Berliner Originale: Unterwegs mit Axel One in Köpenick
Ich bin kein Berliner. Aber ich liebe Berlin. Klar, die allgemeine Unhöflichkeit stört manchmal. Vor allem, wenn sie mir als „Berliner Schnauze“ verkauft wird. Dass Kellner lieber auf ihrem Smartphone rumtippen, statt sich mal nach durstiger Kundschaft umzuschauen, kann einem nur hier passieren. Andererseits geht mir die süße Höflichkeit Münchens auch krass auf den Sack. Dann lieber ruppig. Und mal ehrlich: Könnt ihr euch einen netten Busfahrer vorstellen? Das wäre doch irgendwie creepy, oder?
Bis heute hab ich gedacht, Köpenick wäre eine Erfindung von Romano. Ein poetisches Zauberreich, wohin die eigenen Sehnsüchte fliehen können. So wie Zion, oder Arkadia. Umso erstaunter bin ich, als die S3 durch die Wuhlheide fährt und ich danach tatsächlich dort bin. Am Bahnhof erwartet mich Axel One. Er ist Bassist in mehreren Bands, hat viele Jahre den Kanal BerlinMetalTV betrieben. Und vor allem: Er ist hier geboren, zur Kita gegangen, zur Schule, hat hier gejobbt und lebt immer noch hier. Achtundzwanzig Jahre Köpenick.
Ich dachte, Köpenick ist eine Erfindung von Romano
Als erstes will ich die Alte Försterei sehen. Auf dem Weg dorthin kommen wir an der Union Tanke vorbei. Axel erklärt mir, dass die Fans sich hier vor den Spielen zurecht machen.
„Hast du eine Jahreskarte?“, frag ich.
„Das nicht. Aber ich bin Mitglied. Und ich geh schon ziemlich oft hin. Fahr auch manchmal mit zu den Auswärtsspielen.“
„Und gehst du zum Adventssingen?“
„Ach, Quatsch. Das ist was für Touristen.“
Während wir die Wuhle überqueren und eine Runde ums Stadion drehen, will ich wissen, wie es in Köpenick grundsätzlich zugeht. Muss ja meine Klischees bedienen
„Wie oft am Tag wirst du hier denn verprügelt?“
„Ehrlich gesagt, krieg ich in Friedrichshain öfter aufs Maul“, sagt er. „Hier kennen mich ja alle seit dreißig Jahren. Und so allgemein: Als hier das Flüchtlingsheim gebaut wurde, gab es schon viele Proteste. Aber die sind inzwischen eingeschlafen, weil die Leute merken, dass nichts Schlimmes passiert.“
Es war den ganzen Tag regnerisch, doch als wir uns nun der Altstadt nähern, tun sich die Wolken auf und lassen die Sonne durch. Wir kommen am Rathaus vorbei, wo die allseits bekannte Statue des Hauptmanns von Köpenick steht.
„Kannst du dich mal daneben stellen?“, frag ich. „So fürs Titelbild.“
Axel schaut sich um und schüttelt den Kopf. „Nee, lieber nicht. Ist mir peinlich.“
Im Dönerladen kaufen wir weiteres Bier und überqueren dann die Straße zum Schloss. Durch einen antikisierenden Torbogen gelangen wir in einen Park.
„Das ist die schöne Schlossinsel“, sagt Axel. „Hier gibt es viele Pokémon-Arenen.“
Wir setzen uns ans Dahme-Ufer und schauen über das Wasser nach Spindlersfeld.
„Da drüben in den Penthouses wohnen die ganzen Union-Spieler“, sagt er. „Und in dem Best Western da hat mal ein Kumpel von mir gearbeitet. Der hat mir dann immer was zu Essen beiseite geschafft. Und Bier natürlich.“
Das ist die schöne Schlossinsel. Hier gibt es viele Pokémon-Arenen.
„Warum berlinerst du eigentlich nicht?“, frag ich, als wir wieder am Schlossplatz sind und uns an einen der Tische der kleinsten Brauerei Deutschlands setzen.
„Ich kann das schon“, sagt er. „Aber meine Mutter meinte mal: Das, was ich berlinere, hab ich mir antrainiert.“
„Also hast du nie Dialekt gesprochen? In der Schule oder so?“
„Nö, da soll man ja hochdeutsch lernen. Klar, ich sag auch Molle oder weeß icke. Aber irgendwie ist Dialekt hier ja auch verpönt. In Wien oder München ist es völlig normal, dass alle mit Dialekt sprechen. Aber in Berlin wirst dann du gleich von oben herab behandelt. Los, komm, jetzt zeig ich dir meine Hood.“
Das, was ich berlinere, hab ich mir antrainiert.
Während wir die pittoreske Altstadt Richtung Südosten verlassen, ändert sich die Umgebung grundlegend. Wir kommen am Krankenhaus vorbei, wo Axel geboren wurde, durchqueren den Volkspark Köpenick und sind schließlich komplett von Plattenbauten umringt.
„Das ist Allende 1“, sagt Axel. „So heißt die Siedlung. Und hier bin ich zur Schule gegangen.“
„Bisschen deprimierend, oder?“
„Hm, jetzt wo du’s sagst.“ Axel schaut sich verwundert um. „Ist mir früher nie so aufgefallen. Komm, hier geht’s weiter. Ich wohne in Allende 2. Da ist auch das Flüchtlingsheim.“
Das besagte Heim ist eine Ansammlung von Containern. Damit es nicht allzu trist wirkt, sind einige davon bunt angemalt. Ein Mann mit Einkaufstüte kommt an uns vorbei, grüßt höflich, und verschwindet in einer der Türen.
„Und gegen das hier haben die Anwohner protestiert?“, frag ich.
„Ja. Wie gesagt, inzwischen haben sie gemerkt, dass die Flüchtlinge nicht ihre Kinder fressen. Aber vor dem NP-Markt gibt es immer noch jeden Mittwoch Mahnwachen. Kommen halt nur noch fünf Leute hin, oder so.“
Im Supermarkt kaufen wir noch einige Mollen und gehen dann zu Axel nach Hause. Von seinem Balkon hat man einen guten Blick über die Siedlung.
„Aber mal ehrlich“, frag ich. „Findest du’s hier schön?“
„Ja, Mann. Hier komm ich her. Klar, manche Leute sind bisschen komisch. Als Ossis haben sie sich als Menschen zweiter Klasse gefühlt. Und durch die Flüchtlinge fühlen sie sich jetzt als Menschen dritter Klasse. Weil denen mehr Empathie entgegen gebracht wird.“
Eines Tages nehm ich mir nen Strick. Und wenn, dann mach ich das in Köpenick.
Wir sitzen und genießen die Aussicht. In den Platten um uns herum gehen langsam die Lichter an. Ein Tag in Berlin geht zu Ende.
„Prost“, sagt Axel und grinst. Aus dem Wohnzimmer sind die Ska-Klänge der Band Malatesta zu hören: „Eines Tages nehm ich mir nen Strick. Und wenn, dann mach ich das in Köpenick.“
Als Ossis haben sie sich als Menschen zweiter Klasse gefühlt. Und durch die Flüchtlinge fühlen sie sich jetzt als Menschen dritter Klasse. Weil denen mehr Empathie entgegen gebracht wird.
Clint Lukas