruppen aus, ob es denn einen besonderen Wald, einen Garten oder, für alle Stadtkinder, vielleicht einen Park oder eine Topfpflanze gibt, mit der wir eine besondere Erinnerung verbinden? Ein schönes Ritual, um heute im Wald anzukommen, denn jeder von uns hat wohl einen grünen Ort, an den er oder sie sich gerne erinnert.

In Japan zählt Waldbaden längst zur allgemeinen Gesundheitsvorsorge.

Shinrin Yoku kommt ursprünglich aus Japan und bezeichnet die Medizin des Waldes. Es ist eine Einladung, in den Wald zu gehen, die Stille auf sich wirken zu lassen und die Unaufgeregtheit der Natur zu genießen. Bereits 1982 startete die japanische Forstbehörde eine Initiative, um das erhöhte Stressaufkommen der Bevölkerung zu senken und einen gesunden Lebensstil zu fördern. Es folgten eine Vielzahl medizinischer Studien und japanische Wissenschaftler bestätigten schnell, dass intensive Aufenthalte im Wald das Stresssystem des Menschen beruhigen, unser Immunsystem stärken und unsere kognitiven Fähigkeiten verbessern. In Japan zählt Waldbaden längst zur allgemeinen Gesundheitsvorsorge.

Weit weg von Alltagsstress, Stadtlärm und Luftverschmutzung

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Lia lädt uns zu "Pleasure of Presence", einer geführten Meditation, ein. Wir haben Zeit, den Wald mit den Augen zu erkunden, mit den Händen zu spüren, den Duft, der uns umgibt, zu riechen und den Vogelgesang und das Rascheln der Blätter zu hören. Eine einfache Übung, die mich aber sofort mit meiner Umgebung verbindet. Als sie zur nächsten Aufgabe übergehen will, reagiert erstmal keiner, wir sind schon alle tiefenentspannt.

Gemeinsam machen wir verschiedene Übungen, um unsere Aufmerksamkeit und unser Bewusstsein zu schulen. Wir wandern achtsam durch den Wald, und zwar in slow motion. Schritt für Schritt merke ich, wie ich auch mental einen Gang zurückschalte. Ich habe tatsächlich das Gefühl, zu entschleunigen (oho!) und mir in meinem Handeln bewusster zu werden.

Abstand zu den Herausforderungen des Alltags zu gewinnen ist für viele Menschen gar nicht so einfach.
Lia Braun
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Weil unser Geist schnell nervös wird, wenn wir die Bewegungen unseres Körpers verlangsamen, sollen wir auf Bewegungen in der Natur achten. Schnell merke ich, wie viel Leben um mich herum herrscht, über mir zwitschern die Vögel und am Boden wuseln Ameisen umher. Während mein Kopf abschalten kann, fühlt sich mein Körper plötzlich richtig energetisch an. Ich könnte Bäume ausreißen!

"Es ist toll, immer wieder mitzuerleben, wie die Menschen mehr und mehr in die Natur eintauchen und bei sich selbst ankommen", erzählt Lia. Der Fokus des Waldbadens liegt auf der Förderung des Wohlbefindens und der Gesundheit. Ich genieße es einfach nur, da zu sein, ohne jegliche Anstrengung. Die einzelnen Sequenzen machen es mir leicht, die Kontrolle zu reduzieren und mich dem Moment hinzugeben. "Durch den kontinuierlichen Wandel der Natur ist uns der Prozess der Veränderung allzeit präsent. Das regt auch den eigenen Körper an und bringt Ideen in Schwung", sagt Lia.

Japanische Wissenschaftler bestätigen, dass intensive Aufenthalte im Wald das Stresssystem des Menschen beruhigen, unser Immunsystem stärken und unsere kognitiven Fähigkeiten verbessern.
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Nachdem sich die wachsende Aufmerksamkeit in Sachen Waldbaden in den letzten Jahren auf Asien und die USA beschränkte, hat der Hype in diesem Jahr auch in Deutschland an Fahrt aufgenommen. "Ein paar hundert Menschen haben mich mittlerweile begleitet und der Andrang wird stetig größer", sagt Lia.

Mein Fazit

Nach dem Waldbaden nehme ich meine Umwelt viel aufmerksamer wahr. In Zeiten, in denen Stress eine Begleiterscheinung der modernen Zivilisation geworden ist, bietet Waldbaden meiner Meinung nach einen tollen Erfahrungsraum zum Abschalten und Entspannen. Für alle, die als Kind viel in der Natur unterwegs waren, ist es ein Wachrufen von nostalgischen Erinnerungen und spielerischer Lebendigkeit. Die Verbundenheit zur Natur steckt eben in unserer Software. Selbst wenn sie bislang nicht Teil der eigenen Biographie war, ist sie doch Teil unserer Evolution.

Lust auf Waldbaden? Hier kannst Du dich anmelden.

Der Einführungskurs dauert drei Stunden und kostet 15/20 Euro.

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